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Aus: uni spezial, Beilage der jW vom 19.05.2010

Krisendialektik

Am Umgang mit Marx hat sich in Bürgerkreisen wenig geändert: Totschweigen oder Entschärfen. Für Interesse an ihm und an Veränderung sorgt der Kapitalismus selbst
Von Arnold Schölzel
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Betreffs Marx ändern sich die Dinge derzeit schneller als gewöhnlich. Nach 1990 beförderte die vergrößerte Bundesrepublik noch die DDR-Ausgaben der Marxschen Schriften zusammen mit Millionen anderen Büchern auf den Müll. Der Autor des »Kapitals« galt als toter Hund. Ironie der Geschichte: Die Marx-Engels-Gesamtausgabe, die in der DDR begonnen wurde, mußte auf Druck ausländischer Wissenschaftseinrichtungen mit bundesdeutschen Mitteln fortgeführt werden.

Dem Furor des antikommunistischen Bildersturms stand aber sehr bald eine beharrliche Marx-Rezeption anderswo entgegen. Die Etablierung linker Regierungen in mehreren Ländern Lateinamerikas strahlte weltweit aus, weltweit sind Marx-Studien in den letzten Jahren fester Teil der Hochschullehrpläne geworden.

Das Platzen der New-Economy-Blase 2001 änderte an der zurückgebliebenen Beschäftigung mit Marx in der Bundesrepublik wenig. Erst die heraufziehende Weltwirtschaftskrise bewirkte seit 2007 das, was Marx mit Datum vom 24. Januar 1873 für das Nachwort zur zweiten Auflage des »Kapitals« notierte: »Die gelehrten und ungelehrten Wortführer der deutschen Bourgeoisie haben ›Das Kapital‹ zunächst totzuschweigen versucht, wie ihnen das mit meinen früheren Schriften gelungen war. Sobald diese Taktik nicht länger den Zeitverhältnissen entsprach, schrieben sie, unter dem Vorwand, mein Buch zu kritisieren, Anweise ›Zur Beruhigung des bürgerlichen Bewußtseins‹«. Angesichts der damals sich ankündigenden Weltwirtschaftkrise, die sich als Auftakt der ersten, fast zwei Jahrzehnte währenden großen Depression des Kapitalismus herausstellen sollte, sagte er voraus: »Die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht sich dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fühlbar in den Wechselfällen des periodischen Zyklus, den die moderne Industrie durchläuft, und deren Gipfelpunkt – die allgemeine Krise. Sie ist wieder im Anmarsch, obgleich noch begriffen in den Vorstadien, und wird durch die Allseitigkeit ihres Schauplatzes, wie die Intensität ihre Wirkung, selbst den Glückspilzen des neuen heiligen, preußisch-deutschen Reichs Dialektik einpauken.«

Parallelen zu heute liegen auf der Hand. In der Bundesrepublik erschien in den letzten Jahren eine Fülle von Marx-Interpretationen, gleichzeitig bildeten sich inner- wie außerhalb von Hochschulen und Universitäten Zirkel für das Studium vor allem des »Kapital«. Beides – die sogenannte neue Marx-Lektüre und die breite Lesebewegung – ist der allgemeine Grund für die Konzeption dieser jW-Beilage. Unmittelbarer Anlaß ist aber die Konferenz »Marx 2010! Aktuelle Tendenzen der Marxismusbeschäftigung«, die am Sonnabend, dem 12.Juni, an der Friedrich-Schiller-Universität Jena stattfindet. Sie wurde von der dortigen Assoziation Marxistischer Studierender (AMS) angeregt, von der Marx-Engels-Stiftung Wuppertal organisiert und wird von der Tageszeitung junge Welt und der SDAJ Thüringen unterstützt. Auftakt ist bereits am Freitag, dem 11. Juni, mit einem Vortrag des Philosophen Robert Steigerwald unter dem Titel »Marx kommt wieder nach Jena« (18 Uhr, Hörsaal 7, Carl-Zeiss-Straße 3). Am folgenden Tag sprechen zwischen 11 und 18 Uhr Thomas Metscher, Hans-Peter Brenner, Werner Seppmann, Holger Wendt und Ulf Brandenburg. Die Moderation hat Dr. Seltsam übernommen (Hörsaal 235, Hauptgebäude der Universität). Für die Teilnahme werden Spenden erbeten (Freitag 2 Euro, Sonnabend 5 Euro – ermäßigt 1 bzw. 3 Euro)

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