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Aus: Ausgabe vom 03.06.2017, Seite 11 / Feuilleton
Tankred Dorst gestorben

Trumm summum

Sie sangen, sie hätten so viel Dorst im grünen Forst« kam einem in den Sinn beim Lesen der Nachrufe auf Tankred Dorst. Nach etwa 50 Theaterstücken, drei Experimentalfilmen und einer Bayreuther »Nibelungen«-Inszenierung ist der am Donnerstag mit 91 in Berlin gestorben. »In den letzten Jahren etwas geradezu Goethehaftes« bescheinigte ihm die Süddeutsche. Sein »opus summum«, »Merlin oder Das wüste Land« (1981), sei »das opulenteste Werk, das die deutsche Dramatik seit dem Zweiten Weltkrieg hervorgebracht hat«, wusste die FAZ einzuschätzen. Auf die Artus-Runde, die es in diesem Stück als Hort der politischen Ratio mit der Titelfigur zu tun bekommt, war Dorst von Peter Zadek gebracht worden, Anfang der 70er, als Zadek seine Intendanz in Bochum mit einer Fallada-Revue von Dorst eröffnete.

Man kann wohl sagen, Dorst habe mit diesem »Merlin«, einem Trumm von Stück, ein eigenes Genre gegründet, das der Okayness. Voll Liebe zum literaturhistorischen Detail will der luftige, stellenweise witzige Welterfolg auf nicht viel hinaus, ufert aus, und man weiß am Ende nicht viel mehr damit anzufangen, als das, nun ja, okay zu finden. Dorst war ein Mann des Einerseits-Andererseits. Er schrieb ein Stück über den revolutionären Dramatiker Ernst Toller, das mit dem Lehrstück-Modell brach, ohne auf dessen Höhe gelangen zu wollen.

Mit 80, im Jahr seiner »Nibelungen«, sei Dorst eines Nachts in Regen und Nebel durch Mailand geirrt, wusste schließlich der Tagesspiegel zu berichten. Dorst habe ein Restaurant nicht finden können und schließlich »überhungert« in einem »scheußlich lauten Fastfood-Schuppen« nach einer Pizzabestellung kundgetan: »Alles ist gut«. Und dann stand da noch, womit er zuletzt befasst war, auch warum: »Zuletzt hat er noch an einem Stück über den Wuppertaler Fabrikanten Friedrich Engels gearbeitet – auch Dorsts Mutter war eine Fabrikantentochter aus Wuppertal«. (xre)

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