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Aus: Ausgabe vom 12.04.2025, Seite 12 / Thema
Medien und Öffentlichkeit

Die KI soll’s richten

Medienmanager erhoffen sich vom Einsatz »künstlicher Intelligenz« die Rettung ihrer Geschäftsmodelle. Das wird nicht klappen, aber die Folgen dürften dramatisch sein
Von Gert Hautsch
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Vor allem bei der jüngeren Generation hat der Medienkonsum per Handy die gedruckte Zeitung längst abgelöst. In Social-Media-Angeboten aber sind die »Nachrichten« durch den Algorithmus stets schon vorsortiert (Szene aus der Londoner Metro)

Markus Messerer, Chief Commercial Officer beim Fernsehkonzern Pro-sieben-Sat.1 (P7S1), war begeistert: »Mit diesem KI-Spot schreiben wir TV-Geschichte.« Der Anlass: Mitte März 2025 hatte sein Unternehmen den ersten vollständig von »künstlicher Intelligenz« (KI) erstellten TV-Werbefilm (für »Lacalut«-Zahnpasta) produziert. Darin geht es um Menschen aus verschiedenen Jahrzehnten und ihr Lächeln. Die KI hat nicht nur Umgebungen zur jeweiligen Zeit erstellt, sondern auch »fotorealistische Personen« entworfen. Damit entfiel die aufwändige Suche nach Darstellern, Kulissen und Kostümen. Auch die Musik und der Sprecher kamen aus dem Rechner.

Der Vorgang wäre für sich genommen belanglos, an seinem Beispiel zeigt sich aber die neueste Stufe in einem technischen Prozess, der als Digitalisierung der Medienproduktion bezeichnet wird. Analoge Inhalte (Texte, Töne und Bilder) werden auf digitalen Trägern erfasst, aufbereitet, gespeichert und weitergegeben. Tradierte Geschäftsmodelle (gedruckte oder per Funk verbreitete Medien) werden verdrängt. Der Prozess ist seit der Etablierung des Internets Ende der 1990er Jahre wirksam. Dort, wo die etablierten Unternehmen den Trend verschlafen hatten (z. B. Musikindustrie, Zeitungen), konnten neue Akteure Teile des Geschäfts an sich ziehen. Digitalisierte Inhalte können losgelöst vom Produkt ihrer Urheber bzw. der sie vertreibenden Unternehmen weitergegeben werden. Das schuf den Raum für globalisierte Plattformen, die sehr schnell das Onlinewerbegeschäft übernahmen.

Plattformkapitalismus

Die sogenannte Plattformökonomie wurde zum bestimmenden Merkmal der Digitalisierung. Unternehmen haben Onlineportale eingerichtet, über die sie die Arbeits- und Dienstleistungen anderer vermitteln und so mit wenig materiellem Aufwand gigantische Profite erzielen konnten. Unter einer anfänglichen Vielfalt von Anbietern haben sich eine Handvoll (Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft) durchgesetzt und monopolartige Strukturen errichtet. Mit ihren schier unerschöpflichen Finanzreserven und gestützt durch den US-Staat haben sie global und auch in der deutschen Medienwirtschaft eine zentrale Stellung errungen.

Vor etwa zehn Jahren schien es so, als hätten sich die verbliebenen Akteure mit den veränderten Bedingungen arrangieren können. Die Musikindustrie hatte die Entwicklung nach der Jahrtausendwende als Katastrophe erlebt, bewegte sich aber seit dem Tiefpunkt 2010 wieder nach oben. Bei der Buchbranche war es den Akteuren gelungen, ihr Geschäftsfeld weitgehend intakt zu halten. Bei den Pressemedien allerdings ging der Niedergang weiter, beim Fernsehen fing er gerade an.

