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Aus: Ausgabe vom 12.06.2025, Seite 16 / Sport
Schach

Nur hauchdünn

Das Schachereignis des Jahres: Magnus Carlsen gewinnt in Stavanger das 13. Norway-Chess-Superturnier
Von Sören Bär
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Magnus Carlsen (l.) trifft auf Gukesh Dommaraju

Für ihn war es ein Heimspiel: Der norwegische Weltranglistenerste Magnus Carlsen trug bei der 13. Auflage des Norway-Chess-Superturniers vom 26. Mai bis zum 6. Juni 2025 in Stavanger bereits zum siebten Mal die Siegespalme davon. Carlsen gab seinen fünf starken Konkurrenten dabei nur hauchdünn das Nachsehen. In der zehnten und letzten Runde stand der 34jährige Weltranglistenerste als Nachziehender zeitweise auf Verlust gegen den Inder Arjun Erigaisi. Die Spannung war für seine zahlreichen norwegischen Fans nahezu unerträglich. Bei heterogener Materialverteilung ohne Dame agierend, stellte Carlsen seinen formidablen Opponenten jedoch vor so viele Probleme, dass er am Ende ein Remis retten konnte. Obwohl Carlsen die anschließende Armageddon-Partie verlor, genügten ihm die erreichten 16 Punkte, um Fabiano Caruana (USA) um einen halben sowie den neuen Weltmeister Dommaraju Gukesh (Indien) um eineinhalb Zähler zu distanzieren. Zwei Zähler hinter Carlsen kam Hikaru Nakamura (USA) auf dem undankbaren vierten Rang ein. Für Erigaisa blieb mit 13 Punkten der fünfte Platz, während der Chinese Wei Yi mit 9,5 Zählern das Tabellenende zierte. Mit seinem Triumph konnte Carlsen seine Position als bester Spieler der Welt ein weiteres Mal untermauern.

Die Dramaturgie des Turniers hätte einem Hitchcock-Thriller zur Ehre gereicht. Vor dem Finaldurchgang besaßen neben dem führenden Carlsen noch drei weitere Akteure Aussichten auf den Turniersieg. Carlsen profitierte schließlich davon, dass Gukesh in einer ebenfalls engen Partie Caruana unterlag. Caruana katapultierte sich damit an Gukesh vorbei und wäre bei einer Niederlage Carlsens sogar selbst der Gewinner gewesen. So reichte es für ihn immerhin für Silber. Der in Lauerposition befindliche Nakamura hätte für einen Podestplatz gegen Wei Yi gewinnen müssen, doch er kam nicht über ein Unentschieden hinaus und verlor die anschließende Armageddon-Partie.

Das Schachereignis des Jahres bezog seinen Reiz zum einen daraus, dass alle Spieler auf den ersten fünf Plätzen der Weltrangliste versammelt waren und ihre Kräfte im klassischen Schach maßen. Auch Wei Yi, der derzeit neuntbeste Spieler, war in diesem erlauchten Kreis durchaus gut aufgehoben. Desweiteren erwarteten die Schachaficionados sehnsüchtig die beiden Duelle zwischen dem Spitzenreiter des Weltklassements Magnus Carlsen und dem 18jährigen Dommaraju Gukesh, der nach Carlsens Demission durch seinen Matchsieg gegen Ding Liren (China) im vergangenen Dezember zum amtierenden Weltmeister wurde.

Das Turnier begann gleich in der ersten Runde mit einem Paukenschlag, als Carlsen mit einer faszinierenden Königswanderung den Nachstellungen von Gukeshs Dame entkam und selbst den König des Inders zu Tode hetzte. In der Begegnung des zweiten Durchgangs sah Carlsen bereits wie der sichere Sieger aus, doch dann verrechnete er sich und verlor sogar noch.

Der innovative Modus des Turniers förderte das Zustandekommen spannender Begegnungen. Die sechs Teilnehmer trafen im klassischen Schach doppelrundig aufeinander, so dass jeder Spieler einmal die weißen und einmal die schwarzen Steine führte. Wie im Fußball wurde ein Sieg in der klassischen Partie mit drei Punkten für den Gewinner honoriert, während der Verlierer komplett leer ausging. Bei einem Remis hatten beide Spieler einen Punkt sicher, doch schloss sich in diesem Fall eine zusätzliche Armageddon-Partie an. Dafür erhielt Weiß zehn Minuten und Schwarz sieben Minuten Bedenkzeit. Beide Opponenten bekamen einen Zeitaufschlag von einer Sekunde pro Zug, jedoch erst ab dem 41. Zug. Der Sieger dieser Begegnung erhielt einen weiteren halben Zähler.

