Treten für den Frieden
Von André Dahlmeyer
An die 100.000 britische Fußballfanatiker waren zum Europa-League-Finale zwischen Tottenham Hotspur und Manchester United ins baskische Bilbao gereist. Hauptsächlich wohl zum Biertrinken, denn das Estadio de San Mamés fasst bei internationalen Spielen nur halb so viele Zuschauer. Treu sind sie ja, die britischen Fans. Trotz einer für beide Teams völlig verkorksten Saison. Nun zählte nur noch eins: das Finale gewinnen und nächstes Jahr Champions League spielen. Manchester United hatte noch ein bisschen mehr Druck, denn neuerdings sind die Red Devils nicht mehr Englands alleiniger Rekordmeister. Ein Finale der Verlierer, bei dem am Ende einer aber so richtig dumm aus der Wäsche gucken sollte.
Einen in der heimischen Liga derart schlecht (Rang 17) plazierten Europa-League-Finalisten wie Tottenham gab es noch nie. Zusammengezählt haben beide an 37 Ligaspieltagen 39 Spiele verloren, nur 21 gewonnen. Tottenham hat doppelt so viel Tore kassiert wie der Londoner Lokalrivale Arsenal (Platz zwei), United nur halb so viel erzielt wie Meister FC Liverpool. Wettbewerbsübergreifend verlor Tottenham sogar 25 Matches (von 58), so mies waren die Spurs seit der Saison 1991/92 nicht mehr. Dabei hätte der Einstieg des neuen Trainers Angelos Postecoglou Anfang der vergangenen Saison kaum besser sein können. Nach den ersten zehn Spieltagen der Premier League hatten die Spurs 26 von 30 Punkten eingeheimst – Ligarekord. Diese Saison lief es umgekehrt. Die Niederlage am Wochenende bei Aston Villa in Birmingham war bereits die 21. Pleite für den Klub, der seinen Namen von den Sporen der Kampfhähne hat. Den letzten nationalen Titel gewann der Verein aus Nordlondon 2008 (Ligapokal). Der letzte internationale Triumph (UEFA-Pokal) ist gar 41 Jahre her. Meister wurden die Spurs lediglich zweimal, zuletzt 1961 – also nach Elvis Presleys Stationierung in Friedberg, aber sehr lange vor der eventuellen Mondlandung. Einziger Übriggebliebener des Champions-League-Finals von 2019 gegen Liverpool ist der Ex-Hamburger Heung-Min Son.
Bei Manchester United sieht es ähnlich düster aus. In der Premier League landete man auf Rang 16. Dass der Klub aus Trafford nicht zum zweiten Mal nach 1974 abgestiegen ist, verdankt er mutmaßlich seiner Performance gegen die drei grässlich kickenden Absteiger FC Southampton, Ipswich Town und Leicester City, gegen die ManU 16 von 18 Punkten holte. Von den internationalen Plätzen trennen sie aktuell 27 Punkte, Klassenprimus Liverpool hat satte 44 Punkte mehr.
Während der ersten Halbzeit des Finals war das Duell der kriselnden Giganten mehr oder minder ausgeglichen. Ein Gehaue und Gesteche, Treten für den Frieden. Manchester United hatte eine Großchance durch seinen rechten Flügelstürmer, den Ivorer Amad Diallo. Sein Knaller ging haarscharf am langen Pfosten des Kastens von Guglielmo Vicario vorbei. Ansonsten standen die Hauptstädter kompakt, gewannen immer mehr Raum. In der 42. Minute sandte der senegalesische Nationalspieler Pape Matar Sarr von weit links einen Ball mit rechts an den kurzen Pfosten, wo es zu einer grotesken Szene kam: Der Waliser Angreifer Brennan Johnson konnte den Ball nicht unter Kontrolle bringen, von seiner Wade sprang er hinauf nach hinten gegen den Arm von Luke Shaw und von dort direkt in die Reusen von André Onana, der sich gerade bei Meditationsübungen überrascht sah. Suchte er seine Lesebrille? Dachte er an Loris Karius?
Der zweite Abschnitt spielte sich überwiegend in den Gefilden der Spurs ab. United-Kapitän Bruno Fernandes trieb seine Mannen unaufhaltsam zum Angriff. Die Spurs machten alles dicht. Engtanz in Bilbao. Vor allem Abwehrchef und Weltmeister »Cuti« Romero und ManUs Laternenpfahl Harry Maguire gerieten ein ums andere Mal aneinander. Kamen die Red Devils doch mal zum Abschluss, stand da Guglielmo Vicario. Der Fels in der Brandung. Für einen Todeskonter hatten die Spurs keine Kraft mehr, auch wenn mittlerweile Son im Spiel war (Richarlison war k. o.). Dafür, dass es beim 1:0 blieb, zeichnete vor allem Abwehrmann Micky van de Ven Verantwortung, der in Minute 68 mit einer der artistischsten Rettungstaten der letzten Jahre den Ausgleich verhinderte. Nach der Einwechslung des argentinischen Nationalspielers Alejandro Garnacho drehte ManU noch mehr auf – indes, es reichte nicht mehr.
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