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Aus: Ausgabe vom 07.09.2011, Seite 12 / Feuilleton

Am Kaugummifaden

Notizen aus dem unbeschädigten Leben
Von Thomas Dierkes
Schmetterling hielt seinen Kopf in den Händen gestützt. Vor ihm auf dem Tisch lag der Kulturteil der Zeit. Traurig blickte er auf. »Heinrich Heine hat das Feuilleton in Deutschland erfunden, und er hat seine Sache großartig gemacht. Aber manchmal glaube ich, es wäre doch weit genialer gewesen, er hätte es einfach gelassen.«

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Der Himmel

Schmetterling und ich sahen einen Schwarzweißfilm. Unvorsichtigerweise hatte ich eine Diskussion angefangen, in der er sich schnell ereiferte: »Ich mag Schwarzweißfilme eben weil sie mir viel natürlicher vorkommen. Wenn ich vor die Tür gehe und der Himmel ist blau, erscheint mir das absolut unrealistisch.«

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Das Geld

»Ich habe es satt, die Speisekarte immer von rechts nach links zu lesen«, sagte Schmetterling.

»Es wundert mich das von dir zu hören«, entgegnete ich, »es stehen ja gar keine Preise auf der Karte, und außerdem lebst du doch eh völlig über deine Verhältnisse.«


Schmetterling grinste breit und ein Tropfen des grotesk teuren Rotweins floß ihm über Unterlippe und Kinn. Er wischte ihn mit einer Serviette ab. »Ich lebe vielleicht über meine Verhältnisse, aber noch weit unter meinen Möglichkeiten.«

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Der Grund

»Kennst du das auch«, erkundigte sich Schmetterling, »du hast schlechte Laune, aber den Grund dafür vergessen, und du versuchst dich krampfhaft daran zu erinnern, und wenn er dir wieder einfällt, freust du dich wahnsinnig darüber?«

»Nein«, sagte ich.

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Die Wahrheit

»Aber ich hasse die Welt doch nur«, sagte Schmetterling, »weil ich sie eigentlich so sehr liebe.

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