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05.07.2017, 17:09:16 / No G20

Trumps fliegende Augen

»Chinook«, »Predator« und RIOT: High-Tech-Cowboys aus den USA scannen Hamburg
Von Volker Hermsdorf
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Hubschrauber der US-Army vom Typ CH-47 Chinook am Dienstag über Hamburg

Am Dienstag mittag beobachteten Bewohner im Hamburger Stadtteil Winterhude ein sonderbares Flugobjekt am Himmel, das Lärm wie ein Hubschrauber machte, Augenzeugen zufolge aber deutlich größer war. Passanten zückten ihre Handys und schossen Fotos von dem seltsamen Gerät. Manche dachten an einen Scherz, schließlich war am Sonntag der »Welt-Ufo-Tag«.

Andere glaubten dagegen nicht an eine Aktion von Spaßvögeln, denn nur wenige Kilometer weiter liegt an der »Schönen Aussicht Nr. 26« das Gästehaus des Hamburger Senats. Die noble Unterkunft im Stadtteil Uhlenhorst, die während des G-20-Gipfels für US-Präsident Donald Trump reserviert ist, wird bereits seit dem 11. Juni rund um die Uhr zu Lande und zu Wasser bewacht. Wie der US-Sicherheitsexperte und Journalist Jay Tuck in der Juliausgabe des deutschen Playboy berichtet, wollen Trumps Leibwächter vom Secret Service außerdem jede Menge US-Überwachungstechnik an der Elbe einsetzen, die extra eingeflogen wird. Bei den unbekannten Flugobjekten, die in diesen Tagen über Hamburg kreisen, handelt es sich deshalb nicht um Ufos, sondern um graugrüne Transporthubschrauber der US-Army vom Typ CH-47 »Chinook«. Der CH-47, bei dem auch die Transportvarianten der US-Army mit Maschinengewehren bestückt sind, wurde unter anderem im Vietnamkrieg, in Afghanistan und im Irak eingesetzt. 1982 kamen beim Absturz einer US-Army-Maschine dieses Typs in Mannheim 46 Menschen ums Leben.

Unter dem mitgebrachten Spielzeug der Trump-Truppe soll auch die Mehrzweckdrohne MQ-1 »Predator« sein, die in Hamburg somit erstmals außerhalb eines Kriegsgebietes zum Einsatz käme. Diese Drohne, die in Syrien und Afghanistan mit »Hellfire«-Raketen unterwegs ist, lässt sich auch mit Überwachungselektronik ausstatten. Aus einer Flughöhe von rund fünf Kilometern kann sie mit ihren Kameras halb Hamburg erfassen. Mit Hilfe der geheimen Spionagetechnologie »ARGUS-IS« soll es ihr möglich sein, Hunderttausende Menschen einzeln und in Echtzeit durch Wolkendecken hindurch und auch nachts zu verfolgen. Um die riesigen Datenmengen zu verarbeiten, wird den Informationen zufolge eine Hochleistungssoftware namens RIOT (Rapid Information Overlay Technology) genutzt. Dies sei, so Jay Tuck im Playboy, eine »Suchmaschine der Superlative«, die vor allem von Militärs und Nachrichtendiensten eingesetzt werde. Sei eine Zielperson ausgemacht, dann spucke das Programm umfangreiche Eckdaten aus – darunter Telefonate und Kontakte, SMS-Texte und E-Mails sowie GPS-Standorte. Zudem zeige RIOT die Bewegungen eines Verdächtigen auf einer Landkarte – in Echtzeit und bei Bedarf auch für zurückliegende Tage, Monate oder Jahre. Wie das Onlineportal Telepolis bereits 2013 berichtete, ist das US-Militär die einzige Auslandsarmee, die in Deutschland mehrere Dutzend Drohnen stationiert hat. Seit 2005 verfügt es über unbefristete Aufstiegsgenehmigungen. Eine kleine Anfrage der Linksfraktion hatte ergeben, dass die USA von der Bundeswehr eine offizielle Zulassung für den Betrieb von 57 Aufklärungsdrohnen in Deutschland erhalten haben.

Verglichen mit Trumps High-Tech-Cowboys wirken die zu Tausenden eingesetzten bundesdeutschen Polizisten – trotz ihrer provokativ zur Schau gestellten Schusswaffen und Knüppel – ziemlich hausbacken. Bei einer Fahrt durch die Stadt mit den Metrobussen der Linien 4, 5 und 6 fühlte ich mich am Dienstag trotzdem an schlimme Zeiten erinnert. In jeden dieser Busse stieg vorne jeweils ein mit einer Pistole bewaffneter Polizist ein und ging langsam, alle Fahrgäste sorgfältig musternd, durch den Mittelgang. Solche Szenen hatte ich zuletzt Anfang der 1980er Jahre bei Reisen in Chile erlebt, als Faschisten nach dem von der CIA finanzierten Putsch des Generals Pinochet ein blutiges Terrorregime errichtet hatten und jeden Widerstand dagegen im Keim zu ersticken versuchten.

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