Magnus Carlsen – Dommaraju Gukesh

13. Norway Chess, Stavanger, Runde 1, 26. Mai 2025, Damenbauernspiel – Dschobawa-System

1.d4 Sf6 2.Sc3 d5 3.Lf4 (Carlsen wählt ein auf den georgischen Großmeister Baadur Dschobawa zurückgehendes System, um Gukesh auf wenig erforschtes Terrain zu locken.) 3...c5 4.e3 Lg4 5.Le2 (In Betracht kam 5.f3, doch Carlsen hat andere Ideen.) 5...Lxe2 6.Scxe2!? (Statt der natürlichen Fortsetzung 6.Dxe2 gruppiert der Norweger damit seinen Damenspringer um, weil er das Zentrum mit c3 befestigen will.) 6...Sc6 7.Sf3 e6 8.c3 Le7 9.Sg3 O-O 10.De2 h6 11.Td1 Da5 12.a3 Tfd8 13.h4!? (Nach 13.0-0 Tac8 = wäre die Position ausgeglichen.) 13...Da4! 14.Se5 Sxe5 15.Lxe5 Sd7 16.Lf4 Da6?! (Mit 16...Tac8 oder 16...Db3 konnte sich Gukesh ein etwas angenehmeres Spiel sichern.) 17.Df3!? (Objektiv wäre 17.Dxa6 bxa6 18.Kd2 = angesagt, doch bietet dieses Endspiel keinerlei Gewinnchancen.) 17...Ld6 18.Sh5 Lxf4 (Nach 18...Lf8 hätte Carlsen mit 19.Th3 einen Königsangriff eingeleitet.) 19.Dxf4 e5! 20.Dg3 Dg6 21.Dxg6 fxg6 22.Sg3 exd4 23.cxd4 c4 24.Se2 b5 25.Sc3 (Die Position ist ausgeglichen, doch bietet die Struktur noch genügend Potential, auf Gewinn zu spielen.) 25...Sf6! 26.Tb1! (26.Sxb5? Tab8 27.a4 a6 28.Sc3 Txb2 =/+ brächte Weiß in Schwierigkeiten.) 26...Tab8 27.f3 a5 28.b4! cxb3 29.Txb3 b4 30.axb4 Txb4 31.Ta3 Te8 32.Kd2 Tb2+ 33.Kd3 Txg2 34.Txa5 Tg3 35.Tf1 g5 36.hxg5 Txg5 37.Tfa1 h5 38.Ta8 Txa8 39.Txa8+ Kh7 40.e4 dxe4+ 41.fxe4 h4 42.e5 h3! (Das ist stärker als 42...Sd7 43.e6 Tg3+ 44.Kc2 Sf6 45.e7 Te3 46.Sd5! Sxd5 47.e8D Txe8 48.Txe8 h3 49.Te1 +/=.) 43.exf6 h2 44.f7 Tg3+ 45.Kd2 h1D 46.f8D Dh6+? (Nach dem Damentausch haben die Antipoden mit computerartiger Präzision gespielt, doch nun strauchelt Gukesh. Mit 46...Tg2+ 47.Se2 Dh6+ 48.Kd3 Dh3+ 49.Kd2 Dh6+ = bzw. 48.Kd1 Dh1+ 49.Kd2 Dh6+ = hätte er den Remishafen erreichen können, denn auf das hochriskante 49.Kc4? De6+! 50.Kb4 Txe2 darf sich Carlsen nicht einlassen.) 47.Kc2 Dg6+ 48.Kb2 Db6+ 49.Ka2 Tg2+ 50.Ka3 Db2+ 51.Ka4! Dxc3 (Auch nach 51...Dc2+ 52.Kb4 Db2+ 53.Kc4 +- gehen Schwarz die Schachs aus.) 52.Dh8+ Kg6 53.Ta6+ Kf5 54.Df8+ Ke4 55.Te6+ (Wegen des forcierten Matts nach 55...Kd5 56.Df5+ Kc4 57.Db5+ Kxd4 58.Dd7+ Kc5 59.Tc6# resignierte Gukesh.) 1:0

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