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Aus: wein, Beilage der jW vom 30.11.2005

Talfahrt und Aufschwung

Geschmacksglobalisierter Billigfusel erobert immer mehr Anteile auf dem deutschen Weinmarkt. Qualitätsorientierte Winzer verteidigen aber standhaft ihre Nischen
Von Rainer Balcerowiak

Niemand würde während des Genusses eines guten Weines auf die Idee kommen, über so lustfeindliche Dinge wie Binnenmarktschwäche, Dumpingwettbewerb oder Nivellierung durch Globalisierung zu sinnieren. Dennoch kommt man als Weinfreund nicht umhin, mit etwas Wehmut das Fortschreiten seit Jahren zu beobachtender Fehlentwicklungen auf dem Weinmarkt zu konstatieren.

Weltweit wird zuviel schlechter Wein produziert. Der globale Weingeschmack ist von einer mächtigen Produzenten- und Handelslobby auf jeglicher Authentizität beraubte Einheitstropfen ausgerichtet worden. Alkoholreiche, vanillelastige Weine der Rebsorten Cabernet Sauvignon, Merlot und Chardonnay gewinnen auch in Deutschland immer größere Marktanteile. Die Importe beispielsweise aus Chile, Südafrika und Australien konnten 2004 im Vergleich zum Vorjahr um weit über 30 Prozent zulegen, was die Talfahrt der Durchschnittspreise weiter beschleunigte. Der Durchschnittserlös für importierten Rotwein lag im Jahr 2004 bei 1,51 Euro je Liter, während im Jahr 2001 noch 1,72 Euro gezahlt wurden. Der Preis für einen Liter importierten Weißwein lag im Jahr 2004 im Mittel bei 0,89 Euro (2001: 1,10 Euro). Die Preise bei Discountern und Supermarktketten haben längst ein Niveau erreicht, das deutsche Qualitätsweine aus diesem Handelssegment weitgehend ausschließt. Die deutsche Weinwirtschaft kann diese Entwicklung nur teilweise durch wachsende Exporte kompensieren, und das größtenteils auch nur durch industriell verarbeitete, äußerst anspruchslose Massentropfen.

Die Chancen, in diesem Marktumfeld wirtschaftlich zu überleben, sind für die meisten deutschen Weinbaubetriebe jedenfalls nicht besser geworden. Viele haben in den letzten Jahren versucht, vom Rotweinboom in Deutschland zu profitieren. Der Anteil roter Rebsorten an der bestockten Fläche hat sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt: auf 36 Prozent. Besonders eine Sorte aus Frankensteins Labor, der berüchtigte Dornfelder, hat einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Dümpelte er 1995 mit einem Anteil von 1,8 Prozent noch auf einem hinteren Platz in der Rebsortenstatistik, so belegt er inzwischen mit über acht Prozent den vierten Platz. Deutlich sinkende Erzeugerpreise deuten aber auf das Erreichen der Marktsättigungsgrenze für Dornfelder hin. Doch ein Winzer kann seine Rebsorten nicht wechseln wie seine Unterhose. Von der Ausrodung alter bzw. der Kultivierung neuer Rebflächen bis zum ersten Ertrag vergehen mindestens vier Jahre; auf so manch dornfelderbestockter Weinfläche – von Bergen kann man oft nicht reden – wachsen die nicht kostendeckend zu vermarktenden Übermengen von morgen.

Flaggschiff VDP

Nicht nur durch Billigimport- und Rotweinschwemme ist die deutsche Weinwirtschaft in den letzten Monaten kräftig durchgerüttelt worden. Der voreilig zum »Jahrhundertjahrgang« hochgejubelte 2003er konnte die hohen Erwartungen nur teilweise erfüllen. Zwar gab es auch im mittleren Preissegment erstaunlich füllige, aromareiche Rotweine und wunderbare edelsüße Spezialitäten zu genießen. Eines der Aushängeschilder des deutschen Weinbaus – trockene, leichte bis mittelschwere Weißweine mit stabiler Säure – blieb jedoch weitgehend auf der Strecke. Der eher »normale« Jahrgang 2004 brachte dann wieder mehr spritzige, fruchtbetonte Weißweine hervor, dafür waren aber deutliche Qualitätseinbußen beim Rotwein zu verzeichnen. Der gegenüber 2003 um über 20 Prozent auf 103 Hektoliter gestiegene durchschnittliche Hektarertrag ist ebenfalls ein Indiz für vielerorts bescheidene Qualitäten. Die Mostgewichte des Vorjahres wurden im Durchschnitt deutlich unterschritten, einfache Weine wurden kräftig chaptalisiert (aufgezuckert), um den angestrebten, »international üblichen« Alkoholgehalt zu erreichen.

