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Aus: Ausgabe vom 10.04.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Schuldenreport

Süden in Schuldknechtschaft

Report zu Krediten: Staaten des globalen Südens stottern täglich eine Milliarde US-Dollar ab. Mehr als je zuvor. Umfassende Erlasse gefordert
Von Ralf Wurzbacher
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»Im Kontext der Umschuldung«: Wartende mit Gasflaschen in Colombo, Sri Lanka

Die Spaltung der Welt in Arm und Reich hat im Zeichen multipler Krisen immer gravierendere Folgen. Der am Dienstag durch die Hilfsorganisationen Misereor und Erlassjahr.de veröffentlichte »Schuldenreport 2024« legt davon eindrücklich Zeugnis ab. Demnach müssen die Staaten des globalen Südens im laufenden Jahr soviel Geld wie noch nie fürs Abstottern ihrer Verbindlichkeiten aufbringen. Täglich wandern mehr als eine Milliarde US-Dollar aus den Armenhäusern der Erde in die Taschen von Gläubigern im wohlhabenden Norden. Viele Länder stünden »buchstäblich mit dem Rücken zur Wand«, warnte Kristina Rehbein, politische Koordinatorin von Erlassjahr.de bei einer digitalen Pressekonferenz. Angesichts der aktuell hohen Zinsen könnten betroffene Regierungen ihren Verpflichtungen oft nur »durch tiefgreifende Einschnitte im Bereich sozialer Grunddienste« nachkommen.

Zwar hat sich die Situation nach Corona in wenigen Fällen laut Studie »etwas verbessert« – die Zahl der als »sehr kritisch« bewerteten Staaten ist von 135 auf 130 zurückgegangen. In der Gesamtsicht hat sich die Notlage aber eher verschärft. Mehr als die Hälfte der 152 auf Datenbasis bis Dezember 2022 untersuchten Staaten (55 Prozent) mussten in die Rubrik »kritisch« oder »sehr kritisch« eingeordnet werden, vor der Pandemie waren es lediglich 37 Prozent. 2019 wiesen noch sieben Länder ein dramatisch hohes Verschuldungsniveau auf, nun sind es 24. Angeführt wird die Liste der Gebeutelten von Pakistan mit einem Auslandsschuldenstand von gut 99 Milliarden Dollar, gefolgt von Sri Lanka mit knapp 40 Milliarden Dollar und dem Libanon mit mehr als 33 Milliarden Dollar. Danach kommen Ghana, der Sudan und Sambia. Überhaupt ist die Subsahararegion eine Hochburg der Schuldner mit allein elf Vertretern der Kategorie »sehr kritisch«, auch in Lateinamerika und der Karibik sowie in Südasien, Südostasien und dem Pazifik ist die Lage in weiten Teilen verheerend.

Dem UN-Bericht »A World of Debt« zufolge leben derzeit mehr als 3,3 Milliarden Menschen in Staaten, die mehr Mittel in den Schuldendienst stecken als in Bildung und Gesundheit. Für den Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, spiegelt sich darin ein »systemisches Versagen« der Weltgemeinschaft. Laut »Schuldenreport« übersteigen diesbezügliche Ausgaben in 45 Fällen 15 Prozent der Staatseinnahmen, wobei davon vor allem private Gläubiger in den G7- und EU-Staaten sowie China profitieren. In ihrer Not und zwecks Devisenbeschaffung setzten die Leidtragenden »massiv« auf den Export heimischer Güter und Rohstoffe, was ebenso auf Kosten der Bevölkerung geht. Zu den Konsequenzen zählten ein beschränkter Konsum und die Vernachlässigung von Nachhaltigkeitskriterien und Arbeitsrechten in der Produktion. »Die Natur wird einem System neokolonialer Ausbeutung geopfert«, heißt es im Vorwort der Studie. Die globale Schuldenkrise sei »eine der wesentlichen Ursachen für Hungersnöte und ein maßgeblicher Grund, warum UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) nicht erreicht werden«.

Über die Misere in Sri Lanka berichtete Ahilan Kadirgamar, Professor der Universität Jaffna und einer der Studienautoren. Die Menschen litten unter stark gestiegenen Preisen für Energie, Haushalte würden vom Stromnetz abgeklemmt, die Lebenshaltungskosten hätten sich verdoppelt. »Öffentliche Infrastruktur soll zum Verkauf angeboten werden, um wieder Geld für den Schuldendienst zu mobilisieren – alles Folgen der von den Gläubigern verlangten Maßnahmen im Kontext der Umschuldung.« Nur umfassende Schuldenerlasse könnten einen Ausweg aus der Krise bieten, mahnte Klaus Schilder von Misereor und nahm die Bundesregierung in die Pflicht. Die Ampel müsse jetzt ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag erfüllen und sich beim »Summit of the Future« der UNO im September 2024 und im Vorfeld der vierten internationalen Entwicklungsfinanzierungskonferenz (FfD 4) im kommenden Jahr für einen »neuen Schuldenmanagementkonsens« einsetzen, so Rehbein von Erlassjahr.de. Zentraler Maßstab müsse sein, »dass die Menschenrechte in den Schuldnerländern wieder in den Vordergrund rücken und nicht die Profitinteressen der Gläubiger«.

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