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Aus: Ausgabe vom 31.05.2013, Seite 3 / Schwerpunkt

Camp Anticapitalista

Gegenentwurf zur Gesellschaft
Für 3000 Aktivisten ist im Camp auf dem Frankfurter Rebstockgelände Platz. Rund 1000 kommen nach längerer Vorbereitung in Gruppen und Aktionsbündnissen. In sogenannten »Barrios« – das spanische Wort für Stadtviertel – sind sie auf dem Areal in Zelten untergebracht. Weitere Aktivisten aus Berlin, Bremen und Wien erwartet die Initiative »Kein Mensch ist illegal« aus dem Rhein-Main-Gebiet. Für Flüchtlinge der Selbsthilfeorganisation »Refugee Liberation Bus Tour« aus Baden-Württemberg hat die Gruppe Zelte bei Bekannten ausgeliehen und aufgebaut. »Sie haben viel zu tun und sind unterwegs, um andere Asylsuchende für ihre politische Arbeit zu interessieren. Aufgrund ihrer ausgegrenzten Situation und Arbeitsverboten haben sie kaum Geld«, erklärt Doro Köhler von der Gruppe. Flüchtlingsaktivist Rex Osa wird auf der Auftaktkundgebung am Samstag eine Rede halten. Das Camp sei als Gegenentwurf zur kapitalistischen Gesellschaft gedacht, in der Personen nur aufgrund ihrer »Nützlichkeit« anerkannt seien, wenn sie in irgendeiner Form Profit einbrächten. »Das wollen wir anders machen«, argumentiert er.

Ob Regen Leute vom Demonstrieren abhalten kann? Nein, meint Aktivist Sascha: »Noch nicht mal schlechte Laune haben wir deshalb – oder hast Du vielleicht gesehen, daß wir bei Occupy im Winter bei Minusgraden schlapp gemacht haben?« Die erfahrenen politischen Demonstranten genießen das Zusammensein. Das »Prinzip Selbstverantwortung« erklärt Aktivist Jens Friedrich: »Alle kochen für alle. Beim Kartoffel-Schälen macht jeder mit«, sagt er. »Hingegen gibt es Leute, die wissen, wie Mahlzeiten für 1000 Leute in einer Vokü (Volksküche) richtig zu würzen sind. Das kann nicht jeder«.


Im Camp beginnen Versammlungen: Aktivisten berichten über Widerstand gegen die Krisenpolitik in europäischen Ländern, es gibt Einführungen in Kapitalismuskritik. Doris hat ein besonderes Anliegen: Sie war am Donnerstag dabei, als politische Gefangene besucht wurden. »Sibylle und Sonja müssen raus!«, hieß es bei der Kundgebung vor dem Frankfurter Frauenknast Preungesheim. Gemeint sind Sonja Suder und Sybille S., die seit April in Beugehaft sitzt, weil sie im Prozeß gegen Sonja Suder die Aussage verweigerte. Die 80jährige wiederum war von Frankreich nach Deutschland ausgeliefert worden und ist seither hier inhaftiert. Vorgeworfen wird ihr, an drei Aktionen der Revolutionären Zellen in den 1970er Jahren beteiligt gewesen zu sein. Angeblich hat sie Waffen für den Angriff auf die OPEC-Konferenz 1975 in Wien beschafft. Der Prozeß läuft seit September 2012 und wird vermutlich bis Ende August 2013 weitergeführt. (düp)

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