Leserbrief zum Artikel Schlaglichter der Konterrevolution: Anteil oder Enteignung
vom 26.05.2020:
Wird der Ossi wirklich noch diskriminiert?
Versöhnlerische Elemente auch im Familienkreis rieten mir, den Gegensatz zwischen Ossi und Wessi nicht so verbissen zu sehen. Dazu war ich fast schon bereit, die Diskriminierung beim Mindestlohn (West 11,35 Euro pro Stunde, Ost 10,85) und die Fortschreibung des Berufsverbotes für Neubundesbürger entsprechend dem »Radikalenerlass« zu vergessen. Als ich mich aber in der Presse für den Erhalt von Wandbildern an Hochhäusern und in öffentlichen Institutionen aus der DDR-Zeit einsetzte, weil in Deutschland schon einmal »entartete« Kunst samt Künstlern entsorgt worden waren, wurde ich eines Besseren belehrt. Die klassenkämpferischen Bilder der »Staats- und Vorzeigekünstler« der DDR in Neubrandenburg sind »realistisch entartet« und somit suspekt. Sie beleidigen die Opfer der DDR-Diktatur (immerhin 0,25 Prozent aller DDR-Bürger nach veröffentlichten Zahlen) und gehören somit weggesäubert. Wer die etablierte moderne Kunst der BRD einschließlich der Graffitibilder ablehnt, ist »neostalinistisch und linksextrem«, ließ man mich anonym wissen. Wer darüber hinaus auch noch im Rotfuchs (der vom Verfassungsschutz in Sachsen beobachtet wird) eine Würdigung für den totgeschwiegenen Krebsforscher und DDR-Professor Tanneberger schreibt, ist als »Nachfolger und Anhänger des Marxismus-Leninismus-Stalinismus-Maoismus und weiterer Ismen« für die millionenfachen kommunistischen Morde verantwortlich« (Leserbrief im Blitz Neubrandenburg am 23/24.5.20), ein klassisches Totschlagargument. Ich glaube, dass Pessimisten recht haben: »Die waren gar nicht an den Menschen im Osten interessiert, sondern nur an der Immobilie.«
Veröffentlicht in der jungen Welt am 18.06.2020.