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Aus: Ausgabe vom 30.04.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Union Busting

»Gekündigte geraten mehr unter Druck«

Unternehmer begründen fristlose Kündigungen meist »verhaltensbedingt«. Ein Gespräch mit Reinhold Niemerg
Von Jessica Reisner
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Das kann ganz rasch passieren: Aus der Werkshalle in die »Wartehalle« der Arbeitsvermittler

Vorweg, was bedeutet eine fristlose Kündigung für Lohnabhängige?

Die fristlose Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung. Damit endet unmittelbar auch die Lohnzahlung. Wichtig ist, dass die Gekündigten innerhalb von drei Wochen eine Kündigungsschutzklage einreichen. Wird diese Frist versäumt, wird die Kündigung rechtskräftig. Unabhängig davon, ob sie unrechtmäßig ist. Die Gekündigten müssen sich darüber hinaus innerhalb von drei Tagen bei der Bundesagentur für Arbeit melden.

Die Arbeitsagentur macht den Gekündigten also noch zusätzlichen Stress?

Ja, bei fristlosen Kündigungen droht eine zwölfwöchige Sperrzeit und eine Verkürzung der Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld. Denn die Unternehmen begründen fristlose Kündigungen meist verhaltensbedingt. Die Arbeitsagentur unterstellt dann, dass die Beschäftigten durch arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben haben.

Können Sie als Anwalt gegen eine solche Sperre juristisch vorgehen?

Ja, dies ist aber ein eigenes sozialrechtliches Verfahren. Es stellt sich dann allerdings die Frage, welches der beiden Verfahren länger dauert: das Verfahren vor dem Sozialgericht oder vor dem Arbeitsgericht. Arbeitsrechtlich gibt es mittlerweile sogar weitere Verschärfungen. Stellte das Arbeitsgericht früher die Unrechtmäßigkeit einer Kündigung fest, erhielten die Gekündigten in aller Regel den sogenannten Annahmeverzug, also ausstehenden Lohn, nachgezahlt.

Nun gibt es dazu aber eine veränderte Rechtsprechung …

Stimmt, die Rechtsprechung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts hat sich drastisch geändert. Der Senat hat den Unternehmen mittlerweile einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur gegen die Beschäftigten eingeräumt. Können Gekündigte gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitgeber keine ausreichenden Bewerbungsbemühungen vorweisen, droht der Verlust des Annahmeverzugslohns. Dann kann böswillig unterlassener Verdienst unterstellt werden. Diese Regelung macht unrechtmäßige Kündigungen für Unternehmen deutlich risikoärmer. Die Gekündigten geraten aber noch mehr unter Druck.

Kennen Sie aus Ihrer Praxis bei Kündigungsverfahren Wartezeiten von einem Jahr bis zum ersten Verhandlungstermin?

Die Erfahrung, dass der erste Kammertermin am Arbeitsgericht Berlin erst ein Jahr nach der Kündigung stattfindet, habe ich in meinem vergangenen Kündigungsschutzfall auch gemacht. Bei meinem heftigsten Fall fand der erste Kammertermin beim Arbeitsgericht Berlin sogar erst zwei Jahre nach der Kündigung statt. Dabei ging es um eine außerordentliche Kündigung durch ein Theater.

Wie ist so etwas möglich?

Unter anderem, weil das Theater eine Verschiebung beantragt hatte, da ein Verhandlungstermin in den Theaterferien gelegen hätte. Trotz heftiger Gegenwehr unsererseits folgte das Gericht dem Antrag.

Was sind die Gründe für die langen Verfahrensdauern?

Das Arbeitsgericht Berlin argumentiert regelmäßig mit dem Terminstand. Hier werden dringend mehr Richterinnen und Richter gebraucht. Denn komplexe Fälle sind zeitintensiv. Ich meine aber auch, dass Verschiebungsanträgen von Großkanzleien nicht mehr ohne weiteres nachgekommen werden sollte. Bei großen Sozietäten arbeiten sehr viele Rechtsanwälte. Da sollte es möglich und zumutbar sein, dass bei Terminverhinderung der sachbearbeitenden Anwälte Kollegen aus der Kanzlei übernehmen, damit das Verfahren schneller abgeschlossen werden kann.

Reinhold Niemerg ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er betreibt mit Rechtsanwalt Benedikt Hopmann eine Kanzlei in Berlin

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