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Aus: Ausgabe vom 13.09.2025, Seite 12 / Thema
Weimarer Republik

Tendenz: revolutionär

Vor hundert Jahren erschien das Pamphlet »Die Kunst ist in Gefahr« von George Grosz und Wieland Herzfelde
Von Stefan Ripplinger
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Stets angriffslustig: George Grosz (l.) und John Heartfield (r.) beim Boxen – im Hintergrund Wieland Herzfelde (Berlin, zu Beginn der 1920er Jahre)

Kunst und Kommunismus könnten ein fabelhaftes Paar abgeben, doch in der Moderne leben sie fast immer in trauriger Mésalliance. Darüber, warum das so ist, gibt es viele Bücher, das vielleicht komischste von ihnen heißt »Die Kunst ist in Gefahr«. Das nur 45 Seiten umfassende Bändchen des Künstlers George Grosz (1893–1959) und des Verlegers Wieland Herzfelde (1896–1988) erschien 1925, in dem Jahr, in dem die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) auf ihrem X. Parteitag beschloss, die Künstlerinnen und Künstler stärker in den politischen Kampf, insbesondere in die Propaganda, einzubeziehen. Kunst sei eine »Waffe im Klassenkampf«, lautet eine 1928 ausgegebene Devise.

Auch »Die Kunst ist in Gefahr« plädiert leidenschaftlich dafür, die Kunst möge sich in den Kampf werfen. Doch führt das Büchlein zugleich vor Augen, wie schwierig das werden wird. Denn auch wenn es sie zu versöhnen versucht, nimmt es doch wider Willen die Unvereinbarkeit zweier politisch-ästhetischer Standpunkte vorweg: des individualistisch-anarchistischen und des kollektiv-kommunistischen. Der erste Standpunkt ist der von Grosz, der zweite der von Herzfelde.

Obwohl Grosz und Herzfelde gleichberechtigt als Autoren zeichnen, erschien der letzte der drei kurzen Aufsätze des Bändchens – »Statt einer Biographie« – schon 1920/21 in der Zeitschrift Der Gegner als Beitrag von Grosz. Ebenfalls von Grosz allein stammt der Aufsatz »Paris als Kunststadt«; als »Pariser Eindrücke« war er Teil des von Carl Einstein und Paul Westheim herausgegebenen »Europa-Almanachs« (1925). Und auch der titelgebende Aufsatz von »Die Kunst ist in Gefahr« zeigt überdeutlich die Pranke von Grosz. Wie schon die Zeichnung auf dem Cover andeutet, die einen verbitterten Eierkopf hinter seiner Staffelei zeigt, wollte sich Grosz mit der Kunst aus Akademie und Markt anlegen. Erst ganz am Ende des Textes gibt sich mit dem Aufruf an die Künstlerschaft, sich kommunistisch zu engagieren, der Koautor zu erkennen. Insbesondere der prominente Begriff der »Tendenzkunst« erinnert daran, dass Herzfelde bereits 1921 einen nüchternen und reflektierten Aufsatz zum Thema vorgelegt hat: »Gesellschaft, Künstler und Kommunismus«.

Ein Kaufmann aus Holland

Wie Herzfelde in einer köstlichen Erinnerung (enthalten in »Immergrün«, 1949) erzählt, lernte er Grosz 1915 bei dem Maler Ludwig Meidner kennen. In dem pazifistischen Bohèmekreis, in dem Herzfelde damals verkehrte, fiel Grosz damit auf, dass er makellos gekleidet war und sich (wenn auch nur zum Spaß) für den Krieg aussprach. Er gab sich als Kaufmann aus Holland aus, der mit einer dreisten Geschäftsidee reich zu werden gedenke: Kriegskrüppel sollten Granatsplitter als Andenken mit Zierbuchstaben bemalen: »Jeder Schuss ein Russ« oder »Aus großer Zeit«.

Den Protesten seiner empörten Zuhörer entgegnete der angebliche Kaufmann aus Holland: »Warum wollen Sie dem einfachen Mann aus dem Volke das Glück vorenthalten, zu sich und seinen Angehörigen später einmal, zum Beispiel im nächsten Krieg, sagen zu dürfen: ›Ich war damals schon dabei!‹, und zum Beweis auf den Schreibtisch oder die Anrichte zu deuten, wo er so ein niedliches Andenken zu stehen hat.« Herzfeldes Neugier war von diesem flamboyanten Auftritt geweckt, und als Meidner ihm verriet, der Kaufmann sei in Wahrheit Künstler, und kein schlechter, ruhte er nicht, bis er Grosz in dessen Wohnung in Südende (heute Berlin-Steglitz) aufsuchen konnte.

