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Aus: Ausgabe vom 01.02.2008, Seite 13 / Feuilleton

Kunstfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht hat die Kunstfreiheit gestärkt und Klagen gegen ein Theaterstück und eine Romanveröffentlichung wegen der angeblich ehrverletzenden Darstellung realer Vorbilder zurückgewiesen. Theaterstücke oder literarische Werke sind nach dem am Donnerstag veröffentlichten Beschluß zunächst immer als »Fiktion« ohne Anspruch auf Wahrheitsgehalt anzusehen. Dies gelte auch dann, wenn hinter den Figuren reale Personen erkennbar sind.

Im ersten Fall hatte die Mutter eines Mädchens aus Hagen geklagt, das im Mai 2004 im Alter von 14 Jahren von ihrem Freund ermordet worden war. In dem Theaterstück zu dem so genannten Hagener Mädchenmordfall sah die Klägerin die postmortalen Persönlichkeitsrechte ihrer Tochter verletzt. Diese sei in der Figur der Ellen wiederzuerkennen und werde als moralisch haltlos dargestellt.

Im zweiten Fall befaßten sich die Verfassungshüter mit dem autobiographischen Roman »Pestalozzis Erben« von Friedrich Mahlmann. Der Autor leitet im nordrhein-westfälischen Oerlinghausen ein Gymnasium und stellte in seinem Buch Lehrer allgemein als faul und dumm dar. Zwei seiner ehemaligen Kollegen glaubten, sich in den Romanfiguren verzerrt wiederzuerkennen und klagten ebenfalls wegen Ehrverletzung.


Die Karlsruher Richter betonten, die Kläger hätten über die bloße Wiedererkennbarkeit von Tochter und Lehrern hinaus keine Argumente dafür vorgetragen, daß die in den Kunstwerken dargestellten Ereignisse tatsächlich geschehen sind. Allein die Erkennbarkeit von Figuren sage noch nichts darüber aus, ob ein Werk es den Zuschauern oder Lesern nahelegt, die negativen Eigenschaften oder Handlungen der Kunstfiguren als tatsächliche Ereignisse zu verstehen.

(ddp/jW)

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