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Aus: Ausgabe vom 04.10.2025, Seite 12 / Thema
90 Jahre Brüsseler Konferenz

Der schwerste Fehler

Von der revolutionären zur antifaschistischen Plattform: Anmerkungen zur Brüsseler Konferenz der KPD im Oktober 1935
Von Leo Schwarz
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In Deutschland in Umlauf gebrachte Tarnschrift mit der Resolution der Brüsseler Konferenz

Im zweiten und dritten Jahr nach der Machtübergabe an die Nazis war die KPD die einzige der 1933 verbotenen Parteien, die innerhalb Deutschlands noch über eine flächendeckende illegale Parteiorganisation verfügte und unter zentraler Leitung für die Beseitigung der faschistischen Diktatur kämpfte. Sie tat das mit einer Vielzahl von kleinen Aktionen auch im öffentlichen Raum, die sie ständig zu steigern bemüht war. Größte Anstrengungen wurden unternommen, um zerschlagene Bezirks- und Unterbezirksleitungen immer wieder neu aufzubauen. Im Oktober 1934 konstatierte die Gestapo in einer Übersicht zum »Stand der kommunistischen Bewegung in Deutschland« eine »immer stärker anwachsende Aktivität« der KPD. »Ungehörige revolutionäre Äußerungen« seien sogar in Vernehmungen nach Festnahmen zu hören, und zahlreiche Beispiele zeigten, »dass kommunistische Funktionäre eher den Freitod wählen als sachdienliche Angaben zu machen«.

Immer deutlicher aber wurde auch für viele deutsche Kommunisten gegen Ende des Jahres 1934 – nachdem im Sommer der sogenannte Röhm-Putsch noch einmal die Einschätzung befeuert hatte, dass das Naziregime in einer ausweglosen Krise sei –, dass der Faschismus an der Macht sich trotz des opferreichen Kampfes seiner Gegner fortlaufend stabilisiert hatte und sich nicht allein auf einen systematischen und institutionalisierten Terror, sondern auch auf eine relativ breite Massenbasis stützen konnte. Die Frage nach politischen Fehlern und nach den Ursachen der Niederlage der Arbeiterbewegung von 1933, die auch die Niederlage der damals stärksten kommunistischen Partei in einem kapitalistischen Land war, stellte sich immer drängender zusammen mit der Frage, welche Schlüsse aus dieser Niederlage zu ziehen und welche politischen Weichenstellungen vorzunehmen waren, um im Kampf gegen das Naziregime eine wirkliche Erfolgsperspektive zu haben.

Ernste Lage

Diese Diskussion fand vor dem Hintergrund der in nahezu allen europäischen Ländern stetig angewachsenen faschistischen Gefahr in der gesamten kommunistischen Weltbewegung statt. Für die Kommunistische Internationale nahm der VII. Weltkongress im Juli und August 1935 eine politische Kurskorrektur vor: Er orientierte die Mitgliedsparteien auf eine taktische Linie der »antifaschistischen Volksfront«, deren Grundlage die »proletarische Einheitsfront« der unterschiedlichen politischen Richtungen der organisierten Arbeiterbewegung bilden sollte – nach dem Modell des Aktionseinheitsabkommens zwischen der kommunistischen und der sozialistischen Partei in Frankreich vom Juli 1934. Implizit zurückgenommen wurde damit der vom VI. Weltkongress 1928 ausgearbeitete offensive Ansatz, der die Politik der kommunistischen Parteien unmittelbar auf einen »revolutionären Aufschwung« und in diesem Zusammenhang auch auf einen offensiven Kurs gegen die als Hauptstütze der Bourgeoisie in der Arbeiterklasse ausgemachte organisierte Sozialdemokratie ausgerichtet hatte.

Die neue Linie wurde aber – anders als es eine gerade in Deutschland eingeübte Sichtweise nahelegt, laut der in kommunistischen Parteien schlicht Befehle »Moskaus« befolgt wurden – nicht einfach beschlossen und umgesetzt, sondern war bis zur abschließenden Klärung durch den VII. Weltkongress Gegenstand intensiver Diskussionen und heftiger Auseinandersetzungen. Das galt in besonderer Weise für die KPD, in der der »Revolutionskurs« sowohl auf der Führungsebene als auch in der Mitgliedschaft in hohem Maße verinnerlicht und zur Grundlage auch der unmittelbaren Tagespolitik gemacht worden war.

