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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Ribbentropp-Molotow-Pakt: Atempause vom 23.08.2019:

Zeitgemäßer Beitrag

Ein insgesamt sehr guter Beitrag! Unheimlich »zeitgemäß«! Wo ich Probleme sehe: Roberts schreibt über die zwei Geheimabkommen der UdSSR mit Nazideutschland vom 23. August und 28. September 1939 – letzteres also elf Tage nach dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen bzw. Westbelarus und die Westukraine – so, als habe es dabei keine Verschiebungen der »Einflusszonen« gegeben. Tatsächlich aber tauschte Stalin dabei – und erst dann – »den Einfluss« in Zentralpolen, genauer: in Ost-Mazowsze, Süd-Podlasie und Ost-Kleinpolen bzw. dem Lubliner Land, gegen denjenigen in Litauen. Estland, Lettland und auch Finnland waren schon vorher als sowjetische »Einflusszone« festgelegt worden – Litauen nicht! Was später im Raum Belostok/Bialystok passieren sollte (eine für die Rote Armee äußerst verlustreiche Kesselschlacht), sah er wohl für eine Stationierung im polnischen Gebiet zwischen Weichsel und Bug vorher?
Nur Finnland widersetzte sich übrigens, wie dargelegt, mit an sich »vertragswidriger« deutscher Hilfe hartnäckig dem Einmarsch der Roten Armee. So geriet es 1941 beim Versuch der Rückeroberung Südkareliens und des Zugangs zum Eismeer an die Seite der nazistischen Welteroberer und gab so einen Teil des für über eine Million Zivilisten tödlichen Rings um Leningrad ab. Hat vielleicht der makabre Verlauf des »Winterkrieges« gegen Finnland Stalin von einem Eingreifen der Roten Armee gegen die Nazis nach dem Beginn des deutschen Vormarschs nach Westen (am 10.5.1940) abgehalten? Moralisch wäre das spätestens nach dem hinterhältigen Überfall Deutschlands auf die neutralen Länder Dänemark und Norwegen (am 9.4.1940) vermittelbar gewesen. Denn damit war Hitlers »Friedensoffensive« – die, wie im Artikel behandelt, von der UdSSR unterstützt wurde – als Rauchvorhang der weiteren »großdeutschen« Expansion enttarnt! Wie anders stünde aber die Sowjetunion da, wenn »die Russen« etwa am 15. Mai 1940 Frankreich und Großbritannien sowie den überfallenen neutralen Benelux-Ländern zu Hilfe gekommen wären. Hätten sie das tun sollen?
Alles Spekulation. Frankreich brach ja mit einem geradezu unglaublichen Tempo militärisch zusammen. Damit wurde ein großer Teil der nun »kampferprobten« deutschen Truppen für Hitlers »Ostfeldzug« frei. Der aber offenbar noch gar nicht geplant war – der Auftrag dafür erging ja erst am 18. Dezember 1940, rund einen Monat nach Molotows Abreise aus Berlin. Mit Iran und Indien hatte Hitler Stalin nicht »ködern« können.
Um die Jahreswende 1940/41 gab es schon keine realistische Chance mehr, den Frieden für die Völker der UdSSR zu bewahren.
Nicht erwähnt wird von Roberts, dass infolge des jugoslawischen und griechischen Widerstandes gegen die »Achsenmächte« der Angriffstermin für »Barbarossa« um etwa einen Monat verlegt worden ist – ein ganz wichtiger Zeitgewinn! Aber heißt das wirklich (Zitat): »Das Unternehmen ›Barbarossa‹ war ... nicht so riskant, wie es im nachhinein scheint.« Dem Ziel, bis Jahresende die Linie Archangelsk–Wolga–Astrachan zu erreichen (und sich dann den Rest »kampflos« einzuverleiben bzw. mit Japan zu teilen), kam Nazideutschland nur in Stalingrad und um ein Jahr verspätet nahe! Wer hatte sich also mehr »verkalkuliert«? Ja (Zitat): »Hitler und seine Generäle unterschätzten die Widerstandskraft der Roten Armee fatal.« (Tun das deutsche Generäle heute nicht erneut?)
Erst die Schlacht im Kursker Bogen, die deshalb erwähnt werden sollte, beendete aber den »Zyklus« 1941–43 von deutschem Sommer-Angriff und sowjetischem Winter-Gegenschlag – danach ging es weitere lange zwei Jahre lang nur noch zurück, d. h. Nazideutschland verlor endgültig die strategische Initiative! Verlor Land um Land, Verbündeten um Verbündeten – aber gab nicht auf!
Bulgarien wird mehrfach, aber Rumänien nur einmal erwähnt – warum? Wäre eine sowjetische Dominanz im Schwarzmeerraum überhaupt ohne Rumänien denkbar gewesen? Zitat: »Stalins Priorität war die Einbeziehung Bulgariens in den sowjetischen Interessenbereich.« Die Rumäniens nicht? Besonders freundschaftliche Gefühle hatte zwar für »die Russen« aus historischen Gründen allerdings nur das bulgarische Volk (weshalb sich ja Bulgarien dem »Ostfeldzug« auch nicht anschloss – aber das war damals! Heute spielt es brav in der NATO die Satrapenrolle.)
PS: Bemerkenswert ist (Zitat): »Stalin befürchtete, die Briten und Franzosen versuchten, ihn in einen Krieg mit Hitler zu locken, bei dem die Rote Armee die Hauptlast zu tragen hätte.« Ist Letzteres etwa nicht genauso gekommen? Aber für dieses Polen, das sich sogar noch an der Zerteilung der Tschechoslowakei selbst beteiligt hatte, wollten weder er noch die Rote Armee kämpfen, sogar wenn vielleicht eine sowjetische Garantie für Polen in den Grenzen des Rigaer Friedens (ohne Danzig) im Sommer 1939 den Krieg ebenfalls aufgeschoben hätte. Weiß man’s heute genauer?
Volker Wirth, Berlin
Veröffentlicht in der jungen Welt am 25.08.2019.
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