Die technische Entwicklung ist seither jedoch nicht stehengeblieben. Mit Streaming ist die Wiedergabe von Tönen und Bildern direkt aus dem Internet möglich geworden. Die Kundschaft benötigt kein Speichermedium, sie muss auch nichts herunterladen. Der Konsum erfolgt unabhängig von Zeit und Raum. Die Pionierbranche hierfür war die Musikindustrie, später folgten Sprachbeiträge (Podcasts) und Bewegtbild (Video). Bei textbasierten Medien (Zeitungen und Zeitschriften) setzt sich der »Newsfeed« als neue Konsumform durch: In einem Nachrichtenstrom werden Meldungen unterschiedlicher Herkunft zusammengestellt und laufend angeboten.

Für alle Streamingformate ist die individualisierte Ansprache kennzeichnend. Ein Algorithmus ermittelt aus den bisherigen Vorlieben und Nutzungsgewohnheiten jeder teilnehmenden Person ein spezielles Angebot. Das Prinzip »mehr vom Gleichen« kommt den Wünschen der meisten Menschen entgegen. So werden sie auf der Plattform gehalten, was gut für die Werbeerlöse ist und eine schier unerschöpfliche Quelle an persönlichen Daten schafft. Die technische Voraussetzung dafür sind enorme Rechnerleistungen, für die sich der Begriff »künstliche Intelligenz« durchgesetzt hat. Es geht darum, in kürzester Zeit möglichst zielgenaue Prognosen zu erstellen und aus dem vorhandenen Reservoir an Inhalten eine Auswahl zu treffen.

Mit dem Aufkommen von »generativer KI« (zum Beispiel Chat-GPT seit 2023) wird der Prozess auf eine neue Stufe gehoben. Solche Programme sind in der Lage, Texte, Töne und Bilder aus gesetzten Vorgaben eigenständig zu erstellen, wobei schon ein hohes Qualitätsniveau erreicht wird. Das stellt die journalistischen Arbeitsprozesse und Berufsbilder und letztlich die Medien in ihrer heutigen Gestalt infrage.

Streaming statt Rundfunk

Bei den audiovisuellen Medien bedeutet das, dass analoge Sender mit festem Programm durch Streamingformate verdrängt werden. Am augenfälligsten zeigt sich das bei »Bewegtbild«. Dort ist zwar immer noch das klassische Fernsehen die vorherrschende Technik. Dessen Nutzungszahlen bewegen sich allerdings deutlich nach unten.

Der deutsche Fernsehmarkt ist zweigeteilt. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF decken gut die Hälfte der Reichweite, gemessen an den Zuschauerquoten, ab, den Rest besetzen zu drei Vierteln die beiden Sendergruppen RTL (Bertelsmann) und P7S1. Letztere wird vom italienischen Konzern Fininvest (Berlusconi) und dem tschechischen Investor PPF beherrscht. Bei den Werbeerlösen greifen die beiden privaten Ketten drei Viertel des Geschäfts ab, ARD und ZDF spielen hier kaum eine Rolle.

Auf dieser Grundlage war der Betrieb privater Fernsehsender viele Jahre lang ein hochprofitables Geschäft. Bis 2018 stiegen die Werbeeinnahmen ununterbrochen. Seither tendieren sie mit einer Ausnahme 2021 nach unten. Reklame ist aber die Haupteinnahmequelle der Sender, deshalb schlägt sich diese Entwicklung direkt in den Bilanzen nieder. Ein Rezept, um dem Akzeptanzverlust des linearen Fernsehens und damit der schwindenden Stellung auf den Werbemärkten entgegenzuwirken, ist noch nicht gefunden worden.

Der Konkurrent, das Videostreaming, hat 2013 den Durchbruch in Deutschland geschafft. Von Anfang an waren die US-Konzerne Netflix und Amazon die Spitzenreiter, gefolgt von Disney und Paramount. Diese Stellung haben sie bis heute gehalten, die deutschen Portale »RTL plus«, »Joyn« (P7S1) und »Wow« (Sky) spielen nur in den unteren Ligen mit.