An dieser prinzipiellen Orientierung hatte, trotz seit 1932 vorgenommener Anpassungen und bestimmter anlassbezogener Vorstöße, auch der 30. Januar 1933 erst einmal nichts geändert. Um die Jahreswende 1934/35 entstand vor diesem Hintergrund in der Partei eine schwierige Situation, weil sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1934 erwiesen hatte, dass die Mehrheit des Politbüros (damals noch vielfach gebräuchlich: Polbüro) nur einzelne Modifikationen der nun von einer Minderheit der Parteiführung und führenden Vertretern der Internationale als »sektiererisch« kritisierten Politik vornehmen wollte, aber nicht bereit war, eine grundsätzliche Neuorientierung mitzumachen.

Dieser scharfe Konflikt führte zu einer Zerrüttung der Parteiführung, über die Wilhelm Pieck im Oktober 1935 sagte, er habe »noch nie einen solchen Zustand mitgemacht, wie wir ihn in dieser Führung der Partei haben, wo zwischen Genossen eine solche Gehässigkeit vorhanden ist, dass vielfach es zu der akuten Gefahr von Tätlichkeiten gekommen ist. Und das sogar unter den Schwierigkeiten unserer illegalen Sitzungen im Auslande.« Als sich im Januar 1935 das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) mit der Krise in der deutschen Sektion befasste, stellte der italienische Vertreter ­Ercoli (Palmiro Togliatti) fest, dass in der KPD-Spitze »eine ernste, schwere Lage besteht«. Es gebe eine »Spaltung im Politbüro« und »in der Partei einen Fraktionskampf«. Mehr noch: In der Führung »wie auch in der ganzen Partei« machte er »eine offene oder halboffene Resistenz« hinsichtlich der »Durchführung der politischen Linie der Kommunistischen Internationale« aus.

Die Parteikonferenz der KPD, die am 3. Oktober 1935 in Kunzewo in der Nähe von Moskau begann und dort am 15. Oktober endete, bildete den Abschluss dieser Auseinandersetzungen, die zwar zuvor schon zugunsten der (früheren) Minderheit entschieden worden waren, deren politische Resultate nun aber noch mit der nötigen Autorität vor der Gesamtpartei zum Beschluss erhoben werden mussten. Die Tagung in Kunzewo ist als »Brüsseler Konferenz« in die Parteigeschichte eingegangen, weil die Partei in den Monaten danach zur Täuschung der Gestapo in ihrer Presse und in Tarnschriften, in denen über die Ergebnisse berichtet wurde, diesen falschen Tagungsort nannte.

Die Zusammenkunft mit ihren rund 50 Teilnehmern war zweifellos eine Zäsur in der Parteigeschichte. Etwas zugespitzt ließe sich sagen, dass von dieser Konferenz im Nachvollzug der Entscheidungen des VII. Weltkongresses eine in erster Linie revolutionäre durch eine in erster Linie antifaschistische Plattform ersetzt wurde. Die Tragweite dieser Schwenkung jenseits ihres unmittelbaren politischen Kontexts ergibt sich aus der Tatsache, dass diese Schwerpunktverlagerung in der kommunistischen Politik und Theorie, die 1939 von der Berner Konferenz und 1944/45 im Zuge der Vorbereitungen der Parteispitze auf die Nachkriegszeit weiter ausgearbeitet und vertieft wurde, im Prinzip auch nach 1945 die konzeptionelle Grundlage der Politik der KPD und zunächst auch der SED bildete.

In den Zusammenhang der Brüsseler Konferenz hinein ragt auch ein spezielles historisches Gepäck, das die deutschen Kommunisten nach 1945 als tickende, durch Sprachlosigkeit scharfgestellte »Zeitbombe« (Günter Benser) mit sich herumtrugen: Führende Vertreter der 1934/35 unterlegenen Gruppe in der Parteiführung – Hermann Schubert und Fritz Schulte – und einige weitere Teilnehmer der Konferenz fielen in den Jahren danach den Massenrepressalien in der Sowjetunion zum Opfer, als diese auch die deutschen Exilkommunisten erfassten. Zu diesem Komplex fand die SED-nahe Geschichtsschreibung bis zu ihrem Ende kein Verhältnis (und konnte vielleicht auch keines finden): Diese Genossen wurden nicht »verschwiegen«, sie blieben aber in doppelter Weise – als »Sektierer« und als Opfer der Repressionen – unterbelichtet.

