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Aus: bremen, Beilage der jW vom 26.04.2007

Spuk im Laboratorium

Bremen ist das kleinste Bundesland. Weil es arm ist, will Niedersachsen es nicht haben. Außerdem ist es ein schönes Versuchsfeld für neoliberale Experimente
Von Frank Eisermann und Christoph Spehr
Nach weniger als einem Jahr mangels Besucher 2003 geschlossen: E
Nach weniger als einem Jahr mangels Besucher 2003 geschlossen: Eventtourismus-Ruine Space Park in Bremen. Dazu die Fotos dieser Beilage

Die Direktion besaß ein Auto, über das wir sofort verfügten. Wollte es die Direktion benutzen, mußte sie unsere Genehmigung einholen. Wir hatten uns auf der Werft eine unumschränkte Machtposition erobert. Auf dem Verwaltungsgebäude wehte die rote Fahne.« So beschreibt Josef Miller die Übernahme der A.G. Weser, der größten Bremer Werft, durch die revolutionäre Arbeiterschaft am 7. November 1918. Und irgendwie kommt es einem bekannt vor. Auch 90 Jahre später trifft man ihn an, diesen speziellen Eigensinn, der für Arbeiterbewegung und Linke in Bremen typisch ist: Gleichermaßen pragmatisch wie größenwahnsinnig, stur und flexibel, auf selbstverständlicher Augenhöhe mit einem kaufmännisch geprägten Bürgertum, dem man in langer Haßliebe verbunden ist.

Von außen betrachtet, vom Meer her, sieht Bremen immer ganz anders aus als von innen. Es ist größer, moderner, ja geradezu wichtig. Zusammen mit Bremerhaven ist Bremen die Nr. 21 unter den bedeutendsten Container-Häfen der Welt, in Europa die Nr. 4: nach Rotterdam, Hamburg und Antwerpen. Wenn das Internet das Gehirn der Globalisierung ist, dann ist der neue High-Tech-Seehandel ihr Herz; und Bremen mit der Weser ist, neben Hamburg und der Elbe, die zweite deutsche Schlagader zu diesem Herz. Für eine Volkswirtschaft, die Exportweltmeister ist, ist Bremen eine unverzichtbare Ressource.

Von innen betrachtet, vom Land her, sieht Bremen viel schäbiger aus. Das kleinste Bundesland mit seinen 660000 Einwohnern ist auch das ärmste. 13,5 Milliarden Schulden drücken das Land, das von den vier Milliarden Euro, die es jährlich ausgibt, nur drei Milliarden einnimmt. Daß Bremens Eigenständigkeit dennoch nicht ernsthaft in Frage steht, liegt nicht nur daran, daß Niedersachsen Bremen und seine Schulden nicht geschenkt haben möchte. Sondern weil Bremen, klein und global, hochmodern und verarmt, ein Experimentierfeld ist. Ein Labor, ein permanenter Feldversuch, wo ausprobiert wird, was sich vielleicht auch woanders zur Nachahmung eignet.

Doch darüber, was aktuell im städtischen Reagenzglas am Unterlauf der Weser herangezüchtet werden soll, scheiden sich die Geister. In den letzten Jahren war Bremen vor allem ein Labor des Neoliberalismus. Die Überschuldung ist auch in der Hansestadt ein idealer Anlaß, die Ausgaben für Soziales, Bildung, öffentliches Personal und Kultur herunterzufahren. Die Unternehmensberatung Roland Berger hat dafür bereits 1999, im Auftrag einer Bremer »Staatsrätelenkungsgruppe«, das Leitbild der staatlichen »Kernverwaltung« ausgerufen. Die »Kernverwaltung« ist die aufs Äußerste reduzierte Wiedergeburt des liberalen »Nachtwäch­terstaats«, der nur noch für Polizei und Ämter zuständig ist, aber nicht für den sozialen Erhalt des Gemeinwesens. Darum sollen sich private Bürgerstiftungen kümmern. Das schließt nahtlos an die Tradition der Bremer Armenpflege im 18. Jahrhundert an, die über wohltätige Stiftungen reicher Kaufleute den »schuldlos in Not Geratenen« ein Almosen sicherte, während »Trinker und Arbeitsscheue« der Stadt verwiesen wurden. Auf die Fortführung dieses Projektes setzen die FDP und die Handelskammer, die von der baldigen Einrichtung von »Sonderwirtschaftszonen« ohne unternehmerische Abgaben, wie sie sich in Lateinamerika und China vermeintlich bereits bewährt haben, träumen, ebenso wie die CDU.

Absetzbewegungen

Doch während die SPD auf Bundesebene, dem Bremer Beispiel folgend, nach den letzten Bundestagswahlen mit der CDU eine große Koalition bildete, finden hier erste Absetzbewegungen statt. Nach dem Ausscheiden des langjährigen Bürgermeisters Henning Scherf konnte sich der linkere Flügel durchsetzten. Die neue SPD-Führung um Bürgermeister Jens Böhrnsen versucht nach dem Umverteilungsprojekt, das von 1994 bis 2004 unter der Parole »investieren und sparen« veranstaltet wurde, ein vorsichtiges Umsteuern. Dabei will man die Politik des Strukturwandels in Richtung Logistik, Wissenschaft und moderne Dienstleistungen beibehalten, aber in Zukunft auf sinnlose Prestigeprojekte und Eventtourismus-Ruinen wie den »Space Park« verzichten. Juniorpartner sollen dabei die Grünen sein, die 1979 hier ihre bundesweit ersten Landtagssitze eroberten. Heute jagen sie in den Innenstadtvierteln, wo etablierte Ex-68er Seite an Seite mit der soziokulturellen »Projekteszene«, prekären Ich-AGs und Resten der Drogenszene leben, der CDU den Rang als stärkste Partei ab. Die Grünen sind bürgerlich geworden – modern, tolerant, aber bürgerlich. Auf ihren Plakaten versprechen sie: »Wir schützen Bremens Kröten« – gemeint sind die Finanzen.

