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Aus: Ausgabe vom 16.06.2025, Seite 12 / Thema
Bauernkrieg

Die Kraft der Kunst

Im Deutschen Bauernkrieg stellten sich bedeutende Künstler auf die Seite der Aufständischen
Von Jenny Farrell
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Jünger mit bäuerlicher Anmutung: Das letzte Abendmahl – Mitteltafel des Heilig-Blut-Altars von Tilman Riemenschneider (1460–1531) in der Stadtkirche St. Jakob in Rothenburg ob der Tauber

Der Deutsche Bauernkrieg 1524/25 gehört zu den größten sozialen und politischen Erhebungen der frühen Neuzeit in Europa. Die Bauern, die die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten, waren in einem System der Grundherrschaft gefangen, das sie zu Abgaben, Frondiensten und anderen feudalen Verpflichtungen gegenüber den adligen Grundherren zwang. Gleichzeitig entwickelte sich in den Städten eine aufstrebende bürgerliche Klasse, die durch Handel und Handwerk wirtschaftlich an Bedeutung gewann, jedoch politisch weitgehend unterdrückt blieb. Auch der niedere Adel stand ökonomisch unter Druck und verlor durch den Aufstieg von Fürsten und Städten an Einfluss. Währenddessen verteidigten die Fürsten und die katholische Kirche ihre Privilegien, was in der Bevölkerung auf wachsenden Widerstand stieß. Die Klassenwidersprüche verschärften sich.

Bereits vor dem Bauernkrieg gab es Bewegungen, die ein Ausdruck der wachsenden sozialen Spannungen waren. Der Bundschuh, eine geheime Bauernorganisation, die Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts in Südwestdeutschland aktiv war, forderte die Abschaffung der feudalen Lasten und die Wiederherstellung traditioneller Rechte. Auch die Bewegung »Armer Konrad«, die 1514 in Württemberg entstand, richtete sich gegen Steuererhöhungen und Fürstenwillkür. Zwar wurde dieser Aufstand niedergeschlagen, doch hatten die Bauern ihre wachsende Bereitschaft demonstriert, sich gegen ihre Unterdrücker zu erheben.

Im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit kam es vielerorts in Europa zu ähnlichen Bauernunruhen – in Frankreich, England, Böhmen, Spanien, den Niederlanden, der Schweiz und Schweden. Diese Erhebungen waren oft lokal begrenzt, teilten aber gemeinsame Merkmale mit den Kämpfen in Deutschland, insbesondere die Forderung nach sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit sowie die Ablehnung der Feudalherrschaft. Insofern war der Deutsche Bauernkrieg Teil eines europaweiten Kampfes gegen den Feudalismus. Er scheiterte letztlich wie viele ähnliche Aufstände, weil er keine starken Verbündeten in der aufsteigenden Bourgeoisie fand. Dennoch trugen diese Kämpfe langfristig zur Schwächung des Feudalsystems und zur Entwicklung frühkapitalistischer Gesellschaften bei.

Die Übersetzung der Bibel in die Volkssprache spielte bei nahezu allen diesen Aufständen eine entscheidende Rolle. Den Massen wurden damit die biblischen Texte erschlossen, die zuvor nur dem Klerus zugänglich waren. Viele Stellen konnten genutzt werden, um die bestehende kirchliche Ordnung in Frage zu stellen. Schon lange vor Luthers Übersetzung gab es deutsche Fassungen der Schrift. Es spricht einiges dafür, dass die Künstler der Zeit Zugang zu ihnen hatten. Die Bibel wurde zu einem Werkzeug des Widerstands, indem sie die Idee einer direkteren Beziehung zu Gott ohne Vermittlung der Kirche verbreitete.

Der Bauernkrieg begann 1524 in Süddeutschland und breitete sich schnell nach Thüringen, Franken und Schwaben aus. Die Bauern formulierten ihre Forderungen in Programmen wie den Zwölf Artikeln, worin die Abschaffung der Leibeigenschaft, die Reduzierung der Abgaben, die freie Wahl der Pfarrer, die Wiederherstellung traditioneller Rechte und ein Ende der feudalen Gerichtsbarkeit gefordert wurden.

