Radio off air
Von Pierre Deason-Tomory
Wenn Deutsche eine Reform machen, dann mit Wumms. Etwas, das nicht mehr richtig funktioniert, wird zerstört und ersetzt durch etwas anderes, das von vornherein kaputt ist, aber mehr kostet. So haben wir in unermüdlicher Reformanstrengung die früher weltweit gerühmte Deutsche Bahn sprichwörtlich verschrottet. Aktuell reformieren Länderministerpräsidenten und Rundfunkbürokraten die Radiolandschaft der ARD. Über den Grad der Zerstörung, die dabei angerichtet wird, kann man inzwischen erste Vermutungen anstellen.
Beginnen wir am Ausgangspunkt: Was ist das Ziel der Maßnahme? Der öffentlich-rechtliche Senderverbund soll 16 seiner 69 Radioprogramme abschaffen, das sieht der Rundfunkstaatsvertrag vor, der im Dezember in Kraft treten soll. Wozu? Um Gebührengeld zu sparen. Wie läuft’s? Planmäßig. Die Anstalten haben vorläufig festgelegt, was gestrichen wird, und es wurde sichergestellt, dass der Einspareffekt dabei nicht ins Gewicht fällt. Mit Ausnahme des Hessischen Rundfunks, der mittelfristig gleich drei UKW-Sender zumachen bzw. wegfusionieren will, werden die Länderanstalten kaum gehörte Nischenprogramme beerdigen, die sie derzeit über DAB plus verbreiten.
Sie heißen BR Plus, NDR Blue oder MDR Schlager, werden unter geringem Personaleinsatz produziert und kosten fast nichts. »Für viele dieser Programme wird nicht einmal ein Cent vom Rundfunkbeitrag eingesetzt. Der Sparbeitrag wäre höher, wenn man einen einzigen Fernsehkrimi weniger produzieren würde«, bilanziert MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker aus Dresden. Ihr Verschwinden wird kaum jemand beweinen. Die vernachlässigten Töchter der ARD wurden vor einigen Jahren erfunden, um Hörer wie Privatradios auf DAB plus zu locken. Ein Plan, der ebenfalls nicht funktioniert hat.
Unter den Todeskandidaten sind jedoch auch Sender, die durchaus ihre Daseinsberechtigung haben, die vorgesehene Abschaltung von MDR Klassik etwa hält Hilker für fatal. Dorthin wurde vor nicht einmal zehn Jahren der gesamte Klassikauftritt des Mitteldeutschen Rundfunks ausgelagert, als das Programm von MDR Kultur zu einer seichten Popwelle verdudelt wurde. Die Entwicklung kommt nach Ansicht des Rundfunkrats einem Kulturabbau im Gesamtangebot gleich: »Im MDR-Gebiet gibt es eine reichhaltige Orchester-, Chor- und Opernlandschaft, aber die wird in ihrer Vielzahl und Vielfalt nur noch in kleinen Ausschnitten abgebildet.«
Der Anstaltsaufseher kritisiert die Rundfunkreform auch grundsätzlich, ihn stört die Methodik. Der Staatsvertrag sieht vor, dass jede Anstalt vier Radioprogramme anbieten darf sowie ein weiteres pro sechs Millionen Einwohner. »Anstatt mit solch starren Vorgaben zu arbeiten, sollte die Medienpolitik kontinuierlich evaluieren, in welcher Quantität, mit welcher Qualität und zu welchen Kosten die Sender ihren Auftrag erfüllen – oder wie weit sie davon entfernt sind.«
Dabei müsse auch die gesellschaftliche Entwicklung im Blick behalten werden. Wenn man in Rechnung stelle, dass etwa 25 Prozent der Menschen im Land, immerhin 21 Millionen, einen Migrationshintergrund haben, könne man zu dem Schluss kommen, »dass man neben Cosmo ein oder zwei weitere multikulturelle Radioprogramme braucht«. Cosmo ist das einzige Migrantenradio im Land, wird vom WDR produziert und auch in Berlin, Brandenburg und Bremen ausgestrahlt. Noch. Die WDR-Chefs haben angekündigt, den Sender im Rahmen der Rundfunkreform »weiterzuentwickeln«. Das können Mitarbeiter und Hörer nur als Drohung auffassen.
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