Zurück in Pine Ridge
Von Michael Koch, Pine Ridge
Am 26. Juni jährte sich zum fünfzigsten Mal jener Tag, an dem bei einem tödlichen Schusswechsel in der Pine Ridge Reservation ein junger Aktivist des American Indian Movements (AIM) sowie zwei FBI-Beamte starben (zum Hintergrund siehe den Artikel zum Oglala Commemoration Day in der Randspalte). Für den indigenen Aktivisten Leonard Peltier veränderte dieser Tag sein Leben. Das FBI beschuldigte ihn wider besseres Wissen der Täterschaft und startete eine der größten Polizeiaktionen der US-Geschichte, die am 6. Februar 1976 mit Peltiers Festnahme in Kanada endete. In einem durch zahlreiche Unrechtmäßigkeiten, Manipulation von Zeugenaussagen, Unterschlagung von Entlastungsbeweisen und Einschüchterung von Geschworenen sowie Zeugen geprägten Verfahren wurde Peltier 1977 zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Alle rechtlichen Möglichkeiten auf ein neues Verfahren, Begnadigungsanträge und Anträge auf Entlassung auf Bewährung wurden seitdem abgelehnt, bis am 20. Januar 2025 der ehemalige US-Präsident Joe Biden gegen den Protest des FBI Peltiers Haftentlassung in den Hausarrest verfügte. Somit blieben zwar die Anschuldigungen gegen Peltier bestehen, und es gab für fast 50 Jahre Haft weder eine Entschuldigung noch eine Entschädigung, doch für den wohl am längsten inhaftierten indigenen politischen Gefangenen weltweit war dies »eine Million Mal besser als die Zeit in den US-Hochsicherheitsgefängnissen«.
Nach 49 Jahren und zwölf Tagen Gefängnis – zum Teil unter schlimmsten Isolationshaftbedingungen, die Peltier detailliert im Gespräch mit jW als »sensorische Deprivation« und Folter beschrieb – öffneten sich für Peltier am 18. Februar die Tore der Haftanstalt in Florida. Einen Tag später erreichte er seine alte und neue Heimat, die Turtle Mountain Reservation in North Dakota, wobei ihn Hunderte Menschen begrüßten. Kurz darauf vereinbarten wir telefonisch einen Besuch in seinem neuen Heim. Von Seattle (USA) führte unser Weg zu Peltier quer durch vier kanadische Provinzen. In Kamloops, British Columbia, trafen wir eine frühere Bekannte Peltiers, die als Kind dort zehn Jahre lang in jener Residential School (Internatsschule) verbracht hatte, die 2021 weltweit aufgrund des Funds von Massengräbern indigener Kinder für Schlagzeilen sorgte.
Eine solche Internatsschule hatte auch der junge Peltier besuchen müssen. Ziel solcher Schulen war es, den Kindern ihre indigene Kultur, Sprache, Identität zu nehmen und sie dem »weißen Amerika« anzupassen. Tausende von ihnen überlebten diese Zwangsumerziehung nicht. 3.000 Kilometer Fahrt später holte uns Peltier samt Begleitung in unserem Quartier in der Turtle Mountain Reservation ab, um mit uns zu einem nahegelegenen Sonnentanz zu fahren. Es war ergreifend, wie alte und junge Anwesende den 80jährigen begrüßten und ihm für seinen lebenslangen Kampf für indigene Rechte dankten. Sichtlich gerührt, erklärte er uns später, dass dies seit 67 Jahren der erste Sonnentanz sei, an dem er in seiner Heimat wieder teilgenommen habe.
Leonard Peltier lebt unter den Restriktionen seines Hausarrests, der erst 2040 enden soll. Dagegen und gegen weitere Unrechtmäßigkeiten soll nun juristisch vorgegangen werden, wobei er seine Chancen dabei recht optimistisch einschätzt. Trotz diverser mit dem Arrest einhergehender Einschränkungen geht es Peltier gut. Er kann zu jeder Zeit telefonieren und online gehen, Gäste nach Anmeldung empfangen, und ebenfalls nach Anmeldung kann er auch zu Einkäufen, Arztbesuchen, zur Teilnahme an Meetings und Zeremonien sein Zuhause bis zu einem Umkreis von 160 Kilometern verlassen, wobei er auf seinen 24-Stunden-Hilfsdienst angewiesen ist. Für ihn wurde ein kleines, komfortables Haus bereitgestellt, das mit allem Notwendigen ausgestattet ist. Viele seiner Gemälde zieren die Räume. Und er hofft, möglichst bald auch wieder mit dem Malen beginnen zu können.
