4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausbildung, Beilage der jW vom 07.06.2023
Beilage Ausbildung

Von Mangel und Überfluss

Fachkräfte fehlen – gleichzeitig gibt es mehr junge Menschen ohne Berufsabschluss. Wo Bildung Herrschaft sichert, gibt es keine Chancengleichheit
Von David Maiwald
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Wem der seltene »Aufstieg durch Bildung« aus der Armut gelingt, soll glauben und erzählen, jeder könnte es schaffen

»Höhere Bildungsabschlüsse führen im Regelfall auch zu höheren Verdiensten der Beschäftigten«, teilte das Statistische Bundesamt Ende Mai mit. Doch mehr als 47.500 junge Menschen verließen in der Bundesrepublik im Jahr 2021 ohne einen Abschluss die Schule, ergaben im März veröffentlichte Zahlen der Bertelsmann-Stiftung. Dem Trend entsprechend, ist die Zahl an Personen in einer Berufsausbildung Ende 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 39.500 gesunken. Insgesamt waren im vergangenen Jahr 1,2 Millionen Personen in einer Berufsausbildung, erklärte die Wiesbadener Behörde im April. Das ist die niedrigste Zahl an Auszubildenden in der Bundesrepublik seit mehr als 30 Jahren. Gleichzeitig ist die Zahl junger Erwachsener ohne abgeschlossene Berufsausbildung inzwischen auf ein Rekordhoch gestiegen: Mehr als 2,5 Millionen Menschen leben im Niedriglohnland Bundesrepublik daher trotz, durch und wegen ihrer Arbeit in Armut.

Schwere Krise in einer Gesellschaft, die gleichzeitig laut nach Fachkräften ruft. Doch wie Problemlösung hierzulande aussieht, zeigt sich beispielhaft im Pflegeberuf, wo die Coronapandemie für viele das Fass zum Überlaufen brachte und Tausende dem Beruf den Rücken kehrten. Dem durch schlechte Arbeits- und Ausbildungsbedingungen verschärften Mangel setzt die Regierung nun eine »Krankenhausreform« entgegen, die flächendeckende Klinikschließungen bedeutet, sowie eine »Pflegereform«, die hinter der notwendigen Finanzierung zurückbleibt. Außerdem will die Regierung im Ausland »für Deutschland als attraktiven Standort mit guten Arbeits- und Lebensbedingungen werben«, wie es Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Anfang Juni formulierte, als er zwecks Gewinnung von Pflegefachkräften nach Brasilien abreiste.

Die Frage »Was wird aus dir?« ist in der Klassengesellschaft ohnehin zunächst eine Frage der Herkunft. Im bürgerlichen Staat wird der Mensch insbesondere durch ein System von Bildung und Ausbildung einer – der gesellschaftlichen Stellung entsprechenden – Tätigkeit zugeordnet. Mittlerweile gibt es staatliche Zuwendungen, die für einen kleinen Teil der Armen den »Aufstieg durch Bildung« ermöglichen, gleichzeitig aber der Erzählung von »Jeder kann es schaffen« dienen. Laut dieser ist nämlich nicht die Struktur hinter der Bildung entweder faul oder blöd oder beides, sondern der oder die einzelne. In diesem Rahmen kann von der herrschenden Politik außer einigem Pflasterkleben für den »sozialen Frieden« nichts erwartet werden. Das zeigt hierzulande etwa die »Kindergrundsicherung«: Selbst der für Koalitionskrach in der Ampel sorgende Entwurf von Familienministerin Elisabeth Paus (Bündnis 90/Die Grünen) kann Kinderarmut nicht wirksam bekämpfen.

Weiter im Text: Besonders häufig von Armut betroffene Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 18 bis 25 Jahren erfahren – trotz des Ideals von Jugendlichkeit – keine Bildungsgleichheit (Seite 2 dieser Beilage). Auch die im »Weiterbildungsgesetz« verankerte Ausbildungsgarantie erleichtert Bewerberinnen und Bewerbern den Weg zu einer Berufsausbildung nicht, macht sie aber dafür selbst als Problem aus (Seite 3). Als problematisch ist auch das Lehr- und Informationsangebot der Bundesregierung zu bezeichnen, wie diverse kostenlose Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung eindrücklich beweisen (Seiten 4 und 5). Ebenso wie diese politische Beeinflussung der Jugend finanziert der Staat in Nordrhein-Westfalen durch öffentliche Bekenntnisschulen den anhaltenden Einfluss der Kirche auf Grundschulkinder (Seite 6). In Frankreich soll sich die berufliche Bildung nach dem Willen von Präsident Emmanuel Macron (gleich seinen Plänen zur Rente) an Kapitalinteressen orientieren (Seite 7). Die Ausgabe von kostenlosen Lebensmitteln sorgt an Schulen in Guatemala dafür, dass knurrende Kindermägen den Unterricht nicht stören (Seite 8).

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