Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Gegründet 1947 Freitag, 19. April 2024, Nr. 92
Die junge Welt wird von 2767 GenossInnen herausgegeben
Jetzt zwei Wochen gratis testen. Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Aus: Ausgabe vom 29.03.2011, Seite 12 / Feuilleton

Alle Türken beleidigt

Von Nick Brauns
Der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk ist von einem Gericht dazu verurteilt worden, 6000 türkische Lira (3000 Euro) an fünf Kläger zu zahlen, die sich durch seine Äußerungen über die Ermordung von Kurden und Armeniern persönlich beleidigt fühlen. In einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger hatte Pamuk im Jahr 2005 erklärt: »Man hat hier 30000 Kurden umgebracht. Und eine Million Armenier.« Da der Genozid an den Armeniern im Ersten Weltkrieg nach wie vor ein Tabuthema in der Türkei ist, wurde ein Strafverfahren gegen Pamuk wegen »Beleidigung des Türkentums« eröffnet, das jedoch nach internationalen Protesten Anfang 2006 eingestellt wurde. Der Vorsitzende einer nationalistischen Anwaltsvereinigung, Kemal Kerincsiz, sowie vier Angehörige von im Kampf gegen die kurdische PKK-Guerilla getöteten Soldaten hatten Pamuk, der »alle Türken beleidigt« habe, angezeigt. Das Gericht in Istanbul-Sisli hatte sich erst geweigert, die Klage zu verhandeln, da die »Kläger nur einfache Angehörige der türkischen Nation« seien. Auch nachdem das Oberste Appellationsgericht den Fall zurück an das Gericht verwies, verweigerte dies eine Verhandlung. 2009 schließlich erklärte das Generalkomitee des Obersten Appellationsgerichts, daß Pamuk sehr wohl individuelle Rechte verletzt habe. Das Gericht müsse »die Ehre und das Selbstwertgefühl von Menschen ebenso wie ihre Gefühle als Angehörige einer Nation« berücksichtigen. Ende vergangener Woche verurteilte das Gericht in Sisli Pamuk nun zur Kompensationszahlung. Der Schriftsteller hat jetzt zwei Wochen Zeit, gegen das Urteil juristisch vorzugehen. Sein Hauptkläger Kerincsiz sitzt mittlerweile wegen Verwicklungen in angebliche Militärputschpläne selbst in Untersuchungshaft.

Mehr aus: Feuilleton