Herzfelde drängte Grosz, ihm seine Zeichnungen zu zeigen, die von der Kunstszene einhellig abgelehnt worden waren. Der Künstler, völlig überzeugt davon, seine Werke seien wertlos, da es nichts gebe, »was Wert hat und nicht gekauft wird«, folgte dem Drängen nur widerwillig. Obwohl als Literat mit der Kunst wenig vertraut, erkannte Herzfelde die »kristallhaft blitzende Schärfe« der Zeichnungen von Grosz und überredete ihn dazu, sie einer Monatsschrift zur Verfügung zu stellen, die freilich erst noch aufgebaut werden musste. Mit Hilfe von Mäzenen, unter anderem Harry Graf Kessler, gelang dem neugebackenen Verleger im Jahr darauf, 1916, die Gründung des Magazins Die Neue Jugend, das Grosz schlagartig berühmt machte. 1917 erschien die »Erste George Grosz Mappe« mit Lithografien. Damit war der Grundstein des Malik-Verlags gelegt, den Herzfelde zu großem Erfolg führte.

Malik war kein rein kommunistischer Verlag, er hatte einen Schwerpunkt in russischer Literatur, brachte aber auch die Bestseller von Upton Sinclair (1878–1968) heraus. Die Buchgestaltung übernahm oft Herzfeldes begnadeter älterer Bruder Helmut, der sich John Heartfield (1891–1968) nannte. Grosz war in den Jahren, in denen er mit dem Kommunismus sympathisierte und auch Mitglied der KPD war, also von Ende des Ersten Weltkriegs bis etwa 1930, ein Pfeiler des Verlags.

Auf ihn als den bittersten Kritiker des militaristischen und präfaschistischen Deutschland und auf seinen Verleger prasselten Klagen und Prozesse nieder. Aber Grosz brach auch selbst Skandale vom Zaun, so, als er – gemeinsam mit Heartfield – den Maler Oskar Kokoschka (1886–1980) als »Kunstlump« beschimpfte. (Ausführlich hierzu: junge Welt vom 1.4.2020) Als nämlich Arbeiter den Kapp-Putsch niederschlugen, verirrte sich eine Kugel in den Dresdner Zwinger und beschädigte ein Gemälde von Peter Paul Rubens. Der davon entsetzte Kokoschka veröffentlichte einen drolligen Aufruf, bei allfälligen politischen Kämpfen künftig die »menschliche Kultur« zu schonen. Grosz und der ihn rückhaltlos bewundernde Heartfield eröffneten daraufhin im Gegner (10–12/1920) das Feuer nicht nur gegen Kokoschka, sondern gegen die Kunst ganz allgemein.

Gesetzwidrige Naturen

Die Paradoxie, dass ein Künstler oder eine Künstlerin die Kunst verachtet, kam aus Dada, einer Bewegung, der auch Grosz, Heartfield und Herzfelde vorübergehend anhingen, und sollte bei No Art, Fluxus und anderer Antikunst wiederkehren. Hatte der Kulturspießer befürchtet, mit Dada sei die »Kunst in Gefahr«, ließ der Antikünstler nichts unversucht, sie tatsächlich in Gefahr zu bringen. Diese Position lässt sich mit Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung vereinbaren, aber sicher nicht mit der seriösen Linken, ob sozialdemokratischer oder kommunistischer Couleur. Auch wenn Grosz und ­Heartfield ihre Aversion gegen die Kunst proletarisch einfärbten, stießen sie damit nicht auf das Wohlwollen der Partei. Ganz im Gegenteil verfolgte deren führende Kunstkritikerin, Gertrud Alexander (1882–1967), einen in Kunstdingen strikt konservativen Kurs. Wie später der Philosoph Georg Lukács orientierte sie die Ästhetik auf die großen bürgerlichen Vorbilder. Kunst sollte zu den Produktivkräften gehören, die das Proletariat, das zu eigener Kunst unfähig sei, von der Bourgeoisie erst noch erwerben müsse. Modernismus war und blieb der Parteiführung ein Graus. Umso bedeutsamer erscheint deshalb Herzfeldes Versuch, eine kommunistische Ästhetik auf der Höhe der Zeit zu entwerfen.