Aber auch für die Linke war Bremen immer ein Labor für gesellschaftliche Experimente. Die Uni, als rote Kaderschmiede verschrien, spielte dabei eine wichtige Rolle. Radikale Reformansätze wurden entwickelt und praktiziert in der Pädagogik, in der Drogenpolitik, in der Wissenschaft. Das meiste davon stürzte nach 1989 frustriert zusammen. Das Symbol der untergegangenen roten Ära ist das Maizelt der DKP, das alljährlich einen Hauch von Unitá und Humanité, den großen populären linken Festen der Zeitungen der italienischen und der französischen Kommunisten, an der Weser verbreitete.

Verantwortungslose Sparpolitik

Politisch ist davon nur wenig geblieben. Mit dem Ende des Realsozialismus brachen linke Strukturen, Projekte und Organisationen in Bremen noch gründlicher zusammen als im Rest der Republik. Dennoch stößt man auf sie an allen Ecken, die Ex-68er oder besser: die Ex-DKPler. Sie sind fast allgegenwärtig – auf einflußreichen politischen, kulturellen, wirtschaftlichen Positionen. Der Zusammenbruch der DKP und anderer marxistischer Organisationen war für die Apparate von SPD und Gewerkschaften geradezu eine Hormonbehandlung.

Geblieben ist allerdings – auch wenn nur wenige aktiv sind – bei überdurchschnittlich vielen Bremern ein Grundgefühl, sich als links zu verorten. Hieraus und aus den frühen Erfolgen der Grünen in Bremen ziehen nicht nur Anhänger der Linkspartei die Hoffnung auf den Sprung in die Bremer Bürgerschaft am 13. Mai und damit zum ersten Mal den Einzug in einen westdeutschen Landtag. »Realistische Chancen« bescheinigt ihr die Vorwahlstudie des Bremer Politikwissenschaftlers Lothar Probst: »Bremen als Mini-Elektorat (war) schon in der Vergangenheit eine Art Laboratorium für neue Entwicklungen im Parteiensystem.«

Doch wie die Wahlen auch immer ausgehen werden: Gespart werden soll weiter, bei den öffentlich Beschäftigten, bei den Kulturausgaben, in den sozialen Bereichen. Und hier knallt es. Als vor wenigen Wochen die Leiche eines Jungen, der unter staatlicher Fürsorge stand, im Kühlschrank seines Stiefvaters gefunden wurde, war das ein Schock für Senat und Bevölkerung. »Kevin« ist seither in aller Munde. Und der Untersuchungsausschuß der Bremer Bürgerschaft deckt die Sünden der unverantwortlichen Sparpolitik auf: Sozialarbeiter, die fünfmal so viele »Fälle« betreuen sollen wie vor wenigen Jahren; Jugendämter, die auf Anweisung der Haushaltsbehörden festlegen, wie viele Heim-Einweisungen es höchstens geben darf, ganz egal, was in den Familien los ist. Die Privatisierung der Kliniken, die Zwangsumzüge von über 10000 Hartz-IV-betroffenen Haushalten: Hier sehen viele den Grad des Erträglichen und Verantwortbaren überschritten. »Weiter so« ist keine Option in Bremen.

Kaufleute und Rote

Und so mehren sich die Stimmen, die zu den alten Tugenden der Sturheit und der Selbstverteidigung aufrufen und etwas tun. Oft unabhängig von den Resten der alten Strukturen, selbständig. »Neben unsrer Roten Stadt ... bestand die Stadt der Bürger, des Kaufmanntums, des Welthandels fort«, heißt es bei Peter Weiß in der »Ästhetik des Widerstands« über das Bremen der Revolution von 1918/19. Aber es ist eben auch umgekehrt. Neben der Stadt der Bürger, des Kaufmanntums, des Welthandels besteht immer auch die Tradition der Roten Stadt fort – mal mehr, mal weniger sichtbar, aber immer wieder für Überraschungen gut.

»Wir riefen den noch im Amt befindlichen Direktor Dr. Tetens an und fragten, was das Militär auf dem Werfthof zu bedeuten habe. Die Antwort lautete: ›Der Arbeiterrat der Werft ist abgesetzt!‹ Auf diese provokatorische Antwort reagierten wir mit der sofortigen Stillegung des Betriebs. Innerhalb von 20 Minuten lief keine Maschine mehr. Schon nach kurzer Zeit klingelte das Telefon, und Dr. Tetens ersuchte uns, zur Direktion zu kommen... In der gleichen Nacht hißten wir auch wieder die rote Fahne auf dem Verwaltungsgebäude.«

Das passierte auf der A.G. Weser, als die Räterepublik eigentlich gerade niedergeworfen worden war. Aber so sind sie, die Bremer. Stur, selbstbewußt, unberechenbar. Die A.G. Weser wurde 1983 geschlossen, als erste der großen Bremer Werften, deren letzte, der Bremer Vulkan, 1997 dichtmachte. Aber irgendwo lebt der Geist der rebellischen Belegschaften weiter. Und manchmal geht ein Gespenst um in der Roten Stadt. Deshalb die eine Bitte noch von uns: Das nächste Mal nicht beim Fuhrpark stehenbleiben.

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