Im Gegensatz zur englischen Revolution (1688/89) oder der Französischen Revolution (1789–1799) scheiterte der Bauernkrieg, weil das Bürgertum sich nicht mit den Bauern verbündete. Es hatte Angst vor zu radikalen Umbrüchen und stellte sich am Ende eher auf die Seite der Fürsten. Die Aufstände wurden von den vereinten Kräften des Adels und der Fürsten blutig niedergeschlagen. Friedrich Engels unterscheidet zwischen der gemäßigten Reformation Luthers, der mit den Fürsten gegen die aufständischen Bauern paktierte, und der radikalen Reformation von Müntzer, die ein revolutionäres Potential hatte.

Dennoch gab es in dieser Zeit auch herausragende Künstler, die sich auf die Seite der Bauern stellten oder deren Anliegen in ihren Werken unterstützten und deswegen mit den herrschenden Mächten in Konflikt gerieten.

Dürer

Zu den bedeutenden Werken dieser Zeit zählen die Flugschrift-Holzschnitte und Drucke Albrecht Dürers (1471–1528). Dürers Schaffen inspirierte Zeitgenossen wie Mathis Grünewald, Tilman Riemenschneider und Jörg Ratgeb und schuf eine eindringliche Verbindung zwischen Kunst und Volk. Geboren in Nürnberg als Sohn eines Goldschmieds, durchlief Dürer eine Ausbildung bei Michael Wolgemut und unternahm zahlreiche Reisen, darunter nach Basel, Strasbourg, Italien und 1520/21 in die Niederlande. Dort lernte er bedeutende Werke der Renaissance kennen. Seine Porträts spiegeln sein tiefes Interesse an der Individualität und Würde des Menschen wider. Dieses Interesse verband ihn mit der humanistischen Bewegung, zu deren führenden Köpfen Erasmus von Rotterdam (um 1466–1536) zählte. Dessen Schriften über soziale Gerechtigkeit und seine Kritik an Kirche und Gesellschaft waren auch den Aufständischen bekannt.

Als erster deutscher Künstler erfasste Dürer Bauern als ästhetisches Subjekt. Sein berühmter Kupferstich »Drei Bauern im Gespräch« zeigt subtile Hinweise auf ihren rebellischen Geist und nimmt einen deutlich revolutionären Standpunkt ein. Der Kupferstich aus dem späten 15. Jahrhundert ist weit mehr als eine einfache Darstellung von Arbeitern im reiferen Alter. Es handelt sich um ein vielschichtiges Kunstwerk, das tief in den sozialen und politischen Spannungen seiner Zeit verwurzelt ist – einer Zeit, in der der Bundschuh bereits aktiv war.

In Dürers Stich fallen die Waffen der Männer auf der linken und rechten Seite sofort auf. Das Schwert des linken Mannes – seiner Kleidung und Kopfbedeckung nach zu urteilen, wahrscheinlich ein städtischer Handwerke – verläuft fast exakt entlang der Mittelachse des Kunstwerks und nimmt fast die Hälfte der Bildhöhe ein. Die zentrale Position des Schwertes unterstreicht den Eindruck von erstarktem Selbstbewusstsein und neuer Entschlossenheit des Volkes. Sein über die Schulter geschlungener Sack deutet darauf hin, dass er unterwegs ist. Unter seiner Tunika ist ein Hemd erkennbar. Auch der Bauer rechts trägt ein Messer am Gürtel. Seine aussagekräftigen langen Lederstiefel mit Sporen bilden einen Kontrast zu den Eiern, die er vielleicht vom Markt kommend im Korb trägt. Seine Kopfbedeckung – die mittelalterlich anmutende Kapuze mit darüber getragener Fellmütze – kennzeichnet ihn deutlich als einen im Freien arbeitenden Menschen.

Ein weiteres markantes Detail ist der Turban des Mannes in der Bildmitte, zwischen dem Bauern und dem Handwerker. Der Turban war in Dürers Zeit oft ein Zeichen für Gelehrte oder Künstler (so porträtierte Dürer beispielsweise seinen Meister Wolgemut mit einem Turban). Der Mann könnte somit einen Intellektuellen darstellen, der mit seinen Ideen, Schriften oder Kunstwerken den Widerstand gegen die herrschende Ordnung unterstützt. In Verbindung mit der Bauernbewegung ließe er sich als Vermittler zwischen Theorie und Praxis interpretieren. Sein Griff in die Brusttasche, als hole er eine Schrift hervor, verstärkt diesen Eindruck. Seine Waffe ist anderer Art als die der Bauern, aber dennoch von Bedeutung.