Es kann nicht überraschen, dass Herzfelde, da er selbst kein bildender Künstler war, seine Überlegungen nicht mit der Produktion, sondern mit der Rezeption von Kunst beginnen ließ. Aber überraschend ist doch, mit welcher gedanklichen Sicherheit er in seinem Aufsatz »Gesellschaft, Künstler und Kommunismus« die »inoffizielle Volkskunst« betrachtet, also den an jedem Kiosk zu erwerbenden Schund, die »Abenteurer-, Detektiv-, Kriminal- und Sittenromane«. Diese Produkte befriedigten das »Bedürfnis der Arbeitenden nach des Lebens Buntheit und Mannigfaltigkeit«. Ähnlich wie gut 50 Jahre später Christian Enzensberger in »Literatur und Interesse« (1977/1981) enthielt sich Herzfelde jeder Häme über Kitsch. Ihn interessierte vielmehr, welche sinnstiftende Funktion diese »Volkskunst« erfüllt. Auch wenn sie immer der bürgerlichen Ideologie dient, erleichtert sie doch auch das Leben ihres proletarischen und kleinbürgerlichen Publikums, sonst wäre sie nicht populär. Und wäre es da nicht möglich, die Arbeiterschaft mit ebenso attraktiven kommunistischen Angeboten anzusprechen?

Erst nachdem er Kunst und Literatur so als gesellschaftliches Verhältnis eingeführt hat, geht Herzfelde auf die Künstlerinnen und Künstler selbst ein. Diejenigen, die sich zu fein dünkten, dem Proletariat zu geben, wonach das Proletariat verlangt, zögen sich gern auf »Tendenzlosigkeit« als die höchste Tugend der Kunst zurück, also auf das, was andernorts »Autonomieästhetik« genannt werde. Aber das heiße in der Regel nichts anderes, als blind den Tendenzen der »Öffentlichkeit« zu folgen, und die Öffentlichkeit sei nun einmal »das Angesicht der herrschenden Klasse«.

Herzfelde, der die meisten Künstlerinnen und Künstler Berlins gekannt hat, zeichnet von ihnen ein wenig schmeichelhaftes Porträt: Für die ideologische Aufgabe der Kunstproduktion, ob im Dienst des Proletariats oder der Bourgeoisie, kämen insbesondere »triebstarke und somit gesetzwidrige Naturen« in Frage, die sich nicht in das straff geführte kapitalistische System eingliedern lassen; es sind Misfits, Einsame. Künstlerinnen und Künstler sieht er als gescheiterte Existenzen, die fast immer antibürgerlich gestimmt seien. Gerade darin erkennt er aber ihr Potential.

Als Bürgerschrecke ähnelten Künstler oder Künstlerin dem »Sonntagsjäger, der schießt, damit die wilden Tiere kommen«. Aber wenn sie es ernst meinten, könnten sie tatsächlich revolutionär werden. Dazu sei zweierlei verlangt, etwas Leichtes und etwas Schweres: Leicht sei der Eintritt in die KPD, schwer sei es, die bürgerliche Welt ganz und gar hinter sich zu lassen. Denn die alte Berufstätigkeit fortzusetzen, ist so unmöglich »wie etwa für den kommunistischen Journalisten die Arbeit in einer bürgerlichen Redaktion«.

An dieser Stelle führt Herzfelde eine neue Perspektive ein: die der Partei und der Kommunisten insgesamt. Sie müssten, etwa mit der Schaffung einer »roten Berufsorganisation«, dafür sorgen, dass die Künstlerinnen und Künstler, die den Kommunismus zu ihrer Sache machen, außerhalb des bürgerlichen Marktes, außerhalb auch solch verträumter Inseln der Seligen wie Worpswede überleben können. Es sei nicht zu erwarten, dass die von Natur aus einzelgängerischen Künstlerinnen und Künstler ihren »individuellen Snobismus« sogleich aufgäben. Deshalb sei die Partei gut beraten, wenn sie mit Veröffentlichungen, Preisen und Stipendien deren »Eitelkeit« Zucker gebe.

Vor allem aber müsse die Partei einsehen, dass einer oder eine, der oder die bislang auf eigene Kosten gewirtschaftet hat, sich nicht von heute auf morgen allen Parteibeschlüssen unterwerfen werde: »Leute ablehnen, sie boykottieren, links liegen lassen, überlegen abtun, weil sie einem nicht gleichen, weil sie Fehler begingen, oder weil sie unbequeme Probleme aufrollen – das ist weder revolutionär noch proletarisch.«

Kunst oder Kino?