Peltier, der aktuell kaum mehr sehen kann, wird sich am 8. Juli einer Augen-OP unterziehen, deren Erfolgsaussichten gut seien. Bezogen auf sein Aortenaneurysma gibt es ebenfalls Entwarnung. Es sei aktuell nicht mehr besorgniserregend. Und so macht Peltier Pläne für die Zukunft. Eine Garage will er zum Malstudio umbauen lassen und wieder beginnen, künstlerisch tätig zu werden. Auch in politische Diskussionen mischt er sich ein und macht dabei seine Meinung zu Rassismus, Amerika unter Trump, den anhaltenden Verbrechen an Indigenen und zum Thema Umweltzerstörung deutlich. Mit klaren Worten kritisiert er kapitalistische Gier, eine die Reichen noch reicher machende Politik und die weltweiten Menschenrechtsverletzungen und Kriege. In den vier Tagen, an denen wir zusammen waren, gab er einen tiefen Einblick in seine persönliche Geschichte, in die Geschichte von Völkermord und Kolonialisierung sowie in die des indigenen Widerstands. Aufgrund seiner Erlebnisse habe er als junger Mensch einen Eid abgelegt, seinem Volk zu helfen, ihm zu dienen und notfalls auch hierfür sein Leben zu geben. Aber weder er noch andere AIM-Aktivisten seien Terroristen und kaltblütige Gewalttäter gewesen. Sie kamen nur, wenn sie von der Bevölkerung um Hilfe gebeten wurden und staatlicherseits Schutz oder die Verfolgung von Gewalttaten an Indigenen nicht stattfand.
Hintergrund: Gedenken an Oglala
Jahrzehnte des Aktivismus waren nicht umsonst: Am 26. Juni 2000, genau 25 Jahre nach dem tödlichen Schusswechsel zwischen Aktivisten des American Indian Movements (AIM) und aufgebrachten Reservationsbewohnern einerseits und dem FBI sowie weiteren Polizeieinheiten andererseits nahe Oglala in der Pine Ridge Reservation, bei dem zwei FBI-Agenten und ein junger AIM-Aktivist erschossen wurden, fand der erste »Oglala Commemoration Day« (Oglala-Gedenktag) statt. Am 26. Juni 2025, also 50 Jahre später, endete die jährliche Veranstaltung, denn ein Ziel dieses Tages, der 2013 durch die Oglala-Lakota-Stammesregierung auch zum jährlichen »Leonard Peltier Day« erklärt worden war, ist erreicht: Der indigene AIM-Aktivist Leonard Peltier ist nach fast 50 Jahren endlich aus der Haft entlassen worden.
Hintergrund der Gewalteskalation von 1975 war eine Atmosphäre des Terrors in einem der ärmsten, aber zugleich auch widerständigsten Reservate der USA. Eine vom damaligen Stammespräsidenten der Oglala-Lakota eingesetzte und mit Munition und Waffen durch das FBI sowie andere Polizeieinheiten ausgestattete Todesschwadron, die Guardians of Oglala Nation (GOON), terrorisierte vor allem traditionelle sowie sich politisierende Reservationsbewohner, die sich nicht assimilieren lassen wollten. Als Häuptlinge und Stammesälteste das AIM um Hilfe und Schutz baten, waren bereits an die 60 Lakota von den GOON ermordet worden. Als am Morgen des 26. Juni 1975 die FBI-Agenten Jack Coler und Ronald Williams überfallartig in das AIM-Schutzcamp rasten, kam es zu dem tödlichen Schusswechsel. Als einer der für den Tod der FBI-Agenten Verantwortlichen wurde der damals 30jährige AIM-Aktivist Leonard Peltier genannt.
Um an sein Schicksal und auch das der vielen ermordeten Lakota sowie der im Laufe der Zeit verstorbenen AIM-Aktivisten zu erinnern, fand seit 2000 jährlich der »Oglala Commemoration Day« statt. Nach einer Eröffnungszeremonie gab es bei der 25. und letzten Gedenkfeier am vergangenen Donnerstag am Ort des damaligen Schusswechsels Lakota-Songs, Redebeiträge und eine Spielzeugverteilaktion an Kinder. Anwesende Peltier-Unterstützer aus Italien und Deutschland überbrachten Solidaritätsgrüße aus Europa. Im Anschluss daran gab es in der nahegelegenen »Brother René Hall« nach einem gemeinsamen Abendessen eine Livezuschaltung Leonard Peltiers und Dino Butlers. Beide waren wegen des Todes der beiden FBI-Agenten angeklagt. Butler wurde jedoch gemeinsam mit Bob Robideau 1976 von der Anklage freigesprochen. Für die Anwesenden waren die Redebeiträge der beiden AIM-Aktivisten bewegende Momente. (mko)
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Kevin McKiernan/ZUMA Wire/imago23.01.2025
Millionenfach besser
- imago images/ZUMA Wire12.09.2024
80. Geburtstag im Gefängnis
- Gina M. Randazzo/ZUMA Wire/imago12.09.2024
Stimmen aus dem anderen Amerika
Mehr aus: Schwerpunkt
-
Der Kampf Peltiers geht weiter
vom 02.07.2025