Gewaltige Leistung

Gegen Ende des Jahres 1934 ging die Parteiführung aufgrund der ihr vorliegenden Informationen davon aus, dass nach der ersten Welle harter faschistischer Verfolgungsmaßnahmen von den 360.000 Mitgliedern, die die Partei im Januar 1933 hatte, noch rund 60.000 organisatorisch erfasst und politisch aktiv waren. Weitere 60.000 galten als inhaftiert, rund 2.000 als getötet. Ende 1934 existierten nach einer Reihe von Maßnahmen zur Dezentralisierung der Leitungsstrukturen 48 Bezirksleitungen, die zum Teil nach Verhaftungen immer wieder neu aufgebaut worden waren. Das zeigt, wie entschlossen die Partei war, ihren Apparat im Untergrund möglichst zu erhalten. Bis zur Verhaftung der Mehrheit ihrer Mitglieder im März 1935 arbeitete im Inland auch eine Landesleitung, die noch von dem im November 1933 verhafteten und am 1. Februar 1934 ermordeten John Schehr eingesetzt worden war. Unter dem Strich war diese (vorläufige) Absicherung der illegalen Existenz der Partei unter den Bedingungen einer faschistischen Diktatur, die 1933 den Terror zuerst gegen die Kommunisten gerichtet hatte, eine gewaltige Leistung – vom einst riesigen Apparat und den millionenstarken Organisationen der ADGB-Gewerkschaften und der deutschen Sozialdemokratie war zu diesem Zeitpunkt im Inland nahezu nichts mehr vorhanden.

Die Mitglieder des Politbüros Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Hermann Schubert, Fritz Schulte, Wilhelm Florin und Franz Dahlem waren nach der Verhaftung Ernst Thälmanns nach und nach aus Sicherheitsgründen nach Paris gegangen. Im ­Januar 1935 wurde der Sitz des Politbüros nach Moskau verlegt. Ulbricht und Dahlem, der sich 1934 noch einmal mehrere Monate lang illegal in Deutschland aufgehalten hatte, gingen nach Prag, um von dort aus über Kuriere mit der Landesleitung und anderen im Inland arbeitenden Funktionären Verbindung zu halten.

Ebenfalls im Januar 1935 wurde entschieden, unmittelbar nach dem VII. Weltkongress eine Parteikonferenz einzuberufen, an der die KPD-Delegation für den Weltkongress und Vertreter von Parteiorganisationen aus Deutschland teilnehmen sollten. Die Delegiertenzahl wurde begrenzt und die Delegierten wurden streng überprüft – um die Einschleusung von Spitzeln zu verhindern, aber offensichtlich auch, um auszuschließen, dass auf der Parteikonferenz eine nicht gänzlich auf der ­Linie des Weltkongresses liegende Mehrheit zustande kam. So wurden etwa Mitglieder des Zentralkomitees, die sich in der Sowjetunion oder anderen Exilländern aufhielten und ihre Teilnahmeabsicht signalisiert hatten, nicht als Delegierte zugelassen.

Die politische Vorgeschichte der Brüsseler Konferenz begann allerdings bereits im Sommer 1934, als sich die Meinungsverschiedenheiten in der Parteiführung scharf ausgeprägt hatten. Diese Meinungsverschiedenheiten betrafen in der Hauptsache die Frage der Stabilität des Naziregimes und allgemeiner die nach der Möglichkeit einer Stabilisierung des Kapitalismus; die damit verbundene Frage nach der Tragfähigkeit der Orientierung auf einen kurzfristigen »revolutionären Aufschwung« und damit nach dem realen Masseneinfluss der KPD und ihrer Möglichkeiten, selbstständig auf einen Sturz der faschistischen Diktatur hinzuarbeiten; die Frage nach dem Charakter der Sozialdemokratie und der Tauglichkeit bestimmter Begriffe (»Sozialfaschismus« und »soziale Hauptstütze der Bourgeoisie«) und damit verbunden die des Verhältnisses zu den Sozialdemokraten und hier insbesondere zu den seit dem VI. Weltkongress als besonders gefährlich betrachteten und bekämpften linken Sozialdemokraten; die Gewerkschaftspolitik; die Frage, ob eine Einheitsfrontpolitik anzulegen sei als verabredetes Bündnis auch mit den Führern der Sozialdemokratie oder aber von vornherein als Versuch, die sozialdemokratischen Arbeiter von ihren Führen und Organisationen zu trennen und für die KPD zu gewinnen; und schließlich die Frage nach der systematischen Arbeit in faschistischen Massenorganisationen wie der Deutschen Arbeitsfront. Über alle diese Fragen wurde bei der Brüsseler Konferenz ausführlich gesprochen.

