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Aus: Ausgabe vom 22.02.2024, Seite 16 / Sport
Rodeo

Ein Fest für Buchmacher, Man Hater besiegt

Bullenreiten in Los Angeles, Kalifornien
Von Maximilian Schäffer
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Als er noch unbesiegt war: Albinobulle Man Hater im Januar in New York

Es wird immer auf alles und jeden gewettet. Wenn nicht in den USA – wo dann – wird jede Chance genutzt, alle Ritzen des Lebens zu versilbern. Es verwundert einen regelrecht, dass das professionelle Bullenreiten der Organisation Professional Bull Riders erst seit dem Jahr 2022 in den offiziellen Wettbetrieb einstieg. Es gibt bislang zu wenige der Gier verpflichteten Fachleute. Viele verstehen diesen irren Sport eben nicht, seine Regeln und Gepflogenheiten, sein Wertungssystem, das statistische Melodram für Mensch und Tier. Ein Wettmarkt aber braucht Quoten. Absolute Genauigkeit bezüglich jeder nur marginal bewegten Muskelfaser jedes Lebewesens im Wettkampf. Alte Tradition hat das beim Baseball, wo jeder einzelne Wurf, jeder Fang und Schlag, von Buchhaltern – akribisch dokumentiert – zu Ranglisten verarbeitet wird. Nicht nur Wettfiebrige, auch Teambesitzer und Trainer richten sich nach den Zahlen: »Moneyball« aus dem Jahr 2011 ist ein empfehlenswerter Film (nach dem gleichnamigen Buch) zum Thema.

Eher hat das Wetten auf Pferde alte Tradition. Vor zehn Jahren riss man den Hollywood Park Racetrack, die wichtigste Rennbahn in Los Angeles County, ab. Man pflanzte ein Footballstadion und ein Theater auf den Grund, der für knapp 80 Jahre lang dem Trabrennsport die große Bühne bot. Als Charles Bukowski sich hier wöchentlich befüllte und entleerte, trafen sich vor Ort noch breite Gesellschaftsschichten zum Freizeitvergnügen. Arbeiter verwetteten ihren Lohn, Kinder guckten Gäule, die Mafia kassierte ab. Heutzutage gleicht das Traberderby eher einer Bingohalle. Rentner trinken Kaffe, essen Kuchen, machen Kreuze auf marginalen Einsatzpapieren. Wer wirklich noch Pferdeäpfel riechen will, muss jetzt gut zwanzig Kilometer runter nach Santa Anita gurken. Hinsichtlich der Verkehrsverhältnisse im modernen Los Angeles also ein Tagesausflug mit Eventcharakter, kein Feierabendvertreib. Ob Bukowski sich sehr für Bullenreiten begeisterte, ist nicht belegt, Ernest Hemingway bevorzugte bekanntlich die existentialistischere Variante, den spanischen Stierkampf.

Top, die Wette galt: Würde das Biest in der Stadt der Engel endgültig beritten werden? 15:0 stand es zum vergangenen Wochenende für die Numero uno der Weltrangliste der Bullen. Gene Hart, sein Eigentümer, wusste es genau, er sah es dem geifernden Gesellen im geilenden Gesicht und an den Sehnen an: Man Hater war wieder bereit. Einen Monat lang ließ der Viehzüchter aus Oklahoma seinen Goldesel von Stier auf der heimischen Ranch chillen, hielt er ihn dem Rodeo fern. Kraftfutter und entspanntes Training, Massagen und Musik – für das millionenschwere Tier ist nichts zu teuer. Vier Tage nahm man sich Zeit für Man Haters gut 2.000 Kilometer langen Transport nach Kalifornien. Schließlich soll so einen empfindlichen Athleten nichts aus der Ruhe bringen. Selbst die strammsten Muskeln brauchen Stille vor der Explosion.

Um die 16.000 rodeobegeisterte Kalifornier fanden sich in der berühmten Heimat der Lakers (NBA) und Kings (NHL) ein. Das Staples Center heißt nach der Insolvenz des Büroartikelkonzerns nun nach einem Onlinehandelsplatz für Kryptowährungen. Viele hochkarätige Ritte gab es zu sehen, überraschend wenige dramatische Abwürfe. Besonders die Rookies, die ganz jungen Erstsemester unter den Bullenreitern, überzeugten mit spektakulären Ritten auf gefürchteten Bullen. Der 18jährige grundsympathische Rotschopf Clay Guiton erzielte 85,75 Punkte in der Vorrunde. Der 19jährige (wie die meisten Teilnehmer) sehr gottesfürchtige Marco Rizzo dankte Jesus Christus, seinem Erlöser, für 84,50 Punkte auf Bubba G.

Das wahre Duell des Abends fand jedoch zwischen dem 18jährigen John Crimber und dem 22jährigen Cassio Dias statt. Crimber, der sich in den letzten Wochen zum absoluten Publikumsliebling mauserte und dem mit Dutzenden Liebeserklärungen auf selbstgemalten Plakaten in der Arena geschmeichelt wurde, lieferte in den beiden Vorrunden gültige, sehr solide Ritte ab. Dias, die Spitze der Weltrangliste, ist trotz seiner sportlichen Leistung bei den Fans eher unbeliebt. Er spricht kein Englisch, gibt nur schmallippige Glaubensbekenntnisse von sich. In der zweiten Runde warf ihn Ghost Face ab, das smarte Geld setzte auf einen Sieg für Crimber in der Hauptrunde. Dias aber wagte sich todesmutig auf den eigentlichen Star des Abends: Man Hater. Die Nummer-Einsen beider Spezies lieferten sich einen spektakulären Kampf über acht Sekunden. Da geschah das Unfassbare: Cassio Dias ritt Man Hater gültig zu 94,50 Punkten. John Crimber aber flog jämmerlich vom Buckel eines geringeren Tieres. Aus Frust trat der kleine Texaner so fest mit den Cowboystiefeln gegen die Bande, dass er aus der Arena humpeln musste. Ein wahres Fest für Wettbuchhalter.

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