Ziehsohn wird Konkurrent
Von Luc Śkaille, Luméville-en-Ornois
Mit der erneuten Staatskrise in Frankreich stellt sich die brennende Frage der Nachfolge im Hôtel Matignon. Mitverantwortlich für den Sturz der Regierung von Premierminister François Bayrou nach gerade einmal neun Monaten zeichnet der Rassemblement National (RN). Marine Le Pens rechtsradikale Partei gibt sich kämpferisch und verfolgt offenbar trotz Spaltungen im RN einen Plan mit dem Hauptziel, Stimmung gegen ihr Kandidaturverbot und die »Republik der Richter« zu machen.
Der Rassemblement National war das Zünglein an der Waage, wegen dessen Stimmen Bayrou dieser Tage seine Koffer packen muss. Das bürgerliche Rechtsbündnis um den scheidenden Premierminister hatte gehofft, noch einmal vom RN verschont zu bleiben. Doch das angedrohte Kürzungspaket von fast 44 Milliarden Euro – zu lasten der Werkstätigen, Rentner und Bedürftigen – führte in Frankreich diesen Sommer zu einem Raunen von Links bis Rechtsaußen. Die Macronisten hatten die wahnwitzige Rechnung einer völlig aussichtslosen Vertrauensfrage am Montag ohne die Erbin des Le-Pen-Clans gemacht, die nun vorerst ihren Ziehsohn Jordan Bardella in den Ring schubsen dürfte.
Früher als gedacht könnte der 29jährige damit ins Rennen um Matignon einsteigen und Le Pen ein gefährlicher Konkurrent werden, den es im Zaum zu halten gilt. Der aalglatte Bardella genießt schließlich im bürgerlichen Milieu der Besserverdienenden und Kapitalisten größeres Ansehen als die vormalige RN-Chefin. Er würde in der Matignon-Entourage kaum auffallen. Doch selbst im Falle einer ernstgemeinten Kandidatur erscheint zum jetzigen Zeitpunkt undenkbar, dass Macron einen faschistischen Premier ernennen würde, ohne ihn politisch für dessen Lager zu verbrennen. Die sich selbst weiterhin als »einzig legitime Kandidatin für die Präsidentschaft« sehende Le Pen will Bardella nicht nur kurzfristig »parken«. Sie will unbedingt einen »Plan B« für die Präsidentschaft 2027, ergo Bardella als Kandidat für das höchste Amt abwenden, und strebt persönlich an die Staatsspitze.
Sie dürfte registriert haben, dass die anstehende Destabilisierung der Institutionen durch die Austeritätsproteste auf der Straße auch ihr nutzen könnten. Schon bei den »Gelbwesten«- aber auch den Bauern- und Rentenprotesten konnte der RN in der Vergangenheit seine Demagogie an »den kleinen Mann« bringen. Die Einwilligung in Bayrous Sturz dürfte hier auch als Test verstanden werden, um zu prüfen, wie sehr die ökonomisch prekär lebende Basis, die zuletzt flächendeckend RN wählte, durch die Veruntreuungsaffären der Partei verunsichert wurde. Le Pen hat jedenfalls begriffen, dass das politische Momentum perfekt ist, um Macron schon jetzt in die Enge zu treiben.
Beim wichtigsten Versuch Le Pens geht es jedoch darum, die Anwendbarkeit des gegen sie verhängten Wahlverbots wegen der fiktiven Mitarbeiter im EU-Parlament juristisch prüfen zu lassen. Und zwar dort, wo sie verankert ist: im (post-)industriellen Nordosten. Von einem spektakulären Heimspiel verspricht sich Le Pen ihre große Popularität auszuspielen und diese als juristisches Argument zu nutzen, wenn ihre Aufstellung abgelehnt und dann verfassungsrechtlich auf Verhältnismäßigkeit geprüft würde. Genau das wird vom RN anvisiert, um nach einem Berufungsverfahren, das schon für kommendes Jahr erwartet wird, Le Pen aller Widrigkeiten zum Trotz zur Präsidentschaftskandidatin zu krönen.
Die Strategie scheint der faschistisch gesinnten Basis zu gefallen, so sie diese denn durchschauen kann. Laut einer jüngsten Umfrage des IFOP-Instituts standen die RN-Anhänger schon vor Wochenbeginn zu 86 Prozent für Neuwahlen ein. Kämpferisch positionierte sich Marine Le Pen dementsprechend, nachdem das Misstrauensvotum gegen Bayrou auf dem Tisch war. Neuwahlen seien die Chance für »das französische Volk, seine Bestimmung zu erfahren; die einer Genesung durch den Rassemblement National«, teilte die 57jährige auf der Plattform X mit.
Die kommenden Wochen mit ihren zu erwartenden Protesten der sozialen Bewegungen könnten einen Hinweis auf die politische Grundstimmung geben, die die absehbaren Neuwahlen begleiten werden. Schon jetzt steht fest, dass der Rassemblement National in der Neusortierung der parlamentarischen Machtverhältnisse Frankreichs mitmischen wird – und zwar unter der Führung von Marine Le Pen.
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