Freiheit, Gleichheit, tschüss Patriarchat
Von Kim Nowak
Die Gleichstellung der Geschlechter ist in der Schweiz noch immer nicht erreicht. Aus diesem Grund sind am vergangenen Sonnabend Zehntausende Menschen landesweit auf die Straßen gegangen. Der feministische Streik wurde vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) initiiert. Anlass ist die Volksabstimmung am 14. Juni 1981, bei der die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Aufnahme dieses Grundsatzes in die Verfassung beschlossen worden waren. Da das Gesetz jedoch nur zögerlich umgesetzt wurde, fand 1991 der erste große Streik statt. Sowohl 2011 als auch 2019 gingen Feministinnen und Feministen erneut auf die Straße. Der bislang erfolgreichste war jener im Jahr 2019, als eine halbe Million Menschen gegen Lohnungleichheit und die unzureichende Bekämpfung sexualisierter Gewalt protestierten.
Sexualisierte Gewalt war auch bei dem Protest am vergangenen Wochenende Thema. Seit Jahresbeginn wurden bereits 15 Femizide begangen – doch die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Durchschnittlich alle zwei Wochen werden Frauen am Arbeitsplatz sexuell belästigt. In St. Gallen, wo mindestens 2.000 Menschen demonstrierten, protestierten die Teilnehmer vor Beginn der Kundgebung mit einem »grellen Wutschrei gegen die Femizide«. Auch in etwa 25 weiteren Städten, darunter Zürich, Basel und Bern, gingen Menschen auf die Straße. Insgesamt zählten die Organisatorinnen Zehntausende Teilnehmer – allein in der Hauptstadt waren es mindestens 35.000. Die Forderungen der Streikenden ähneln jenen, die bereits 1991 formuliert wurden: das Ende sexualisierter Belästigung am Arbeitsplatz, den Ausbau der Kinderbetreuung, sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und höhere Löhne. Im Schnitt verdienen Frauen in der Schweiz 1.364 Franken (1.452 Euro) pro Monat weniger als Männer.
Die Luzerner Stadträtinnen Melanie Setz (Sozialdemokratische Partei) und Korintha Bärtsch (Grüne) forderten, bereits erzielte Erfolge zu verteidigen. Dies sei jedoch bei weitem nicht genug, sondern nur ein »Kratzen am Patriarchat«, wie Setz betonte. Viele Errungenschaften stünden schon länger unter Beschuss. Wie der SGB in einer Pressemitteilung am Dienstag schrieb, will der Nationalrat »kantonale Mindestlöhne verbieten«. Das sei einmalig in der Geschichte der Alpenrepublik. »Besonders betroffen wären Frauen im Gastgewerbe, im Detailhandel, in Coiffeursalons oder in der Reinigung«, so der SGB. Der Kampf gegen solche Rückschritte ist eine zentrale Forderung der Streikenden: »Internationale Konzerne dürfen Gleichstellungsprogramme nicht auf Druck von rechts streichen«, betonen die Initiatorinnen auf ihrer Website. Das spiegelte sich auch in den mitgebrachten Schildern und Bannern der Teilnehmenden wider. Unter anderem war zu lesen: »Freiheit, Gleichheit, tschüss Patriarchat« und »Bis echte Gleichstellung Realität ist, streiken wir.«
Auch wenn der Streik nun vorüber ist, ruhen sich die Feministinnen nicht aus. Das feministische Streikkollektiv Zürich ruft bereits für 2027 zum nächsten großen Streik auf. Unter dem Motto »Do you care?« wollen sie für die Anerkennung und bessere Entlohnung von Care-Arbeit demonstrieren. Die Kampagne für den Streik läuft bereits, wie eine Sprecherin gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA erklärte. Zwei Drittel der Care-Arbeit würden von Frauen unbezahlt verrichtet. Männer leisten durchschnittlich 22 Stunden, Frauen 32 Stunden pro Woche, so Keystone-SDA.
Mit der Aktion zur Arbeitsniederlegung 2027 wolle man »zeigen, was passiert, wenn Care-Arbeit nicht mehr geleistet wird«, schreibt das Kollektiv in seiner Mitteilung. Es betont, dass Care-Arbeit im »Widerspruch zur Profitmaximierung« des Kapitalismus stehe. Care-Arbeit sei »systematisch entwertet« und »intersektional« diskriminiert: Sowohl die Care-Arbeit selbst als auch jene, die auf sie angewiesen sind, sind besonders »migrantische Personen, People of Color, Frauen, queere Personen, ältere Personen und Personen mit Behinderungen«. »Care-Arbeit ist die Grundlage unserer Gesellschaft: Ohne Care-Arbeit kein Leben«, schlussfolgert das Kollektiv.
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