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Aus: Ausgabe vom 05.11.2010, Seite 12 / Feuilleton

Was legt ihr drauf?

Falls es nicht gelingt, in Deutschland ein repräsentatives Zentrum für den Jazz zu etablieren, könnte diese einst von den Nazis unterdrückte Musik hierzulande bald wieder ernsthaft bedroht sein. Das ist jedenfalls die Ansicht des Jazz-Trompeters Till Brönner, der momentan als Juror der Casting-Show »X-Faktor« von sich reden macht.

»Wir sind vor allem das Land, das sich am Jazz ganz nachhaltig vergangen hat. Es gab mal eine Zeit, da konnte es gefährlich werden, wenn man in diesem Land Jazz gehört oder gar gespielt hat«, sagt der Musiker im Gespräch mit der Zeitschrift Melodie & Rhythmus (Novemberausgabe). Die Folgen der Naziherrschaft seien in der Wahrnehmung und der unzureichenden Förderung des Jazz bis heute spürbar: »In keinem Land geht man so ungelenk mit dem Jazz um wie in Deutschland«, meint Brönner.

Ein Zentrum für den Jazz an einem prominenten Ort in Berlin könne als »Dach für die Jazz­ausbildung« dienen und dem Ausland zeigen, daß wir wissen, welche Bedeutung der Jazz für die Entwicklung der weltweiten Musikkultur habe, sagte Brönner, der seit dem vergangenen Jahr eine Professur an der Musikhochschule »Carl Maria von Weber« in Dresden bekleidet.


Brönner beklagt insbesondere das Verschwinden der Rundfunk-Big-Bands. Den wenigen, die noch übrig sind, prophezeit er »höchstens noch fünf bis zehn Jahre. Wenn es zu diesem Zeitpunkt kein einziges professionelles Ensemble im ganzen Land mehr gibt, das Jazz auf diesem Niveau spielt, dann haben wir ein Problem.«

Brönners erster Versuch, von der Bundesregierung eine Anschubfinanzierung für das anvisierte Zentrum für Jazz zu erhalten, sei abgeschmettert worden. »Wir hätten nicht 200 Millionen und mehr wie die Staatsoper gebraucht, sondern eine Million pro Jahr, um damit die Privatwirtschaft zu fragen: ›Was legt ihr drauf?‹ Die Regierung fand das wohl nicht wichtig genug.« (jW)

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