Dürer stellt die Männer nicht einfach als arbeitendes Volk dar, sondern als Figuren im Spannungsfeld zwischen Ideen und aktivem Widerstand – eine Revolution im Entstehen, in der Denken und Handeln untrennbar miteinander verbunden sind. Auch sein »Bauerndenkmal« in der »Unterweisung der Messung« (1525) bezeugt seine anhaltende Sympathie für die Aufständischen und sein Verständnis ihrer tragischen Lage.

Von den hier vorgestellten Künstlern ist Dürer außerdem der einzige, der Bauern außerhalb eines religiösen Kontexts darstellte. Die drei folgenden Künstler standen, obwohl Zeitgenossen Dürers, stärker unter dem Einfluss der Spätgotik, während ihre Werke zugleich den Geist der Renaissance und die bevorstehende Reformation widerspiegelten, die ihren politischen Ausdruck im Bauernkrieg fanden. Alle drei schufen Altäre und kirchliche Werke, die eine revolutionäre Sprache sprachen.

Grünewald

Mathis Nithart (um 1470–1528), genannt Grünewald, schuf mit dem Isenheimer Altar eines der bedeutendsten Werke der deutschen Kunstgeschichte. Er stand den reformatorischen Ideen nahe und sympathisierte mit dem Kampf der Bauern. Sein Werk bringt die Stimme der Unterdrückten zum Ausdruck und entwirft eine Vision von Befreiung. Der Isenheimer Altar bricht bewusst mit den traditionellen Darstellungen seiner Zeit. Grünewalds Kreuzigungsszene gehört zu den expressivsten Darstellungen des Leidens Christi. Statt symme­trischer Harmonie zeigt er den geschundenen Heiland in schonungsloser Detailtreue. Sein Körper ist von Wunden übersät, gezeichnet von Krankheit, Folter und Schmerz. Diese drastische Darstellung geht über bloße Frömmigkeit hinaus und wird zu einer Anklage gegen die Grausamkeit und Unmenschlichkeit der herrschenden Mächte. Christus wird zum Sinnbild für das Leiden der Armen und Unterdrückten, die unter der Willkür der Kirche und des Adels litten.

Johannes der Täufer weist mit einem auffällig langen Zeigefinger auf den gekreuzigten Christus. Die lateinische Inschrift auf einer roten Tafel stammt aus der Bibel und unterstreicht die Bedeutung Christi als Erlöser. Johannes wird hier als »Zeuge des Wortes Gottes« dargestellt, der allein Christus in den Mittelpunkt stellt. Diese Symbolik steht in enger Verbindung mit dem reformatorischen Prinzip der »sola scriptura« – der Bibel als einziger Quelle und Stütze des Glaubens. Das wurde wenig später zu einer zentralen Forderung der Reformatoren.

Auf der Rückseite des Altars zeigt Grünewald die Auferstehung Christi in überwältigendem Licht. In leuchtend rotes und goldenes Gewand gehüllt, steigt er aus seinem Grab auf. Eine riesige, sonnengleiche Aureole umgibt ihn und hebt ihn vom dunklen Nachthimmel ab. Unter ihm stürzen drei Grabwächter zu Boden. Ihre Kleidung entspricht nicht der römischen Legionärsrüstung, sondern der Rüstung, wie sie für Landsknechte und Söldner in der Reformationszeit typisch waren. Ihr Gebaren drückt Panik und Wehrlosigkeit aus. Grünewald stellt damit einen direkten Bezug zur politischen und kirchlichen Macht her, insbesondere der militärischen und politischen Dominanz von Kirche und Adel. Der aufbrechende Fels im Hintergrund verstärkt diesen Eindruck eines bevorstehenden Zusammenbruchs der alten Ordnung.

