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Aus: Ausgabe vom 19.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Antimilitarismus

Kämpferische Konferenz

Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten: Bundesweiter Zivilklauselkongress beriet in Frankfurt am Main über Maßnahmen gegen die Militarisierung der Hochschulen
Von Milan Nowak
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Teilnehmer des Kongresses in Frankfurt am Main

Was können die Hochschulen gegen die Militarisierung der Wissenschaften tun? Darüber diskutierten am Sonnabend und Sonntag über 60 Studenten, Wissenschaftler, Gewerkschafter und Friedensbewegte an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Eingeladen hatte die bundesweite Initiative »Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel« zusammen mit der hessischen Landesastenkonferenz, der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen, dem Sozialistisch-demokratischen Studierendenverband und weiteren Organisationen.

Den Auftakt bildete ein Podium mit Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung und Wolfgang Liebert von der Universität für Bodenkultur Wien. Marischka sprach zur Militarisierung des Forschungsprozesses. Der militärisch-industrielle Komplex übe, so seine These, mehr Einfluss durch die Prägung von Forschung und Produktion aus als durch die Wehrpflicht. Zivile Forschungsprojekte würden rasch zu militärischen Gütern umgewandelt, so kämen jeden Monat etwa 10.000 »zivile« Drohnen im Ukraine-Krieg zum Einsatz. Liebert vertiefte die Dual-Use-Problematik, das Problem der Verwendung ziviler Forschung für den Krieg. Rüstungsunternehmen gäben inzwischen Handbücher für Forschungseinrichtungen heraus, um Zivilklauseln an Hochschulen zu umgehen. Problematisch sei auch, dass die Forscher oft die Konsequenzen ihrer Arbeit nicht vollständig überblicken und ohnehin zeitlich und personell überlastet seien. Dem könne durch strengere Leitlinien, stärkere Debatten über Zivilklauseln sowie mehr Personal zur Technologiefolgenabschätzung und -ethik entgegengewirkt werden.

Anschließend berichteten die Anwesenden von lokalen Kämpfen. Ein Student von der hessischen Initiative »Hände weg von der Zivilklausel« erklärte, schon im Juni 2022 hätten Frankfurter Studierende gegen die Sanktion von Wissenschafts- und Studienkooperationen mit Russland protestiert und sich auf die Zivilklausel der Goethe-Universität berufen. Als die neue »schwarz-rote« Landesregierung ankündigte, die Zivilklauseln »überprüfen« zu wollen, schrieb man dagegen einen offenen Brief, den in wenigen Wochen 60 Professoren und 600 weitere Personen unterschrieben. Nun ringe man um die Bekräftigung der Zivilklauseln an den Hochschulen durch die Fachbereichs- und Studierendengremien. Ferner wolle man durch eine Ringvorlesung im Sommersemester die Friedenswissenschaften fördern.

Erschreckende Entwicklungen in Bayern waren ebenfalls Thema: Dort hat das Landeskabinett ein Gesetz beschlossen, um Schulen und Hochschulen zur Kooperation mit der Bundeswehr zu verpflichten und Zivilklauseln zu verbieten. Die GEW und der Landesstudierendenrat organisieren Widerspruch dagegen. Ein Student der Technischen Universität Dresden berichtete vom Versuch, eine Zivilklausel einzuführen, auch um gegen Forschung des Pentagon vorzugehen. Eine Arbeitspsychologin erzählte von einem Projekt, Bundeswehr-Soldaten durch Waldsimulationen mittels Virtual-Reality-Brillen wieder einsatzfähig zu machen. Eine Hamburger Studentin informierte über die stärkere Verankerung von Friedenspädagogik in den Erziehungswissenschaften. Ein Mainzer Kommilitone schilderte den Versuch, eine Zivilklausel über die Hochschulgremien zu institutionalisieren.

Der Sonntag begann mit einem Podium über Wissenschaftsfreiheit und ihren antifaschistischen Gehalt im Grundgesetz. Der Geoinformatiker Benjamin Ruß erzählte davon, wie ihm 2022 an der Technischen Universität München eine Anstellung untersagt wurde, da er als ehemaliges Mitglied des Sozialistisch-demokratischen Studierendenverbandes ein »Marxist« sei und über »Kapitalismus« spreche. Der Marxismus als Teil der wissenschaftlichen Paradigmen müsse verteidigt werden, da die Arbeiterklasse ihn zur Analyse sozialer Kämpfe brauche. Die positive Auslegung und Verwirklichung des Grundgesetzes sei Teil linker Kämpfe, so Ruß, obgleich man vor zu großem Vertrauen in Reformpolitik aufpassen müsse. Er mahnte an, den Streit mit der bayerischen Regierung nicht zu scheuen; jeder kleine Konflikt mit ihr sei wichtig.

Später sprachen Jürgen Scheffran von der Universität Hamburg und Andreas Keller von der GEW über die Rolle der Hochschulen für Frieden und Internationalismus. Scheffran schilderte die Geschichte von Wissenschaftskooperationen für Frieden und Umweltschutz seit dem Kalten Krieg und ermutigte dazu, als Wissenschaftler Brücken zu bauen. Keller betonte, dass Wissenschaft niemals wertfrei sei, sondern in historischer und politischer Verantwortung stehe. Heute müsse sie sich der Militarisierung entgegenstellen und zur Lösung globaler Probleme beitragen.

Der Kongress schloss mit einer Aktionsplanung. Ziel ist, die Debatten in die Hochschulgremien und Friedensbewegungen vor Ort tragen. Auch zur Hochschulrektorenkonferenz in Fulda am 13. und 14. Mai soll es gehen, um ein Zeichen gegen Rüstungsforschung zu setzen. Selten habe man eine so kämpferische Konferenz erlebt, erklärten mehrere Teilnehmer.

Hintergrund: Antimilitaristische Tradition

Die Zivilklauselbewegung sieht sich in einer Tradition friedensbewegter Forschung und Wissenschaft. Zwischen 1986 und heute wurden bundesweit an über 70 Hochschulen und Forschungseinrichtungen solche Selbstverpflichtungen beschlossen, nicht für den Krieg und nur zu zivilen Zwecken zu forschen. Unter www.zivilklausel.de lassen sich die lokalen Initiativen, diverse Dokumente zu den Zivilklauseln sowie in Kürze die Abschlusserklärung des Kongresses finden.

»Es gäbe genug Geld, genug Arbeit, genug zu Essen, wenn wir die Reichtümer der Welt richtig verteilen würden, statt uns zu Sklaven starrer Wirtschaftsdoktrinen oder -traditionen zu machen. Vor allem aber dürfen wir nicht zulassen, dass unsere Gedanken und Bemühungen von konstruktiver Arbeit abgehalten und für die Vorbereitung eines neuen Krieges missbraucht werden. Unsere Waffen seien Waffen des Geistes, nicht Panzer und Geschosse. Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau einsetzten« (Albert Einstein: Für einen militanten Pazifismus. 1932). (mn)

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