Über den Jahrgang 2005 können bisher wenig verläßliche Aussagen gemacht werden. Der durchschnittliche Hektarertrag ist wieder gesunken, auf rund 90 Hektoliter. Besonders spätreifende Sorten wie Riesling dürften von den überdurchschnittlich warmen und sonnigen ersten Herbstwochen profitiert haben – strenge, frühzeitige Selektion im Weinberg vorausgesetzt. Die Moste blubbern noch in Gärbehältern vor sich hin oder harren in Stahltanks oder Holzfässern ihres weiteren Ausbaus und schließlich der Abfüllung. Auf der ProWein im kommenden März in Düsseldorf wird ein repräsentativer Querschnitt der 2005er Weißweine zu verkosten sein, wir werden berichten.

Während sich die deutsche Weinwirtschaft größtenteils nach wie vor in äußerst schwerer See befindet, verfolgen die qualitätsbewußten Winzer unbeirrt ihren Weg. Allen voran das Flaggschiff VDP (Verband Deutscher Prädikatsweingüter). Der traditionsreichen Vereinigung gehören zur Zeit 197 Weingüter aus allen Weinregionen Deutschlands an. Mit einem strengen Zertifizierungssystem für seine Mitglieder, rigiden Ertragsbeschränkungen und einer privatrechtlichen, vom deutschen Weingesetz abweichenden Qualitätspyramide hat der Verband Maßstäbe für Transparenz und Qualität geschaffen. An der Spitze der Pyramide stehen die Großen Gewächse, terroirgeprägte Weine aus regionaltypischen Rebsorten aus den besten Parzellen eines klassifizierten Weinbergs. Es folgen die Lagen- und Gutweine, deren Qualitätsnormen weit über das deutsche Weinrecht hinausgehen.

VDP-Winzer waren und sind maßgeblich an der internationalen Renaissance des Rieslings beteiligt. Diese nur in nördlichen Weinbaugebieten ideale Anbaubedingungen vorfindende Rebsorte mit ihrem filigranen Aromaprofil gilt inzwischen weltweit wieder als »Gegenentwurf« zum »fetten« Chardonnay.

Die VDP-Güter bewirtschaften 3,5 Prozent der deutschen Rebfläche, produzieren aufgrund der Ertragsbeschränkungen aber nur zwei Prozent der deutschen Weinmenge und erlösen dennoch acht Prozent des Umsatzes deutscher Weine, davon 85 Prozent im Inland. 54 Prozent aller VDP-Weinberge (BRD-Durchschnitt: 20,2 Prozent) sind mit Riesling bepflanzt. Dies entspricht 6,5 Prozent des weltweiten Rieslinganbaus.

Doch auch jenseits des im besten Sinne elitären VDP gibt es in Deutschland viele Erzeuger, die gute bis großartige Weine produzieren. Einen guten Überblick verschafft der jährlich aktualisierte Weinführer »Deutschlands Weine« von Gerhard Eichelmann, dessen neueste Ausgabe just im Mondo Verlag erschienen ist.

Lust auf Wein

Nach soviel trockener Einführung wollen wir uns jetzt aber endlich der Aufgabe dieser Weinbeilage zuwenden: die Lust am Genuß guter Weine zu befördern. Wir können bekanntlich ziemlich stur sein, und so haben wir erneut – zum nunmehr vierten Mal – eine Vergleichsverkostung »Elbling zu Austern« durchgeführt. Unser Autor Dago Langhans hat sich ein wenig im Rotweineldorado Württemberg umgesehen. Der Blick des jW-Weinteams schweift natürlich auch über die Landesgrenzen hinaus, und so haben wir uns intensiv mit portugiesischen Weißweinen beschäftigt. In der Rubrik »Nachgetrunken« geht es unter anderem um alte Bekannte des jW-Weiteams, wie den in Ungarn tätigen Winzer Horst Hummel, um Jahrgangsvergleiche bei deutschen Rot- und Weißweinen, um die (Teil)rehabilitierung der auch von uns eher verspotteten Rebsorte Müller Thurgau/Rivaner und um einen ganz erstaunlichen Merlot von der Mosel (!). Einige Bücher rund um den Genuß haben wir auch gelesen. Unserem Bildungsauftrag kommen wir mit einer kleinen Abhandlung über die vielen »E’s« in Lebensmitteln nach. Wem speziell nach diesem Artikel noch nicht der Appetit vergangen ist, der sollte sich erst mal ein gutes Glas Wein gönnen.

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Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

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