Seit 2023 zeichnet sich auch hier ein Wandel ab. Die großen Plattformen konnten anfangs mit aufwändigen Eigenproduktionen und Werbefreiheit rasch Marktanteile gewinnen. Aber die Zahl der Premiumabonnements stagniert. Als Reaktion darauf werden Produktionsetats gekürzt und werbefinanzierte Formate zu geringeren Preisen angeboten. Umfragen besagen, dass die Vielzahl der Videoportale, für die jeweils ein eigenes Abonnement erforderlich ist, beim Publikum für Übersättigung sorgt. Knappere Kassen tun ein übriges. Verträge werden oft nur für kurze Zeit – etwa um ein Sportereignis oder eine Serie sehen zu können – abgeschlossen. Social-Media-Plattformen (Youtube, Instagram, Tik Tok) und die Mediatheken der Fernsehsender profilieren sich zudem als Alternativen.

Angesichts dessen gewinnt für die Investoren und Manager der Sender der Einsatz von KI an Reiz. Es wird schon mit rein computergenerierten Radioprogrammen experimentiert (zum Beispiel »Big GPT«): Die »Sendung« wird von einer Roboterstimme moderiert, ein Algorithmus stellt für jeden entsprechend der bisherigen Vorlieben ein individualisiertes Programm samt persönlicher Ansprache zusammen. Anfangs beschränkte sich das auf Musiksendungen, aber inzwischen kann man auch mit »Big Laya« über Liebe, Sex und Zärtlichkeit sprechen.

Für Bewegtbildprogramme hat die US-Firma Open AI kürzlich ihr Programm »Sora« vorgestellt. Die Funktionsweise ist unkompliziert: Man gibt einen Text ein und das Programm wandelt ihn in ein Video um. Das System bietet dabei verschiedene Ausgabeformate an und ermöglicht es, vollständig neue Inhalte zu generieren oder vorhandenes Material zu verbessern und neu zu kombinieren. Der eingangs geschilderte P7S1-Werbespot zeigt, was heute schon möglich ist.

Bei Unterhaltungsformaten (Filme, Serien, Shows, Sport) haben sich Streamingplattformen zu einer harten Konkurrenz für die analogen Sender entwickelt. Bei Informations- und Meinungsprogrammen ist das bislang kaum der Fall, hier entwickeln sich jedoch Podcasts und Videoseiten – meist auf Social-Media-Plattformen wie Youtube oder Tik Tok – als ernsthafte Alternative. Vor allem für junge Menschen sind sie eine wichtige Informations- und Bildungsquelle geworden. Ob sich Rundfunksender längerfristig gegen diese Konkurrenz behaupten können, ist noch nicht absehbar.

Auf dem Weg in die Wüste

Bei den Zeitungen reicht die Erosion der wirtschaftlichen Basis bis zum Beginn der 1990er Jahre zurück. Sind 1991 noch 27 Millionen gedruckte Tageszeitungen verkauft worden, so waren es Ende 2024 gut acht Millionen. Anfangs haben die schwindenden Auflagen die Verlage nicht groß gekümmert, weil ihre Anzeigenerlöse stiegen. Die erreichten ihren Höhepunkt mit 6,6 Milliarden Euro im Jahr 2000 und sinken seither ebenfalls kontinuierlich (2024: 2,1 Milliarden). Dafür gab es mehrere Gründe. Das Internet hat den Prozess nicht ausgelöst, verstärkt ihn jedoch.

In den 1990er Jahren machten erste Nachrichtenportale den Zeitungen ihr Monopol auf tagesaktuelle Berichterstattung streitig (zum Beispiel Spiegel online 1994). Sie wurden zunächst als lästige Konkurrenz betrachtet, der mit einer Strategie der Marktverstopfung beizukommen sei. Die Verlage stellten die Inhalte ihrer Zeitungen kostenlos ins Netz und hofften, dadurch deren Reichweite und Werbeerlöse zu steigern. Unter den Folgen der so erzeugten »Gratismentalität« leiden sie bis heute, denn das Publikum hat sich daran gewöhnt, dass »News« im Internet umsonst zu haben sein sollen.

