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Leserbrief zum Artikel CSSR 1968: Vormärz an der Moldau vom 24.02.2018:

Märchen vom Frühling

Die Teile der Themenseite, die sich auf die als »Prager Frühling« bezeichneten Ereignisse beziehen, tragen wenig zum Verständnis der tatsächlichen Vorgänge, Hintergründe und Folgen bei, es wird moralisiert, aber wenig Konkretes dargestellt. Das ist tragisch, denn die junge Welt richtet sich auch an Menschen, die nur die hiesige Medienlesart kennen und dem ausgesetzt sind, was dazu noch in diesem Jahr kommen wird. Auch das Foto auf Seite 12 unterstützt die Mär von der blutigen Niederschlagung des Versuchs, einen Sozialismus mit »menschlichem Antlitz« zu errichten. Kein Wort darüber, dass die Bestrebungen sämtliche staatlichen Grundlagen des Sozialismus auszuhebeln, schon sehr weit gediehen waren. Den Staat und die Partei hatten die Massenmedien schon so gut wie aufgegeben, bestimmte Kreise in der Armee zogen den Austritt aus dem Warschauer Vertrag in Erwägung, der umtriebige Dubcek unterschlug Korrespondenzen aus den Bruderparteien, setzte kollektiv getroffene Beschlüsse nicht um. Es entstand eine Situation, in der nicht mehr gearbeitet wurde, was die Lage weiter verschärfte, dem Sozialismus gegenüber feindlich eingestellte Elemente erstellten Listen zur Internierung von Menschen, die dem Staat ehrlich und loyal gegenüber auftraten. Pikant: Die sudetendeutschen Landsmannschaften buchten in Karlovy Vary bereits ganze Hotels für ein Landsmannschaftstreffen, so sehr waren sie sich ihrer Sache sicher. In der BRD, konkret in Bayern an der Grenze zur CSSR, marschierten NATO-Truppen zu einem Manöver auf, das Grenzregime der CSSR gestaltete sich nachlässiger, besser gesagt durchlässiger. Das waren in jenen Tagen keine Studentenunruhen, sondern hier lief an der Trennlinie zwischen den beiden Weltsystemen die Konterrevolution zu großer Fahrt auf, der Frieden in Europa war stark gefährdet. Es lohnt sich auf jeden Fall zu untersuchen, inwieweit außer ihrer Anwesenheit die sowjetischen Truppen überhaupt direkt in die Auseinandersetzungen eingegriffen haben. War es vielleicht doch eher so, dass man den ehrlichen Kräften in diesem Land geduldig jede Zeit einräumte, ihre Probleme selbst zu lösen, und zwar geschützt vor einem Eingreifen des Westens? Empfehlenswert: Vasil Bilak, Wir riefen Moskau zur Hilfe, Vorwort und Übersetzung Klaus Kukuk.
Jürgen Claußner
Veröffentlicht in der jungen Welt am 01.03.2018.
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