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Aus: Ausgabe vom 08.04.2025, Seite 11 / Feuilleton
Alltag

Ruhe, bitte!

Menschliche Bedürfnisse
Von Marc Hieronimus
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Ohne Worte

Der Mensch hat gerne seine Ruhe. Gleichzeitig sucht er den Großstadttrubel. »Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse / Vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße« reimte dereinst Kurt Tucholsky etwas holprig und schloss, dass einer alles habe, sei doch selten. Wenn der Mensch also wählen muss, dann Ruhe – und die Großstadt möge bitte leise sein. Insbesondere »Musik wird oft nicht schön gefunden / Weil sie stets mit Geräusch verbunden«, wie der nicht weniger humorvolle sprachrhythmische Großmeister Wilhelm Busch im »Maulwurf« formulierte, und zwar, kann man heute sagen, selbst die von Profis an eigens dafür eingerichteten Orten aufgeführte.

Der Kölner Tanzbrunnen etwa, eine im rechtsrheinischen Grün zwischen Hohenzollern- und Zoo-, also Eisen- und Autobahnbrücke gelegene Konzerteinrichtung, ist einem Nachbarn zu laut, darum muss dort laut Gerichtsbeschluss spätestens abends um zehn Feierabend oder vielmehr Totenruhe sein. Der Kläger wohnt wohlgemerkt nicht seitlich, sondern gegenüber, das heißt den 350 Meter breiten Rhein, je zwei Strandpromenaden und Uferböschungen, einen Fuß- und Radweg und das vielbefahrene zwei-, also zusammen vierspurige Konrad-Adenauer-Ufer, noch einen Bürgersteig und nicht zuletzt ein gewiss mindestens doppelt verglastes Fenster entfernt und hat sich diese Nachbarschaft ausgesucht, als drüben schon regelmäßig Musik erscholl.

Auch die Kölner Volksbühne am Rudolfplatz, von 1936 bis 2014 Millowitsch-Theater, stellt seit ein paar Jahren um 22 Uhr die Stühle hoch: Ein Anrainer der belebten Aachener Straße geht früh zu Bett. Auf dem Brüsseler Platz zwei Ecken weiter gibt es jetzt pünktlich zu den ersten warmen Sonnenstrahlen ein abendliches Verweilverbot. Er ist einer der drei oder vier Plätzchen in der Millionenstadt, die angesichts von städteplanerischen Verbrechen und Drogenelend überhaupt noch zum Verweilen einladen. Motorräder mit frisierten Auspufftöpfen und knapp zwei Litern Hubraum dürfen weiterknattern. Die lachen und tanzen wenigstens nicht.

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