Schlüsselfrage Sozialdemokratie

Bei einer Sitzung des EKKI-Präsidiums am 9./10. Juli 1934 wurde die deutsche Partei erstmals nachdrücklich darauf hingewiesen, dass es erforderlich sei, das Verhältnis zur Sozialdemokratie zu überdenken. Pieck, der in den nun offen ausgetragenen Auseinandersetzungen zusammen mit Ulbricht für die Minderheit in der Parteiführung sprach, erklärte es in dieser Sitzung zu einem »Fehler der Führung«, dass es nicht gelungen sei, den Genossen »unten« begreiflich zu machen, »dass vor uns der gefährlichste Feind steht, der Faschismus, der Kapitalismus, und dass gegenüber der Niederringung dieses Feindes die Differenzen, die wir mit den Führern der Sozialdemokratie auszutragen haben, zurücktreten müssen«. Schubert hatte dagegen bekräftigt, dass für ihn lediglich eine Zusammenarbeit mit »sozialdemokratischen Gruppen« in Frage komme, die aber am Ende auch zu deren »Liquidierung«, also ihrer Eingliederung in die KPD, führen müsse.

Die danach im August 1934 vorgelegte Resolution des Zentralkomitees war ein Kompromiss der beiden Linien und stellte deshalb keine Seite zufrieden. In dem Dokument wurde einerseits eine »Abkapselung« der Kommunisten von den sozialdemokratischen Arbeitern kritisiert und eingeräumt, dass der Masseneinfluss der KPD nicht ausreiche, um selbst in »günstigen Situationen« wie nach dem »Röhm-Putsch« »breite Massenaktionen gegen die Hitler-Diktatur auszulösen«. Von einem unmittelbar bevorstehenden Kampf um ein »Räte-Deutschland« war keine Rede mehr. Mit einem Bekenntnis zum Wiederaufbau der freien Gewerkschaften und zur Gewerkschaftseinheit wurde die Gewerkschaftspolitik durch den damit ausgesprochenen Verzicht auf kommunistische Sonderorganisationen in einer wesentlichen Frage korrigiert. Gleichzeitig wurde die Partei aber erneut darauf orientiert, allein mit »sozialdemokratischen Gruppen« Vereinbarungen zu treffen und letztlich auf die »Vereinigung dieser Gruppen mit der KPD« hinzuwirken.

Nachdem Ulbricht im Oktober 1934 in einem an linke Sozialdemokraten gerichteten Artikel die Bereitschaft der Kommunisten zur Aktionseinheit mit Sozialdemokraten ohne Vorbedingungen und unter Zurückstellung prinzipieller Meinungsverschiedenheiten erklärt hatte, kam es kurz danach bei einer Aussprache aller Mitglieder des Politbüros in Paris zu einem offenen Schlagabtausch, der deutlich machte, dass die Mehrheit der Parteispitze vor dem Hintergrund der beharrlich verteidigten Annahme einer ausweglosen Krise des Naziregimes weiter daran festhielt, die Sozialdemokratie als Hauptstütze der Bourgeoisie zu betrachten (was eine Bündnispolitik effektiv ausschloss) und es ablehnte, einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Faschismus und Sozialdemokratie zu machen. Erbittert stritt man sich darüber, ob in der KPD die Gefahr »linker« oder »rechter« Abweichungen die größere sei. Pieck und insbesondere Ulbricht wurde von der Mehrheit, die von sich behauptete, für die Fortsetzung der Politik Ernst Thälmanns zu stehen, vorgehalten, die Partei auf einen »rechten« Kurs drängen zu wollen.