Unterdessen hat sich die Haltung der Pressehäuser zum Internet umgekehrt. Angesichts schwindender Druckauflagen soll von dort nun die Rettung für den Journalismus kommen. Zum einen wird ein E-Paper angeboten, das heißt das Layout der Zeitung im PDF-Format für Tablet und Smartphone. So werden steigende Kosten für den Druck und den Vertrieb vermieden, ansonsten bleibt das Produkt gleich. Problem: Das digitale Abbild setzt eigentlich die Existenz der Printausgabe voraus. Die Auflagen der E-Papers steigen zwar (aktuell 2,5 Millionen), sie können aber die Verluste bei der Druckausgabe nicht ausgleichen.

Die Zeitungsverlage sehen die zukunftsweisende Alternative denn auch eher in den Onlineportalen ihrer Redaktionen. Wie erfolgreich diese Strategie ist, bleibt offen, übergreifende Zahlen gibt es nicht. Einzelne große Zeitungen nennen die Menge der Onlineabonnements. Zählt man sie mit deren verkaufter Auflage zusammen, dann sieht es so aus, als ob die Printverluste durch Onlineerfolge ausgeglichen würden. Allerdings gilt das nur für die jeweiligen Titel, nicht für die Tageszeitungen insgesamt.

Wichtiger als die Verkaufszahlen sind außerdem die Erlöse. Für 2023 hat der Verlegerverband Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) mitgeteilt, dass die Tageszeitungen im Durchschnitt elf Prozent ihrer Einnahmen aus Digitalgeschäften ohne E-Papers ziehen. Bei den Regionalzeitungen waren es sogar nur 5,9 Prozent. Deutlich bessere Quoten (36,7 Prozent) hat es nur bei den überregionalen Titeln gegeben. Und das sind nur die Umsätze; zur Rentabilität der Redaktionsportale gibt es keine Auskünfte.

Für den Großteil der Tagespresse bleibt die Printausgabe die Grundlage ihres Geschäfts. Das erodiert jedoch. Die Verlage reagieren mit einer Ausdünnung des Angebots, mit der Übernahme kleinerer Titel durch große und einer Vereinheitlichung der Berichterstattung. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland des Hannoveraner Madsack-Konzerns beliefert mehr als 90 eigene und fremde Zeitungen in ganz Deutschland mit redaktionellen Inhalten. Seit der Jahrtausendwende haben mehr als 60 Zeitungsverlage den Eigentümer gewechselt, nicht selten auch mehrfach. Zwei Großverlage (Holtzbrinck und Axel Springer) sind komplett bzw. größtenteils ausgestiegen.

Die Krise der gedruckten Zeitung verschärft sich. Seit dem Herbst 2023 haben die Großverlage Madsack und Funke in einigen ländlichen Gegenden Brandenburgs die Zustellung der Lokalzeitungen beendet. Seit Anfang 2025 druckt Funke im Süden Thüringens seine drei Lokalblätter nur noch dienstags bis samstags, am Montag steht ein E-Paper zur Verfügung. Die überregionale Taz hat für den Herbst 2025 das komplette Ende ihrer gedruckten Ausgabe angekündigt. Wer die Zeitung weiter lesen will, muss auf digitale Varianten ausweichen. Der Axel-Springer-Konzern spricht schon seit Jahren davon, dass die gedruckte Bild und Die Welt im Print demnächst ein Ende finden werden.

Womöglich bleiben einige große Zeitungstitel im Internet erhalten (eventuell mit einer gedruckten Ausgabe als Luxusprodukt), die lokale Presse dürfte aber nach und nach verschwinden. In einer Studie vom November 2024 wird für die Zeitungslandschaft in Deutschland aktuell ein Zustand der »Versteppung« in etlichen ländlichen Gegenden festgestellt, der Weg zu »Nachrichtenwüsten« à la USA – Gebiete gänzlich ohne Lokalpresse – ist nicht mehr lang.

