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Aus: wein, Beilage der jW vom 05.11.2003

Gewinner und Verlierer

Zwischen »Jahrhundertjahrgang« und Preisverfall: Der deutsche Weinbau am Scheideweg
Von Rainer Balcerowiak

Das Weinjahr 2003 neigt sich dem Ende zu. Die Winzer haben jetzt mehr in den Kellern als den Weinbergen zu tun. Nur auf einem Bruchteil der Anbaufläche hängen noch ein paar Trauben, bei der Ernte ausgespart in der Hoffnung auf hochkonzentrierte Trockenbeerenauslesen und Eisweine.

Die in den letzten Jahren zu konstatierenden Entwicklungen auf dem deutschen Weinmarkt haben sich durchweg fortgesetzt. Nach wie vor steigt der Rotweinanteil am Weinkonsum an. Die Wirtschaftskrise hat zwar dem Weinkonsum in der Menge wenig anhaben können, der gezahlte Durchschnittspreis für eine Flasche Wein ist aber weiter gesunken. Entsprechend dramatische Einbrüche hat der Weinfachhandel zu verzeichnen. Davon profitieren in erster Linie Discounter wie Aldi, der inzwischen zum größten Weinvermarkter Deutschlands aufgestiegen ist. In diesem Billigsegment ist besonders bei Rotwein für deutsche Produzenten kaum eine Schnitte zu holen. Man muß kein pathologischer Antideutscher sein, um sich als finanzschwacher Weinfreund für den Alltagskonsum z.B. eher nach äußerst preiswerten, aber sauberen und wohlschmeckenden französischen Landweinen umzusehen, als deutsche Großkellereiplörre zu kaufen. Immer mehr Weinhandlungen auch in der Provinz führen inzwischen Erzeugerabfüllungen aus südlichen französischen Regionen in Fünf-Liter-Schläuchen. Dank Vakuumverpackung sind diese mehrere Wochen ohne Qualitätsverlust haltbar. Für 15 bis 20 Euro sind so äußerst solide Cabernets, Merlots und Pinot Noirs erhältlich.

Die Erzeugerpreise für einfache deutsche Weine sind derweil teilweise weiter gesunken. Selbst die »Wunderwaffe« Dornfelder scheint stumpf geworden zu sein. Erstmals sanken auch bei dieser weinähnlichen Brühe, die in den letzten Jahren mit den größten Steigerungsraten aufwarten konnte, in einigen Regionen die Faßweinpreise. Diese Absatzkrise wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, da viele Dornfelder-Neubestockungen erst 2004 oder 2005 den ersten Ertrag liefern werden.

Auf der anderen Seite hat sich eine selbstbewußte Elite unter den deutschen Winzern aufgemacht, dem deutschen Wein wieder das Prestige zu verschaffen, welches er einst hatte. Pionierarbeit hat dabei zweifellos der Verband Deutscher Prädikatsweinwinzer (VDP) geleistet. Statt auf unsinnige Prädikatsbezeichnungen und nichtssagende Einstufungen wie »Classic« setzt man dort auf eine klare, dreistufige Qualitätsdefinition: Erstes oder Großes Gewächs, Lagenwein und Gutswein, wobei für jede Stufe genaue Kriterien für Qualität und Herkunftslage, den Höchstertrag und die Gebietstypizität des jeweiligen Weines festgelegt wurden. Besonders die Spitzenprodukte der VDP-Winzer machen auch international Furore: Einige deutsche Rieslinge genießen mittlerweile Kultstatus, besonders in den USA. Auch andere Winzer haben durch konsequente Qualitätsorientierung das mittlere und obere Preissegment erreicht und setzen mehr auf ihren guten Namen als auf Prädikate. Diesem Trend haben sich auch immer mehr Winzergenossenschaften, besonders in Baden und in Württemberg, verschrieben. Wer sich als Weinfreund ein bißchen umguckt, kann bereits ab 3,50 Euro tolle deutsche Literweine entdecken, die die Besonderheiten der Rebsorte und der Region erkennen lassen. Und was teilweise in der Preislage zwischen fünf bis sieben Euro angeboten wird, braucht keinen internationalen Preis- und Qualitätsvergleich zu scheuen: mineralische Rieslinge, süffige Gutedel, saftige Burgunder, extraktreiche Traminer, warme, beerige Lemberger, allesamt gute Botschafter einer typischen deutschen Weinkultur jenseits des internationalen Einheitsweines.