Somit ist der Altar ein frühes Zeugnis reformatorischen Denkens. Grünewald stellt Christus allein nach den biblischen Texten dar. Diese Betonung der Heiligen Schrift (»sola scriptura«) ist ein Aufruf zur Rückbesinnung auf die ursprüngliche Botschaft des Christentums: Solidarität mit den Schwachen und Unterdrückten. Die Botschaft der Auferstehung – »ein neuer Himmel und eine neue Erde« – gibt ihnen Hoffnung auf eine Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden herrschen. Der Altar wird so zu einem Symbol des Widerstands gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Riemenschneider

Der Bildhauer Tilman Riemenschneider (um 1460–1531) war nicht nur ein herausragender Künstler, sondern auch politisch engagiert. 1514 und 1518 Mitglied des Oberen Rates in Würzburg, wurde er 1521 zum Bürgermeister der Stadt gewählt. 1525 stellte sich Würzburg gegen den Landesherrn auf die Seite der Bauern. Nach der Niederlage der Bauernheere musste die Stadt kapitulieren. Riemenschneider wurde verhaftet und gefoltert. Es ist wahrscheinlich, dass dabei auch seine Hände gezielt misshandelt wurden, um ihn am Kunstschaffen zu hindern. Die Haft und die Folgen der Folter führten zu seinem wirtschaftlichen Ruin. Am 7. Juli 1531 starb Riemenschneider in Würzburg.

Riemenschneider zählt zu den bedeutendsten Bildhauern der Spätgotik und frühen Renaissance. Seine Werke beeindrucken durch lebendige, ausdrucksstarke Darstellungen, die menschliche Würde und gesellschaftliche Realität vereinen. Sein Bekenntnis zum einfachen Volk prägte sowohl sein Leben als auch sein künstlerisches Schaffen. In seinen Skulpturen fing er die Hoffnungen und Leiden der einfachen Menschen ein – Bauern, Handwerker, Kaufleute –und bewies ein tiefes Mitgefühl für ihre Schicksale.

Als Riemenschneiders Meisterwerk gilt der Heilig-Blut-Altar (1499–1505). Der linke Altarflügel zeigt den Einzug Christi in Jerusalem – ein Motiv, das von volksnaher und zugleich subtil reformatorischer Bildsprache durchdrungen ist. Die Figuren wirken in ihrer Körperhaltung und Mimik realistisch und ausdrucksstark, mit natürlichen, bäuerlichen Zügen. Ihre Gesichter spiegeln eine große Individualität und Lebenserfahrung wider. Ein besonders berührendes Detail ist die Figur des kleinen Zachäus, der der besseren Aussicht wegen auf einen Baum klettert. Diese Szene wirkt fast humorvoll, doch zugleich tief menschlich: Sie zeigt die Sehnsucht des kleinen Mannes nach Verbundenheit mit Christus. Diese Erzählkunst zeichnet Riemenschneider aus – eine Nähe zu den Emotionen und dem Verhalten des einfachen Volkes.

Die Schlichtheit der Darstellung harmoniert in gewisser Weise mit reformatorischen Idealen. Während die spätgotische Kunst oft von überladenen, dekorativen Elementen gekennzeichnet war, entwickelte Riemenschneider eine klare, einfache Bildsprache. Wie in vielen seiner späteren Werke verzichtete er auf farbige Bemalung, wodurch das Spiel von Licht und Schatten in der Holzschnitzerei um so stärker zur Geltung kam. Auch das kann als Ausdruck einer Konzentration auf das Wesentliche verstanden werden, analog zum Prinzip »sola scriptura«.

Die filigrane Arbeit des Reliefs ist außergewöhnlich – neben den feinen Gewandfalten und der dynamischen Bewegung des Esels beeindruckt die vielschichtige Tiefenwirkung durch die perspektivische Anordnung der Figuren. All das zeigt Riemenschneiders meisterhafte Beherrschung der Holzschnitzkunst. Seine Entscheidung, farbige Fassungen abzulehnen, war revolutionär und unterstreicht die Bedeutung der plastischen Form.

Das Hauptbild des Altars – das Abendmahl – ist ebenso schlicht und volksnah gearbeitet. Riemenschneider enthält sich idealisierter, stilisierter Darstellungen und zeigt die Apostel als individuelle, ausdrucksstarke Persönlichkeiten. Die Gesichtszüge sind detailliert und zeitgenössisch. Auffällig ist der Realismus in den verschiedenen emotionalen Reaktionen der Jünger, die in einer lebendigen, menschlichen Szene dargestellt werden – ein Kontrast zu den starren, sakralen Darstellungen früherer Jahrhunderte. Die Jünger sitzen eng beieinander, was die Gemeinschaft betont und sich von den hierarchischen Anordnungen früherer Abendmahlsszenen abhebt. Durch die unruhigen Bewegungen schafft Riemenschneider eine spontan wirkende Szene, die den Eindruck eines authentischen, realistischen Geschehens verstärkt.