Diese Eskalation wurde letztlich durch eine Intervention der Kommunistischen Internationale beendet. Das EKKI-Präsidium verurteilte nach einer mehrtägigen Aussprache am 19. Januar 1935 die Politik der Mehrheit des KPD-Politbüros. Anschließend gingen Florin und Dahlem auf die Positionen der bisherigen Minderheit über, wodurch der dominierende Einfluss der »Sektierer« im obersten Leitungsgremium der Partei beseitigt wurde. Die am 30. Januar 1935 zum zweiten Jahrestag der Machtübergabe an die Nazis vorgelegte Entschließung des Zentralkomitees orientierte bereits auf die »proletarische Einheitsfront« und die »antifaschistische Volksfront« zum »Sturz der faschistischen Diktatur«.

In dieser Resolution, in der bewusst das Wort »Wendung« verwendet wurde, standen allgemeine soziale und demokratische Forderungen im Vordergrund, zudem wurde eine Zusammenarbeit auch mit allen dazu bereiten sozialdemokratischen Leitungen in Aussicht gestellt. Damit begann die Partei ihre Politik vollständig auf den Kampf gegen den Faschismus und den Sturz des Naziregimes auszurichten. Diese Umschwenkung der Politik der KPD erfolgte zwar etwas später als in den kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens, aber trotz der deutlich größeren Widerstände in der Parteispitze noch vor dem VII. Weltkongress.

SPD lehnt ab

Bereits im Februar 1935 schlug die KPD der SPD vor, sich über ein gemeinsames Vorgehen bei den von den Nazis für April angesetzten Vertrauensrätewahlen in den Betrieben zu verständigen. Der Vorschlag wurde allerdings ebenso wie ein Anfang Juni 1935 unterbreitetes Angebot, einen gemeinsamen politischen Aufruf auszuarbeiten, von der Gruppe verbissener Antikommunisten um Otto Wels, die den SPD-Exilvorstand in Prag beherrschte, abgelehnt.

Die Aufgabe, die der Parteikonferenz im Oktober noch blieb, war also nicht die Entscheidung des zur Jahreswende 1934/35 eskalierten Richtungsstreits, sondern neben einer umfangreichen sachlich-inhaltlichen Auswertung der Arbeit der Partei vor und nach 1933 die Konkretisierung und Vertiefung der Beschlüsse des VII. Weltkongresses mit Blick auf Deutschland und deren Durchsetzung innerhalb der Partei. Dass gegen die neue Linie insbesondere mit Blick auf das Verhältnis zur SPD erhebliche Vorbehalte bestanden, hatten Ulbricht und Dahlem in den Gesprächen mit Funktionären aus dem Inland, die sie zwischen Februar und Juli 1935 in Prag führten, schnell festgestellt. Wohl auch deshalb wurde Pieck in seinem Referat bei der Brüsseler Konferenz, in dem er die Einseitigkeit des »Hauptstoßes« gegen die Sozialdemokratie vor 1933 als entscheidenden Fehler kritisierte, besonders deutlich: »Wir hätten also unseren Kampf gegen die Sozialdemokratie in ein richtiges Verhältnis zu dem Kampf gegen den angreifenden Faschismus bringen müssen, das ist nicht geschehen, und darin liegt unser schwerster Fehler in der Ausarbeitung unserer politischen Linie.«

Auch diejenigen, die seit 1928 persönlich in besonderer Weise für die »sektiererischen« Zuspitzungen Verantwortung getragen oder sich mit ihnen identifiziert hatten, waren im Oktober 1935 nicht mehr bereit, diese Politik offensiv zu verteidigen. Am vierten Tag der Konferenz wurde eine Erklärung des 1932 auf Betreiben Ernst Thälmanns aus der Arbeit in Deutschland abgezogenen Heinz Neumann verlesen, in der dieser konstatierte, dass Thälmann seit 1930 die folgende Position vertreten habe: »Der Faschismus wird zur Hauptgefahr für das deutsche Proletariat, wir müssen unsere Taktik ohne jedes Zögern umstellen und das Schwergewicht unserer gesamten Tätigkeit auf die Herstellung der Einheitsfront mit den sozialdemokratischen Arbeitern verlegen.« Neumann räumte dann ein, dieser »taktischen Neuorientierung« bei »den verschiedensten Anlässen« einen Widerstand entgegengesetzt zu haben, »der auf einer falschen sektiererischen Grundeinstellung beruhte«. Er habe auch versucht, durch »organisierte Gruppenarbeit einen Druck auf die Parteiführung im Sinne meiner sektiererischen Auffassungen auszuüben« und diesen »Gruppenkampf« erst im Frühjahr 1933 eingestellt. Seine Auffassungen seien gekennzeichnet gewesen durch »eine Überschätzung unserer eigenen Kräfte, eine krasse Unterschätzung des faschistischen Klassenfeindes, eine gefährliche Verwechslung der eigenen Wünsche mit der politischen Wirklichkeit«.

