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Aus: Ausgabe vom 22.08.2006, Seite 1 / Inland

Antiterrorkämpfer fühlen sich im Aufwind

»Rail Marshals« sollen Bombenleger jagen. Streit um flächendeckende Videoüberwachung
Unionspolitiker haben sich am Montag dafür ausgesprochen, in Zukunft bewaffnete Sicherheitsbegleiter in Bahnen einzusetzen. Der CDU-Innenexperte Clemens Binninger forderte gegenüber Bild bewaffnete Zivilstreifen in Zügen, sogenannte »Rail Marshals«. Der CSU-Rechtsexperte Norbert Geis sagte derselben Zeitung, in Zügen müßten die gleichen Sicherheitsmaßnahmen wie in Flugzeugen angewandt werden. Kanzlerin Angela Merkel erteilte den Forderungen umgehend eine Absage. Sie glaube nicht, daß dies die richtige Antwort auf die Bedrohungslage sei, sagte sie in Berlin vor Journalisten.

Die Deutsche Bahn hat indessen angekündigt, ihre Videoüberwachung auszudehnen. »Das betrifft sowohl die Zeit der Aufbewahrung der Videos als auch die Anzahl der Videogeräte auf den Bahnhöfen«, sagte Bahn-Vorstandsmitglied Otto Wiesheu. Sicherheitsvorkehrungen wie bei Flügen seien bei der Bahn allerdings undenkbar.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Thomas Mischke, sagte im Bayrischen Rundfunk, die Effizienz der Beobachtung durch Videokameras werde im allgemeinen überbewertet. Gegen eine totale Videoüberwachung sprach sich ebenfalls der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, im Flensburger Tageblatt aus.

Auch SPD-Chef Kurt Beck warnte nach einer Sitzung des SPD-Präsidiums in Schwerin vor überzogenen Maßnahmen. Grünen-Chefin Claudia Roth kritisierte, die Union hole »ihre sicherheitspolitischen Ladenhüter aus der Mottenkiste«.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warnte im Deutschlandfunk vor einer totalen Überwachung mit Videokameras. »So etwas darf es nicht geben.« Herrenlose Koffer in Zügen würden normalerweise nicht mit Videokameras ausfindig gemacht, sondern vom Personal.

Linksfraktionsvizechefin Petra Pau kritisierte in einer ebenfalls am Montag verbreiteten Erklärung, eine »Antiterror-Volltextdatei« sei »mit Sicherheit grundgesetzwidrig, eine ausufernde Video-Überwachung ebenfalls«.

(AP/AFP/jW)