Die filigrane spätgotische Architektur im Hintergrund – mit hohen, spitzbogigen Fenstern und durchbrochenen Strukturen – verleiht dem Werk eine räumliche Tiefe, die den Betrachter in das Geschehen hineinzieht. Das naturbelassene Holz verstärkt die plastische Wirkung der Figuren und lenkt den Fokus auf ihre Gesichter, Gesten und Körperhaltungen.

Der rechte Altarflügel zeigt Christus im Garten Gethsemane, während seine Jünger schlafen und das Volk sich nähert. Riemenschneider gestaltet auch diesen Moment mit großer erzählerischer Dichte, meisterhafter Holzschnitzkunst und einem bemerkenswerten Gespür für menschliche Charaktere. Im Vordergrund schlafen die drei Jünger trotz der Bücher, die sie halten, in diesem entscheidenden Moment ein – eine Darstellung menschlicher Schwäche. Im Hintergrund ist eine gedrängte, neugierige Menschenmenge hinter dem Weidenzaun zu sehen, die jedoch am einfachen Holztor innehält. Ein einzelner klettert über den Zaun und erinnert humorvoll an die Zachäus-Figur im linken Flügel. Wieder sind die Volksfiguren individuell gestaltet, doch sie erscheinen kleiner und dunkler, was die räumliche Distanz und die Spannung zwischen Vordergrund und Hintergrund verstärkt. Das einfache Holztor und der Weidenzaun unterstreichen die volksnahe Ästhetik Riemenschneiders: Seine Darstellung des Gartens als steinige Einöde kontrastiert mit der traditionellen Zeichnung des Gartens als üppiger Olivenhain. Der Künstler betritt auch hier neues Terrain, indem er Bezug nimmt auf die innere Verfassung Jesu, die in der kargen Landschaft gespiegelt wird.

Tilman Riemenschneiders Kunst war revolutionär: Durch realistische, volksnahe Darstellungen und den Verzicht auf farbige Fassungen schuf er eine neue ästhetische Dimension. Seine Figuren, geprägt von alltäglichen Zügen und Emotionen, spiegelten die Sorgen und Freuden des einfachen Volkes wider und machten seine Kunst identifikationsstiftend. Nach der Niederlage der Bauern, Haft und Folter starb Riemenschneider 1531 in relativer Vergessenheit. Sein Schicksal steht symbolisch für die Tragik eines Künstlers, der für seine Überzeugungen und seine Verbundenheit mit den Unterdrückten einen hohen Preis zahlte.

Ratgeb

Auch Jörg Ratgeb (1480–1526) war nicht nur ein bedeutender Maler der Spätgotik, sondern zudem ein engagierter Kämpfer für soziale Gerechtigkeit. Ratgeb begann seine künstlerische Laufbahn in Stuttgart, 1509 zog er nach Heilbronn, wo er allerdings aufgrund seiner Heirat mit einer Leibeigenen kein Bürgerrecht erhielt und erfolglos versuchte, seine Familie aus der Leibeigenschaft freizukaufen. Als im Frühjahr 1525 der Bauernkrieg ausbrach, schloss sich Ratgeb den revolutionären Bauern an und wurde sogar zum »Bauernkanzler« gewählt. Nach der Niederlage der Bauern bei Böblingen wurde Ratgeb verhaftet und wegen Hochverrats zum Tode durch Vierteilung verurteilt.