Die Annahme dieser Erklärung lehnte die Konferenz allerdings mit dem Hinweis ab, dass Neumann nicht zu trauen sei. Die Mehrheit der Konferenz war entschlossen, bestimmte besonders exponierte Vertreter des »sektiererischen« Kurses aus der Parteispitze abzuziehen – auch dann, wenn sie sich, wie Schubert, nun »restlos« zu den Beschlüssen des VII. Weltkongresses und wie Schulte zu einer »völligen Revidierung« des Verhältnisses zur Sozialdemokratie bekannten. Das hatte vermutlich, wie die Bestätigung der Führungsfunktionen von Dahlem und Florin zeigt, gar keine politischen Gründe – viel spricht dafür, dass in bestimmten Fällen eine Zusammenarbeit aufgrund der ausgeprägten persönlichen Animositäten nicht mehr möglich war. Das zumindest legt etwa ein im Protokoll vermerkter Wortwechsel zwischen Schubert und dem von der Brüsseler Konferenz zum Mitglied des ZK gewählten Herbert Wehner nahe, bei dem Wehner von Schubert mit den Worten »Halt doch die Schnauze dahinten« angefahren wurde.

Langfristige Wirkung

Von langfristiger Bedeutung war nicht zuletzt die von der Brüsseler Konferenz vorgenommene Orientierung auf die »Schaffung der politischen Einheit der Arbeiterklasse und die Schaffung einer einzigen revolutionären Massenpartei des Proletariats«. Diese Partei sollte allerdings programmatisch auf den revolutionären Sturz der bürgerlichen Klassenherrschaft und die Errichtung der Diktatur des Proletariats festgelegt sein – ein Beleg dafür, dass die Teilnehmer der Konferenz nicht bereit waren, ein allgemeines antifaschistisch-demokratisches Bekenntnis zur politischen Grundlage einer solchen Einheitspartei zu machen. Charakteristisch für den weitaus größten Teil der nach 1990 erschienenen Literatur zur Geschichte der KPD zwischen 1933 und 1945/46 ist übrigens, dass darin diese und andere Einschränkungen der »Wendung« in der Politik der Partei von rechts kritisiert werden: Hinter der Klage über die angebliche Fortdauer »sektiererischer« und »dogmatischer Verkrustungen« auch nach der Brüsseler Konferenz verbirgt sich letztlich der Vorwurf, dass die Partei überhaupt noch eine politisch-inhaltliche Abgrenzung von der Sozialdemokratie vornahm.

Seit 1946 wurde die Brüsseler Konferenz in der »amtlichen« Parteigeschichtsschreibung als (13.) Parteitag der KPD gezählt. Unter rein organisationsgeschichtlichen Gesichtspunkten war sie das zweifellos nicht – dazu war der Kreis der Teilnehmer zu klein, und eine ordentliche Delegierung von Vertretern aus der Breite der Partei hatte unter den Bedingungen von Illegalität und Exil nicht stattfinden können. Politisch-inhaltlich ist diese Zählung aber gerechtfertigt. Die Brüsseler Konferenz schloss endgültig jene Phase der Parteigeschichte ab, die mit der 1928 erfolgten »ultralinken« Schwenkung der Gesamtpolitik der KPD eingeleitet und seit 1932/33 schrittweise und, wie gesehen, unter Kämpfen revidiert worden war.

