Leserbrief zum Artikel 1968: Mythos und Wirklichkeit
vom 27.11.2018:
»Die Macht kommt aus den Gewehrläufen« (Mao)
Werner Seppmann schreibt zum Scheitern der Pariser Mai-Unruhen 1968: »Versagt hat der KPF-Apparat, der sich (auf Anraten Moskaus) ›zurückgehalten‹ hat. Weil die Bourgeoisie handlungsunfähig geworden war, Teile von ihr (ebenso wie Präsident Charles de Gaulle) das Land im Mai verlassen hatten, wären zielstrebige Schritte zur Machtergreifung nötig und möglich gewesen (...). Wegen dieses Versäumnisses hat die bürgerliche Klassenmacht sich wieder reorganisieren und stabilisieren können.« Diese Sichtweise hat die Fotoredaktion der jW inspiriert zu der Bildunterschrift: »Die Macht lag im Pariser Mai 1968 auf der Straße. (...) Doch die Führer der Arbeiterbewegung ließen diese Chance verstreichen.«
Seither sind 50 Jahre vergangen. Vermutlich hat nur eine Minderheit der Leserinnen und Leser der jW die damaligen Ereignisse schon bewusst beobachtet und in linken Zusammenhängen diskutiert. Um so wichtiger wäre Genauigkeit: De Gaulle verschwand nur einen Tag lang aus Frankreich. Grund war ein Besuch bei General Massu im Hauptquartier der französischen Truppen in Deutschland, um sich dessen Beistandes zu versichern. Massu hatte bei der brutalen Bekämpfung der algerischen Aufstandsbewegung in den 50er Jahren und bei einem Putschversuch gegen den Abzug aus der Kolonie 1958 eine führende Rolle gespielt. Nach Paris zurückgekehrt, hielt de Gaulle eine Fernsehrede, in der er die Auflösung des Parlaments bekanntgab, Neuwahlen ankündigte und die Streikenden in drohendem Ton aufforderte, an die Arbeit zurückzukehren. Unmittelbar danach strömten 800.000 Anhänger de Gaulles ins Zentrum von Paris, während demonstrativ einige gepanzerte Einheiten der Streitkräfte in der Umgebung der Hauptstadt konzentriert wurden.
Die Macht lag also nicht auf der Straße, sondern hätte allenfalls in einem militärisch ungleichen Kampf erobert werden können, auf den die Arbeiterbewegung nicht vorbereitet war. Historisch gesehen, hat die Staatsmacht überhaupt noch nie »auf der Straße gelegen«.
Seither sind 50 Jahre vergangen. Vermutlich hat nur eine Minderheit der Leserinnen und Leser der jW die damaligen Ereignisse schon bewusst beobachtet und in linken Zusammenhängen diskutiert. Um so wichtiger wäre Genauigkeit: De Gaulle verschwand nur einen Tag lang aus Frankreich. Grund war ein Besuch bei General Massu im Hauptquartier der französischen Truppen in Deutschland, um sich dessen Beistandes zu versichern. Massu hatte bei der brutalen Bekämpfung der algerischen Aufstandsbewegung in den 50er Jahren und bei einem Putschversuch gegen den Abzug aus der Kolonie 1958 eine führende Rolle gespielt. Nach Paris zurückgekehrt, hielt de Gaulle eine Fernsehrede, in der er die Auflösung des Parlaments bekanntgab, Neuwahlen ankündigte und die Streikenden in drohendem Ton aufforderte, an die Arbeit zurückzukehren. Unmittelbar danach strömten 800.000 Anhänger de Gaulles ins Zentrum von Paris, während demonstrativ einige gepanzerte Einheiten der Streitkräfte in der Umgebung der Hauptstadt konzentriert wurden.
Die Macht lag also nicht auf der Straße, sondern hätte allenfalls in einem militärisch ungleichen Kampf erobert werden können, auf den die Arbeiterbewegung nicht vorbereitet war. Historisch gesehen, hat die Staatsmacht überhaupt noch nie »auf der Straße gelegen«.