Herzfeldes Aufsatz liest sich wie eine lange Verteidigungsschrift für seinen Freund Grosz, der sich tatsächlich Ende der zwanziger Jahre von Partei und Bewegung abgewendet hat, 1933 in die USA übersiedelt ist, dort nur mehr selten aufgemuckt und sich in seiner Autobiographie »Ein kleines Ja und ein großes Nein« (1946) von allem Proletarisch-Revolutionären losgesagt hat: »Eine proletarische Kultur konnte es doch nicht geben, wenn man den Sinn des Wortes nicht grob verfälschte. Entwickelte sich der Prolet nach oben, zur Kultur hin, so war er eben kein Prolet mehr in dem Sinne, wie man bisher das Wort verstanden hatte.« Damit lag er schließlich doch auf der Linie von Gertrud Alexander und anderen orthodoxen Kommunistinnen und Kommunisten (von den Bourgeois zu schweigen).

1925 konnte Herzfelde noch die Hoffnung hegen, solche hochnäsigen Ansichten verwüchsen sich mit der Zeit. In dem gemeinsamen Bändchen ließ er deshalb den Freund, zum Vergnügen der Leserschaft, vom Leder ziehen. Am Beginn von »Die Kunst ist in Gefahr« steht eine Generalabrechnung mit sämtlichen Kunstströmungen der Zeit: Da gebe es die Traditionsverweigerer, »in wilder Ekstase schwingt man das Handwerkszeug und malt barbarischer als Ureinwohner. (…) Dann die Futuristen, die Simultan-Anbeter und Geräusch-Verehrer. Wieder andere mischen aus altrussischem Heiligenbild und aufgesüßtem Kubismus ein großstädtisches Ragout-fin (…). Dann die Maler der Scholle (…) und die hundertprozentig deutschen Maler (…) auch allerhand Eigenbrötler, die, wie Kubin, Ensor und Doms, trotz Automobil und Radio immer noch an Hexen, Feen, Lurche und Nachtspuk glauben.« Und so weiter.

Während Grosz in der Kunst der 1920er Jahre eine »tolle und verwirrte Materie«, eine ebenso chaotische wie haltlose Vielfalt erkannte, sah Ernst Bloch wenig später (»Erbschaft dieser Zeit«, 1935) lediglich zwei Tendenzen: Expressionismus und Neue Sachlichkeit. Dabei zeige, so Bloch, der Expressionismus die Welt so zerrissen, wie sie ist, während die Neue Sachlichkeit – das »Ideal der Stümper und Oberlehrer« – das Zerrissene flicken wolle und einen »Hass gegen Phantasie« ausagiere. Grosz konnte sich in dieser Situation höchstens an der kühlen Sachlichkeit der Konstruktivisten erfreuen, aber im Grunde schienen ihm Malerei und Graphik unrettbar verloren: »Mit der Erfindung der Photographie begann die Dämmerung der Kunst. Sie ging ihrer Rolle als Berichterstatterin verlustig. Die romantischen Sehnsüchte der Masse werden im Kino befriedigt, dort findet Liebe, Ehrgeiz, der Drang ins Unbekannte und zur Natur genügend Nahrung, auch wer Aktualitäten oder historisches Gepränge liebt, kommt auf seine Kosten.«

Diese Einsicht war nicht weit entfernt von dem Funktionalismus, mit dem Herzfelde vier Jahre zuvor das Verhältnis von Kulturproduktion und Masse untersucht hatte. Gerade der Funktionalismus aber verschob den Schwerpunkt der Überlegungen von der Kunst selbst auf deren Gebrauch. Die Frage »Warum Kunst, wenn es Kino gibt?« musste nicht mehr beantwortet werden, da nun eine Funktion der Kunst feststand: Sie war, wenn auch als überkommene Form, dazu bestimmt, »im Dienste der revolutionären Sache« zu stehen.

Kotzdämliche Propaganda

Nun war allerdings zu klären, auf welche Weise den revolutionären Anforderungen zu genügen wäre. Ran an die Masse, ja, aber wie? Als zeitgemäße operative Mittel der Propaganda boten sich zuerst Foto und Film an, und tatsächlich entstanden einige kommunistisch orientierte Filmfirmen (Prometheus, Weltfilm, Volksfilmverband). Was die bildende Kunst betrifft, ergab sich aus der Aufgabenstellung von selbst, dass das Tafelbild als Unikat nicht die erste Wahl sein konnte. Grosz, der ein großartiger Maler war und um das Jahr 1920 auch Wandbilder entwarf, stellte für einige Jahre die Malerei zugunsten der Grafik zurück. Federzeichnungen, Drucke, Collagen waren leicht reproduzierbar und konnten unmittelbar in den politischen Kampf eingreifen. Auffällig an Grosz’ Zeichnungen ist, dass sie über das bloß Karikaturale hinausgehen und mit Verschränkungen von Verhältnissen komplexe Zusammenhänge verdeutlichen. Es sind dialektische Bilder im Sinne Walter Benjamins.