Die vollständige Umstellung auf die Bedingungen des Kampfes gegen die faschistische Diktatur ging insbesondere einher mit der Absage an die Vorstellung, die kommunistische Partei habe ihre Politik offensiv auf einen »revolutionären Aufschwung« auszurichten. Das war, nimmt man nur den Stand der Diskussion in der kommunistischen Bewegung im Jahr 1935 in den Blick, aber zunächst nur eine Orientierung für die Zeit, die bis zum Ende der faschistischen Herrschaft vergehen würde – für eine Herbeiführung dieses Endes war die Zusammenfassung breitester Massen auch außerhalb der Arbeiterklasse nötig, und das war mit dem nun pauschal als »sektiererisch« abqualifizierten Revolutionsprogramm nicht zu machen.

Zehn Jahre nach der Brüsseler Konferenz erfolgte der Sturz der Nazidiktatur dann allerdings nicht von innen heraus durch eine breite antifaschistische Volksbewegung, für die die KPD alles getan hatte, sondern von außen durch den Einmarsch der Armeen der Antihitlerkoalition. Ein solches Szenario ist 1935 natürlich gar nicht diskutiert worden. Es setzte schließlich aber den in gewisser Weise »künstlichen« Rahmen für die weitere Politik der Partei, und es wäre auch mit Blick auf die heutige absolute Marginalisierung der kommunistischen Bewegung in Deutschland sicher lohnend, einmal über die Frage nachzudenken, ob zwar nicht die unbestreitbar erforderliche politische Schwenkung von 1935, aber doch der 1945 unter geänderten Vorzeichen fortgesetzte Kampf gegen das »Sektierertum« und die im gesamtdeutschen Maßstab rasch am Antikommunismus der potentiellen Bündnispartner gescheiterte, aber für das politische Modell der DDR bis zum Schluss prägende Vorstellung der »Einheit« aller antifaschistisch-demokratischen Kräfte die dauerhafte Etablierung einer politisch selbständigen kommunistischen Partei mit Masseneinfluss nicht mehr behindert als gefördert haben.

Leo Schwarz schrieb an dieser Stelle zuletzt am 11. Juni 2025 über die Neukonstituierung der KPD 1945: Ein ganz anderer Weg.

