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Aus: Ausgabe vom 28.11.2018, Seite 3 / Schwerpunkt
Geopolitik

Hintergrund: Gleichgewicht

Das Wichtigste stand beim diesjährigen Berlin Foreign Policy Forum (Motto: »Sich einigen oder absteigen«) gleich am Anfang. »Europa zusammenhalten«: Wenn die EU, krisengeschüttelt, wie sie zur Zeit ist, sich nicht bald konsolidiert, sondern schwächer wird oder sogar zerfällt, dann sieht es schlecht aus für die Pläne des deutschen Establishments, die Machtmittel der von ihnen dominierten Union zu nutzen, um zur Weltmacht zu werden. Also begann die gestrige Konferenz mit einer Diskussion darüber, wie sich die EU stabilisieren lässt. Auf einen Debattenblock über die derzeitige »Weltmachtkonkurrenz« folgte dann eine Runde, die sich mit Russland beschäftigte. Neben dem estnischen Verteidigungsminister Jüri Luik und der stellvertretenden NATO-Generalsekretärin Rose Gottemoeller nahm Alexej Puschkow daran teil, der Vorsitzende des Komitees für Information und Medien aus dem russischen Föderationsrat. Die Personalie zeigt: Bei all seiner Konfrontationspolitik gegenüber Moskau ist Berlin nicht bereit, sich eins zu eins mit der Politik der Vereinigten Staaten zu identifizieren; dass Puschkow und nicht ein Regierungsgegner wie etwa Alexej Nawalny zu der Konferenz eingeladen wurden, markiert eine wichtige Differenz.

Dasselbe traf auf die Diskussionsrunde über den Mittleren Osten am Nachmittag zu. Fern davon, sich à la Trump zu hundert Prozent auf Saudi-Arabien zu stützen, hatte Berlin zum Foreign Policy Forum mit dem früheren Kulturminister Adel Al-Toraifi zwar einen Saudi, mit Hossein Mousavian aber auch einen Iraner zur Diskussion geladen. Mousavian ist in Berlin aus seiner Zeit als iranischer Botschafter in der Bundesrepublik (1990 bis 1997) noch gut bekannt. Dass Al-Toraifi und Mousavian mit Philipp Ackermann diskutierten, dem Leiter der Politischen Abteilung 3 im Auswärtigen Amt, die unter anderem für Mittelost zuständig ist, zeigt einmal mehr, wo die Prioritäten der deutschen Mittelostpolitik eigentlich liegen: beim Versuch, ein instabiles Gleichgewicht in der Region herzustellen – von außen beeinflussbar, vor allem aber profitable Geschäfte in allen Rohstoffländern am Persischen Golf erlaubend. (jk)

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