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Aus dem OP auf die Straße

Unmittelbare Geschichten: Max Müllers neues Album »Was weiß ich«

Dass dieses Album nur auf CD und Cassette erhältlich ist, lässt sich als Statement verstehen. Eines, das besagt, »Ich gehöre nicht dazu, aber ich mache mit«. Oder umgekehrt. Ansonsten ist Max Müller, Berliner Sänger, Maler, Musiker, kein Typ für griffige Parolen. Eher einer für den völlig unironischen, manchmal schmerzhaft ehrlichen, mal rätselhaften oder auch ganz banalen Blick auf die Welt. Der zuweilen befremdlich rüberkommt, ob mit Müllers erster Band Honkas (einzige EP 1982: »Lied Für Fritz«), oder der brachial-negativen, legendären Gruppe Campingsex, die angeblich Sonic Youth zu ihrem Sound inspirierte. Und natürlich mit Mutter, von Poptheoretiker Martin Büsser wegen vermeintlicher klanglicher Gemeinsamkeiten einst als »Gegenstück zu Rammstein« bezeichnet.

In irgendwelche Schubladen – Punk, Hamburger Schule, Indie – passen weder Max Müllers Bands noch sein Solowerk. Rebecca Spilker schreibt in der CD-Info über Müller, dass der Markt »scheißegal sein« müsse, »damit was Tolles passieren kann«. Das Tolle ist nun eingetroffen, und zwar in Gestalt (CD und Cassette, siehe oben) von Müllers neuem Album »Was weiß ich«, das mit nicht weniger als 32 Skizzen, Miniaturen, Tracks und knapp 73 Minuten Spieldauer die Möglichkeiten des Mediums Compact Disc fast zur Gänze ausnutzt.

»Was weiß ich« gehorcht keinen Gesetzen, erst recht nicht denen irgendeines Marktes. Hier läuft einer rum, beobachtet was und schreibt darüber einen Text. Spricht mal Leute an, und mal nur mit sich. Oder in den Himmel hinein. Und wahrscheinlich wird dieser Text überhaupt nirgendwo aufgeschrieben, sondern sofort gesungen und aufgenommen, denn vielleicht stimmt das alles morgen schon gar nicht mehr. Was weiß ich. »Karin wohnt heute in der Stadt«, heißt eine dieser unmittelbaren Geschichten, »Aus dem OP auf die Straße« eine andere. »Hörst du dir den ganzen Mist an / Und denkst, was ist das bloß / Ich kenn das schon von Kalendersprüchen«, brummt Müller in »Paroli«, einer beinah eindeutigen Popkulturkritik.

Nicht alle Songs haben Lyrics, gut die Hälfte des Albums besteht aus Instrumentals. Das musikalisch irritierend schöne »Im Hotelpool« zum Beispiel dauert nur wenige Sekunden, das darauffolgende »Loverbär«, ebenfalls purer, elektronifizierter Wohlklang. In dieses scheinbar unüberblickbare Konvolut mischen sich immer wieder kleine Undergroundhits wie der Casio-Punk-Song »Liebe ist ...«, oder »Lalala« mit Frank Spilker von den Sternen an der Gitarre.

Müller hält sich nirgends lange auf. Ereignisse finden statt – und dann sind sie vorbei. Auch die Musikstile wechseln von Noise zu Kraut, Rock und Disco, wobei es nie um Leistungsschau geht, erst recht nicht in puncto geilen Studioequipments, darauf kommt es nicht an. Das wird spätestens am Ende (Track 32) klar, wenn der Entrümpelungslaster kommt, um persönlichen Schrott von »40 Jahre sammeln« abzuholen und Müller fragt, »wer erinnert sich an dich?« Album des Jahres für alle, die ihren Walkman aufgehoben haben.

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