Ratgebs Herrenberger Altar (1518/19) geht weit über eine rein religiöse Darstellung hinaus. Er verbindet biblische Szenen mit sozialer und politischer Kritik. Statt idealisierter Heiliger zeigt er realistische Figuren aus dem Volk, wodurch die biblische Botschaft in die Lebensrealität der einfachen Menschen übertragen wird. Die Haupttafeln des Altars – das letzte Abendmahl, die Geißelung, die Kreuzigung und die Auferstehung – sind nicht nur in ihrer Darstellung des Heilsgeschehens bemerkenswert, sondern auch in ihrer gesellschaftskritischen Aussagekraft. Die Peiniger Jesu tragen zeitgenössische Rüstungen, was die Gewalt der Obrigkeit und die Unterdrückung des Volkes anprangert. Der in auffälligem Gelb – einer Farbe, die mit Verrat und Ketzerei assoziiert wurde – gekleidete Judas ist auf allen Tafeln vertreten. Auch andere Symbole moralischen Verfalls wie Spielkarten und eine Fliege verdeutlichen Ratgebs Kritik an den Machthabern. Die Jünger werden als einfache Menschen mit lebhaften Gesten dargestellt, wodurch die Szene natürlich und bewegt wirkt. Im Hintergrund sind weitere Episoden eingebettet, etwa die heraneilenden Häscher neben dem betenden Jesus und den schlafenden Jüngern.

In der Geißelungsszene steigert Ratgeb die Darstellung der Brutalität: Prunkvolle Rüstungen symbolisieren die arrogante Selbstherrlichkeit der weltlichen Machthaber. Eine Spiraltreppe im Hintergrund erzeugt räumliche Tiefe und führt den Blick zu weiteren Misshandlungen – die Gewalt ist allgegenwärtig. Pontius Pilatus, der Jesus verurteilt, trägt Züge von Kaiser Maximilian I., während eine Fahne des Heiligen Römischen Reiches über ihm weht. Mit dieser klaren Botschaft macht Ratgeb die Herrscher seiner Zeit verantwortlich für das Leiden der Unterdrückten.

Die Kreuzigungsszene vereint verschiedene Erzählebenen: Im Hintergrund sind die Kreuzabnahme und die Grablegung Jesu integriert. Im Mittelpunkt steht Jesus am Kreuz, flankiert von den beiden Schächern, während er durch die gesetzten Lichtakzente als Zentrum betont wird. Eine stilisierte mittelalterliche Stadt im Hintergrund verleiht dem Bild Tiefe. Während der Schmerz Marias unübersehbar ist, beobachtet ein berittener Soldat in Rüstung das Geschehen – ein Symbol für die gnadenlose Durchsetzung weltlicher Macht. Die Menschenmenge, die den Hügel hinaufzieht, verdeutlicht, dass die Hinrichtung als öffentliches Spektakel inszeniert wird.

Die Auferstehungsszene bildet den hoffnungsvollen Abschluss. Christus tritt mit erhobener Hand aus dem Grab, umgeben von einer strahlenden Lichtaura. Die weiße Fahne mit dem roten Kreuz symbolisiert den Triumph über den Tod. Die Grabwächter und Landsknechte sind überzeichnet – verdrehte Glieder, schlaff hängende Köpfe und heruntergerutschte Helme. Die Einbindung weiterer Szenen – die Auferstehung der Toten und die Begegnung mit Maria Magdalena – ergänzt die zentrale Botschaft: den Sieg des Lebens über den Tod und die Hoffnung auf Erlösung.

Ratgebs künstlerische Revolution liegt in seiner volksnahen Bildsprache, emotionalen Darstellung und der innovativen Erzähltechnik. Der Herrenberger Altar prangert die Gewalt der Obrigkeit, die Unterdrückung der Armen und die Heuchelei der Herrschenden offen an und ist somit ein Spiegelbild der Unruhen vor Reformation und Bauernkrieg.

Obwohl der Aufstand der Bauern scheiterte, legte er den Grundstein für spätere soziale und politische Umwälzungen. Die Werke von Künstlern wie Riemenschneider und Ratgeb, die für ihre Überzeugungen litten und starben, sind nicht nur Zeugnisse einer vergangenen Epoche, sondern Mahnmale für die Kraft der Kunst, soziale Ungerechtigkeit anzuprangern und die Hoffnung auf eine bessere Welt zu bewahren. Das Schicksal dieser Künstler beweist den hohen Preis des Widerstands – doch ihre Werke überdauerten die Zeit und zeigen, dass der Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit niemals vergeblich ist.

Jenny Farrell schrieb an dieser Stelle zuletzt am 19. September 2024 über den irischen Sozialisten und Schriftsteller Seán O’Casey: »Dramatiker der Revolution«

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