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  • Leserbrief von Wolfgang Schlenzig aus Berlin (6. Oktober 2025 um 16:34 Uhr)
    Ob es sich lohnt, der Frage nachzugehen, ob es eine extra kommunistische Partei geben sollte und ob die hinderlich ist für eine antifaschistisch-demokratische Gesellschaftsordnung, muss man sich fragen, was eine solche Ordnung grundsätzlich charakterisieren sollte. Können Kommunisten einer solchen Ordnung zustimmen, dort mitwirken, wenn die Grundsätze des Kapitalismus, das Privateigentum an Produktionsmitteln, Profitstreben, Konkurrenzkampf und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen unangeatastet bleiben? Nein! Das aber wollen die SPD- und auch eine Menge Gewerkschaftsführer nach wie vor gestatten. Das führt zu keiner wirklichen Befreiung vom Faschimus zu keiner wirklichen Demokratie.
    Beispiele, wie es sein könnte, liefern die ersten Verfassungen der Länder Bayern und Hessen nach dem Zweiten Weltkrieg. Dort geht es um Gemeinwohl, Enteignung und zumindest Staatseigentum einer demokratischen Gesellschaft. Aber das wurde durch die Westalliierten und die wieder erstarkten Faschisten sowie leider auch durch die rechten SPD-Führer schnell wieder ad acta gelegt. Dort, wo die Kommunisten nur mit dabei waren in Volksfrontregierungen, nahm die Konterrevolution blutige Rache.
    So geht es also nicht. Wir sehen das auch jetzt mit der Vergesellschaftung der Wohnungskonzerne. Die Partei Die Linke kann also nicht bissig links genug sein, aber muss volkstümlich verständlich und klar argumentativ sein (man denke an die Kuh im Propeller!) und sich trotzdem um die anderen – wo auch immer, in SPD, FDP und gar AfD – bemühen. Sie dürfen sich von den Bürgerlichen nicht das Sektierertum aufzwingen lassen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Hans Christoph Stoodt aus Frankfurt am Main (4. Oktober 2025 um 14:27 Uhr)
    Wann hat die Volksfront je gesiegt? Es ist dankenswert, dass der Artikel die Opfer benennt, ohne die der Volksfrontkurs der Komintern nach dem VII. Weltkongress in der KPD-Führung offenbar nicht durchsetzbar war. Die Auseinandersetzungen in der Führung der Partei nach 1933 und bis zur Berner Konferenz 1939 bergen noch eine Fülle unbeantworteter Fragen, z. B. bezüglich der Methoden, mit denen die neue Linie innerparteilich durchgesetzt wurde. Die dabei handelnden Personen (z. B. Herbert Wehner im Fall Leo Flieg), aber auch die Motive und Argumente der »Gruppe Thälmann« im Politbüro vor der Brüsseler Konferenz, die sich der Volksfrontlinie massiv widersetzte – neben Schubert und Schulte auch Wilhelm Florin und Franz Dahlem – das alles muss weiter aufgeklärt und darf nicht nur aus der Sicht der zeitweiligen Sieger betrachtet werden. Der »schwerste Fehler« der Brüsseler Konferenz aber könnte es gewesen sein, im Rahmen der Weichenstellung von der Einheits- zur Volksfrontpolitik die »Zwischenstufe« einer zu erkämpfenden demokratischen Republik vor den Kampf um die sozialistische Revolution zu setzen. Die Berner Konferenz steigerte diese Forderung – weit über die entsprechenden Äußerungen Dimitroff vor dem VII. Weltzkongress hinaus – noch in der Forderung nach einer »neuen demokratischen (nämlich: bürgerlichen) Republik«. In Italien nannte Togliatti das 1944/45 »progressive Demokratie« und favorisierte deren Aufbau, statt die revolutionäre Situation ab April 1945 zu nutzen. In Spanien lag nach dem faschistischen Putsch im Juli 1936 eine revolutionäre Situation vor, aber die PCE befolgte die Volksfrontlinie und kämpfte trotz bester Aussichten nicht um die Macht. Die KPD befolgte diese Linie mit ihrem Aufruf vom 11. Juni 1945, die DKP mit der »antimonoplistischen Demokratie/Strategie« bis heute – erfahrungsresistent? Es wird Zeit, die Frage zu stellen: Wann und wo hat die Volksfront je gesiegt? Und was bedeutet das für eine revolutionäre Strategie heute?
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich Hopfmüller aus Stadum (3. Oktober 2025 um 22:21 Uhr)
    Vielen Dank für diesen recht detaillierten Artikel zum extrem wichtigen Thema der »Frage nach politischen Fehlern und nach den Ursachen der Niederlage der Arbeiterbewegung von 1933«. Welche Entscheidung oder Argumentation in einer bestimmten Situation und Zeit »richtig« und »falsch« ist, weiß man erst hinterher, »ist« muss man also durch »war« ersetzen. Nicht umsonst spricht man von Politik als Kunst des Möglichen. Dieser Artikel schränkt sich auf die Brüsseler Konferenz der KPD im Oktober 1935 ein. Das ist legitim, dehnt die Fragestellung dann aber doch bis in die jüngere Vergangenheit aus. Die Floskeln »Sozialfaschismus« und »Antikommunismus« werden pauschal in gewohnter Manier verwendet. Es wird zwar erwähnt, »dass der Faschismus« sich »auf eine relativ breite Massenbasis stützen konnte«, aber nicht analysiert, warum. Nach meiner Auffassung fehlt der Aspekt, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Irgendwelche gerne ins Feld geführte Manipulationstheorien helfen nicht weiter! Wichtig zu erwähnen ist die damalige Fehleinschätzung sowohl von sozialdemokratischer als auch von kommunistischer Seite, der Faschismus sei eine kurzfristige Erscheinung und zum Scheitern verurteilt gewesen. Nach meiner bescheidenen Meinung springt die Frage, ob »die dauerhafte Etablierung einer politisch selbständigen kommunistischen Partei mit Masseneinfluss« wegen »bis zum Schluss prägende[r] Vorstellung[en]« besonders wichtig ist, zu kurz. Die Bananenrepublik hatte halt (offenbar, scheinbar?) mehr zu bieten als die Demokratische. Das i-Tüpfelchen: Ist Sozialismus in einem Lande möglich? Da reden wir noch gar nicht von Kommunismus. Wie sieht die Zeitskala aus? Seit Erfindung der doppelten Buchhaltung sind ein paar Tage vergangen und der Kapitalismus ist immer noch nicht zusammengeklappt, Abstieg des Hegemons hin oder her.

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