Ab in die Filterblase

Die Digitalisierung führt bei Medien mit journalistischen oder kulturellen Inhalten (Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsender) zu dramatischen Verlusten. Gedruckte Periodika befinden sich schon seit längerer Zeit in einem Sog nach unten, dessen Ende noch nicht erreicht ist. Bei den Rundfunksendern zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Besonders stark bedroht ist der lokale und regionale Journalismus, denn bislang sind weder Sender noch Onlineportale in der Lage, das Verschwinden der Zeitungen aus der Fläche zu ersetzen.

Bei den überregionalen Onlinenachrichtenseiten dominieren die Angebote großer Pressekonzerne (Springer, Ippen, Madsack, Funke, Spiegel, RTL, Burda) die Ranglisten nach der Reichweite. Ob sie jedoch ohne das jeweilige gedruckte Medium ökonomisch tragfähig wären, ist unklar. Außerdem fehlen bei derartigen Messungen die globalen Digitalkonzerne wie Google oder Facebook, weshalb die Statistiken wenig aussagen.

Journalistische Medien sind für die Versorgung der Bevölkerung mit Informationen und Meinungen, somit für einen funktionierenden politischen Diskurs und auskömmliche soziale Beziehungen, unerlässlich. Der Satz von Niklas Luhmann von 1996 gilt immer noch: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.« Der drohende Niedergang redaktionell verantworteter Medien ist eine ernsthafte Gefahr.

Wie das Reuters Institute in seinem Digital News Report 2024 schreibt, meiden 69 Prozent der Erwachsenen in Deutschland hin und wieder Nachrichtenangebote, 14 Prozent tun das oft. Ein bedeutender Teil der Bevölkerung informiert sich überhaupt nicht mehr aus journalistischen Quellen über das soziale und politische Geschehen. Vor allem jüngere Menschen wachsen oft ohne Bezug zu etablierten Medien auf, sie beziehen ihr Wissen über Social Media oder durch persönliche Hinweise. Für 35 Prozent der 18- bis 24jährigen ist Social Media die hauptsächliche Nachrichtenquelle, für 16 Prozent sogar die einzige. Tendenz steigend.

Das Smartphone ist dafür die Schlüsseltechnik. Wer eines besitzt, und das sind 82 Prozent der Gesamtbevölkerung und 95 Prozent der 14- bis 19jährigen, kann Texte lesen, Podcasts hören und Videos ansehen. Mit dem Smartphone erfolgt die Mediennutzung mobiler und weniger strukturiert, Inhalte werden oft »im Vorbeigehen« konsumiert. Bei Nachrichten ist der Wandel am augenfälligsten: Über das Smartphone besteht häufiger, zugleich aber auch deutlich kürzer Kontakt mit einzelnen Meldungen, die Aufmerksamkeit ist geringer, ausführlichere Texte sind weniger gefragt. Die Machart der am häufigsten genutzten Plattformen – X, Facebook, Tik Tok, Instagram – verstärkt diese Wirkung. Die Formate sind auf kürzeste Fristen ausgelegt, in denen eine tiefere Befassung mit einem Thema nicht möglich ist.

Wer Nachrichten nur als kurzweiligen Zeitvertreib aufnimmt, für den wird das gesellschaftliche und politische Geschehen nebensächlich. Politisches Interesse, der Wunsch nach Teilhabe, das Bemühen um die Auseinandersetzung mit Standpunkten werden verschüttet. Dem kommt die Form der Präsentation der Inhalte entgegen. Wenn Algorithmen aus den bisherigen persönlichen Nutzungsgewohnheiten ein Angebot ermitteln, dann erzeugt das bei Nachrichten und Meinungen die berüchtigten Filterblasen, in die nicht passende Informationen nur noch schwer eindringen können. Für die Plattformbetreiber ist das vorteilhaft, denn so schaffen sie geschlossene »Universen«, in denen die Nutzer gar keinen Anlass mehr sehen, sie zu verlassen. Das steigert die Werbeerlöse. Spätestens seit der Übernahme von »Twitter« durch Elon Musk und die Umwandlung in »X« ist klar, dass das auch politischen Interessen dienen kann.