Natürlich haben auch die teilweise schwindelerregenden Preise der deutschen Spitzenwinzer ihre Berechtigung. Sie können sogar als Eisbrecher für die Mittelklasse dienen. Ein Riesling oder Spätburgunder aus alten Rebstöcken, der in einer 80prozentigen Steillage bei einem Ertrag von 25 Litern pro Ar ausschließlich in Handarbeit bearbeitet und gelesen wird, soll und muß seinen hohen Preis haben. Der Genuß solcher Weine kann ein einzigartiges Erlebnis sein, und wer sie sich leisten kann, soll es tun. Abzulehnen ist jedoch jener Snobismus, der nicht nur vielen Weinkritikern, sondern auch einigen Winzern offenbar nicht fremd ist. Wenn einer der neuen Stars an der Mosel, der gebürtige Schweizer Daniel Vollenweider, in der Zeitung Slow Food erklärt, daß jeder Wein unter sechs Euro dem Ruf der Mosel schaden würde, dann ist das eine bodenlose Unverschämtheit und absurde Beleidigung jener vielen Winzer, die nicht über absolute Spitzenlagen verfügen und dennoch mehr als respektable Weine herstellen und zu vernünftigen Preisen auf den Markt bringen. Natürlich ist es ein Gewinn für die deutsche Weinkultur, daß sich ambitionierte Winzer den extrem arbeitsintensiven und ertragsschwachen Steilstlagen widmen und somit auch der drohenden Zerstörung einmaliger Kulturlandschaften entgegenwirken. Die Winzer gehen ein hohes ökonomisches Risiko ein, denn das Käuferpotential für die dort erzeugten teuren Edeltropfen ist gering und der Markt weltweit hart umkämpft. Alleine die Kosten für die Rekultivierung und spätere Sicherung solcher Parzellen liegen oft im fünfstelligen Bereich pro Hektar. Eine »Weinkultur«, die alle Nicht-Besserverdienenden von dem Genuß guter Weine ausschließen will, hätte diesen Namen aber nicht verdient und wäre lediglich Bestandteil der modernen sozialen Barbarei.

Nun kommt angeblich der »Jahrhundertjahrgang« 2003. Was für viele Obst- und Getreidebauern die nackte Katastrophe war und vielerorts als Vorbote des drohenden Klimakollapses gewertet wird, soll dem deutschen Weinbau einen neuen Schwung verleihen. Ob der seit Juli dieses Jahres zu beobachtende Hype um den ob des extremen Sommers zu erwartenden »Superwein« mehr als PR-Getöse ist, entscheidet sich erst im Glas, und da ist der Jahrgang noch nicht angekommen. Schier unglaubliche Öchslewerte von über 300 Grad wurden wie neue Weltrekorde vermeldet, doch diese Art von Volksverdummung ist in der deutschen Weinwirtschaft nicht neu. Das Festhalten am natürlichen Zuckergehalt als vermeintlich entscheidendem Qualitätsindikator hat viel zum Niedergang des Rufes und der Qualität des deutschen Weines beigetragen.

Sicherlich wird es vielen Winzern gelungen sein, den Vegetationsvorsprung von mehreren Wochen für die Produktion großartiger, aromastarker Weine zu nutzen. Natürlich vorausgesetzt, sie bauen ihre Reben ertragsreduziert auf geeigneten Böden in guten Lagen an und haben den optimalen Lesezeitpunkt gefunden. Hier und da konnte auch künstliche Bewässerung größeres Ungemach verhindern. Wer nur auf Öchslejagd gegangen ist, wird im kommenden Jahr kaum brauchbare trockene, leichte Weine anbieten können, und welcher Winzer lebt schon hauptsächlich von edelsüßen Auslesen oder trockenen Alkoholbomben. Nicht wenige werden aufgrund der extremen Trockenheit im letzten Sommer Probleme mit dem Säuregehalt ihrer Weine haben und entsprechende – legale – »Nachbesserungen« vornehmen. Auch die zuckerfreien Extrakte müssen nicht unbedingt von der Witterung profitiert haben. Positiv ist jedenfalls zu bewerten, daß der Gesamtertrag in diesem Jahr deutlich geschrumpft ist: von zehn auf neun Millionen Hektoliter. Selbst diese Menge dürfte nur schwer zu kostendeckenden Preisen verkäuflich sein.

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