Doch mit der Zeit begann Grosz unter der »kotzdämlichen Propaganda« zu leiden. Die Frage, warum er sich für Menschen exponieren soll, die er – wie es in »Die Kunst ist in Gefahr« heißt – von jeher, ohne großen Unterschied, für »Schweine« oder »Vieh« gehalten hat, wurde übermächtig. Ja, es zeigte sich, dass der Anarchist nur solange mit den Kommunisten sympathisierte, solange er selbst unter dem günstigen Einfluss von Herzfelde stand. Sein Biograph Hans Hess (»George Grosz«, 1974) schreibt: »Der Grosz, wie er für Malik arbeitete, war anders als der eigentliche Grosz. Wieland Herzfelde war sein politisches Gewissen, nicht sein Mentor. Der Grosz der Frühzeit war sogar weit radikaler und härter gewesen als Wieland Herzfelde und John Heartfield. In Herzfeldes Veröffentlichungen wurde Grosz’ Werk neu geschaffen und erhielt dabei eine neue Dimension an Kraft. Herzfelde produzierte Grosz so, wie ein guter Regisseur ein Stück auf die Bühne bringt: Der Autor wird nie verraten, sondern der vollen Kraft seines Werks bewusst gemacht. Nicht jeder Künstler hat das Glück, den richtigen Produzenten zu finden. Es war Herzfeldes Optimismus, der Grosz aus der Verzweiflung herausriss.« (Deutsch von Peter Zacher) Doch am Ende siegten Verzweiflung und Alkohol.

Gewiss, Carl Einsteins Frage, ob nicht beim linken Grosz »das Motiv revolutionärer ist als die formale Gestaltkraft« (»Die Kunst des 20. Jahrhunderts«, 1926), ist berechtigt. Aber als er sich andere Motive wählte – insbesondere amerikanische Landschaften –, verlor sich auch die formale Kraft, die man auf seinen kühnen Zeichnungen doch fast überall erkennt. Ja, es scheint, als er, wie Einstein spottet, sich mit »Wolkenkratzer, Cowboy, Chaplin, Gillette, Jazz, Colgate, Grotesktänzer und Boxer«, »mit Kino, Bazar und Kriminalroman sein Wilmersdorfisch Amerika« erträumte, hat Grosz sein Sehnsuchtsland besser getroffen als zu der Zeit, da er tatsächlich in den USA lebte.

Im luftleeren Raum

Grosz’ Werk, ob Bild, ob Text, war in den 1910er und 1920er Jahren vor allem Provokation. Die von ihm und seinen Freunden angestoßenen Kunstdebatten setzten sich, wesentlich weniger komisch, im Formalismusstreit der frühen 1930er Jahre fort. Nach dem Zweiten Weltkrieg diskutierte nur noch die DDR-Linke über Kunst – und das oft genug im luftleeren Raum, denn in Museen und Galerien war (auch wegen des leidigen Devisenmangels) wenig Aufregendes zu sehen. Im Westen Deutschlands, wo viel zu sehen war, überließ die Linke die avancierte Kunst dem Bürgertum.

Zwar unternahmen vor und nach 1968 einige westdeutsche Kunstvereine, auch einige Initiativen von Künstlerinnen und Künstlern (etwa die Gruppe Spur, später das Zentrum für Politische Schönheit), bemerkenswerte Versuche, sich der Kunst von links zu nähern, aber der linke Mainstream zeigt sich bis heute an Kultur im Allgemeinen und Kunst im Besonderen wenig interessiert. Mehr noch, auf der Linken erscheinen in regelmäßigen Abständen Manifeste wider die Moderne; selbst Pablo Picasso ist vor verspäteten Verurteilungen nicht sicher. Das dürfte einzigartig sein in Europa. Sogar die Frankfurter Schule, die, außer in der Musik, einen recht ranzigen Geschmack pflegte, wirkt im Vergleich mit dem Gros der linken Publikationen fortschrittlich.

Weder diejenigen, die die Kunst in Gefahr glaubten, noch diejenigen, die sie wie George Grosz in Gefahr bringen wollten, haben die Zeiten überdauert. Übrig blieb ein links-melancholisches Kleinbürgertum, das die zeitgenössische Kunst verschmäht, weil es wittert, dass sie insgeheim mit der Zukunft im Bunde ist. Vor nichts fürchtet sich der Kleinbürger so sehr wie vor der Zukunft. Aber wer vor der Zukunft zurückschreckt, wird keine haben.

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