Derzeit entsteht durch »generative KI« eine qualitativ neue Situation. Mediale Inhalte können ohne aktive Beteiligung von Menschen erstellt werden. Am schnellsten verbreitet sich das bei Texten, aber keineswegs nur dort. Einige deutsche Konzernführer, allen voran Springer-Chef Mathias Döpfner, sehen darin die Rettung ihres Geschäftsmodells. KI »bietet uns die Chance für eine Wiedergeburt der Zeitung«, teilte er im April 2024 in der Neuen Zürcher Zeitung mit. Er wird dort sinngemäß zitiert: »Für alle möglichen produktionstechnischen Arbeitsschritte brauche es in Redaktionen bald keine Menschen mehr. Journalisten könnten sich künftig auf das konzentrieren, was den Beruf intellektuell ausmache, etwa investigative Recherchen, Reportagen und echte Neuigkeiten.«

Der Roboter übernimmt

Schon jetzt werden in Zeitungsredaktionen Texte von Robotern erstellt. Bislang betrifft das vorwiegend Veranstaltungsprogramme, Sportberichte, Werbetexte, auch Grafiken und Illustrationen. Hinzu kommen das Zusammenfassen, Kürzen oder Verlängern von Texten, die Übernahme von Vorarbeiten (Übersichten, Archiv- und Stichwortsuche). Auch das Layout kann automatisch zusammengestellt werden. Der Zeitschriftenverlegerverband Medienverband der freien Presse (MVFP) berichtete, dass 44 Prozent der Verlage bei der Texterstellung auf KI setzen, bei Bildern 28 Prozent; genauso viele haben es vor. Unlängst hat sich der Presserat mit dem Fall einer Boulevardzeitung befasst, die rein KI-generierte Texte veröffentlichte, als Verfasserin einen Fantasienamen nannte und diesen auf der Profilseite mit einem KI-generierten Foto versah. Das Vorgehen wurde »missbilligt«.

Was Leuten wie Mathias Döpfner vorschwebt, geht noch darüber hinaus. Der Springer-Konzern hat Ende 2023 seine Nachrichten-App »Upday« eingestellt. Kurze Zeit später hat er unter demselben Namen einen »News Aggregator« auf dem Weg gebracht, der keine eigenen Inhalte mehr erstellt, sondern sie von einem KI-Programm im Internet zusammensuchen lässt. Wer die App nutzt, bekommt einen Newsfeed geliefert, auf das persönliche Nutzerprofil zugeschnitten und in verschiedenen Tonalitäten und Sprachstilen abgefasst. Für die Anfangsphase stehen Varianten für Jüngere (Tik-Tok-Stil) und für Intellektuelle (längere, differenziertere Texte) sowie eine unterhaltsamere Variante im Angebot. Die Erwartung, damit »eine neue Ära des Journalismus« (Döpfner) einläuten zu können, dürfte trotzdem trügen. Den größten Teil der Werbeeinnahmen im Internet greifen die Global Players ab.

Medien in herkömmlicher Form – von journalistisch ausgebildeten und motivierten Personen für ein breites Publikum zusammengestellt und zumindest dem Anspruch nach an Objektivität und Wahrheit orientiert – drohen zu verschwinden, am frühesten wohl beim lokalen Journalismus. Statt dessen beschaffen sich Menschen rund um den Globus Informationen von computergesteuerten Plattformen, die mediale Inhalte unklarer Herkunft und von kaum überprüfbarem Wahrheitsgehalt je nach persönlichen Vorlieben zusammenstellen. Die Vorstellung ist nicht abwegig, dass in absehbarer Zeit eine Handvoll globaler Digitalkonzerne, vorzugsweise aus den USA, große Teile der Menschheit mit von ihnen gelieferten Botschaften versorgen. »News Influencer« können sich in diesem Milieu ein Massenpublikum schaffen, das sie zu Geld machen und für politische Einflussnahme nutzen. Das gleiche gilt für rein politische Akteure.

Diese Entwicklung wäre nicht nur für die Beschäftigten in den Medienunternehmen dramatisch, sondern auch für eine funktionsfähige Öffentlichkeit, für die Kontrolle politischen Handelns, letztlich für den Zusammenhalt der Gesellschaften. Die Mittel, dem entgegenzuwirken, sind bekannt: Aufspaltung der globalen Konzerne, Offenlegung der Algorithmen, Verantwortlichkeit der Plattformen für die verbreiteten Inhalte, Unterbindung monopolistischer Praktiken, konsequente Durchsetzung von Urheberrechten gegenüber KI-Nutzern, staatliche Unterstützung für öffentlich-rechtliche und gemeinnützige Medien, Förderung journalistischer Arbeit und anderes. Allerdings würde das den entsprechenden politischen Willen und die Bereitschaft zum Machtkampf mit den Digitalkonzernen voraussetzen. Angesichts der aktuellen politischen Zustände in den USA, der EU und hierzulande sind die Aussichten dafür gering.

Der Text ist die Zusammenfassung eines umfangreicheren Beitrags, der im Juni 2025 in Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung in Frankfurt am Main erscheinen wird.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (12. April 2025 um 14:27 Uhr)
    Der Artikel entwirft ein eher düsteres Bild der Medienzukunft: Die traditionelle Medienlandschaft – insbesondere Print und Rundfunk – steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Der Vormarsch von Künstlicher Intelligenz und die Dominanz globaler Plattformen verändern nicht nur wirtschaftliche Grundlagen, sondern auch die gesellschaftliche Rolle des Journalismus. Dabei zeichnen sich zwei Zukunftsszenarien – und ihre jeweiligen Spielarten – ab: Im positiven Szenario wird KI verantwortungsvoll als Werkzeug eingesetzt, um den Journalismus zu stärken: durch Automatisierung, präzisere Recherchen und zielgruppengerechte Formate. Neue Kooperations- und Finanzierungsmodelle – etwa gemeinnütziger Journalismus oder Stiftungsförderung – könnten dem lokalen Medienwesen neuen Halt geben. Im negativen Szenario hingegen verkommt Journalismus zu einem weitgehend automatisierten, inhaltsarmen Produkt. KI-gesteuerte Inhalte, dominiert von Konzerninteressen, bestimmen das Informationsangebot. Qualitätsjournalismus überlebt nur noch als Nischenprodukt. Demokratische Diskurse drohen, sich in algorithmisch gesteuerten Echokammern aufzulösen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (11. April 2025 um 20:26 Uhr)
    Widerspruch in sich: »Statt dessen beschaffen sich Menschen rund um den Globus Informationen von computergesteuerten Plattformen, die mediale Inhalte unklarer Herkunft und von kaum überprüfbarem Wahrheitsgehalt je nach persönlichen Vorlieben zusammenstellen.« Es werden Daten, nicht Informationen beschafft! Von der Information zu Wissen ist (mindestens) noch ein intellektueller Schritt notwendig. Aufpassen: Man (frau auch) kann zwar eine Maßeinheit und eine Menge für / von »Information« definieren, nämlich das »Bit«. Wie eine Bitfolge / Bitmenge zu interpretieren ist, was sie »bedeutet« ist eine ziemlich andere Sache. War da nicht was mit »Deutungshoheit«? Man könnte auch sagen: die herrschende Meinung ist stets die Meinung der Herrschenden. Man (frau auch) schaue genau hin, ob die Herrschenden das meinen, was ihre KI produziert, oder ob nur die Konsumenten dieser Meinung dieser Meinung sein sollen! Der Mensch ist, was er ist. Der Mensch ist, was er isst. Der Mensch isst, was er isst. Der Mensch isst, was er ist. Bitte erläutern!

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