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Leserbrief zum Artikel Aus für Berliner »Mietendeckel«: Alles muss man selber deckeln vom 16.04.2021:

Prototyp des Rechtsstaats

Einen kämpferischeren Titel für diesen Schlag des Kapitals gegen Millionen Mieter Berlins hätte ich mir schon gewünscht. Das Grundgesetz der BRD ist 1949 nicht als Willensbildung des Volkes und schon gar nicht in einer Volksabstimmung in Kraft gesetzt worden, so dass darin die Grundanliegen der Arbeiter, Angestellten und Bauern nicht zu finden sind. Die damals aktiven Faschisten haben aber dafür gesorgt, dass die Todesstrafe verboten wurde, wodurch das Leben von Kriegsverbrechern – Massenmördern, Schreibtischtätern, Militärs usw., die Millionen Menschen in Europa und in KZ umgebracht hatten – gerettet wurde. Der Beschluss der Verfassungsrichter zeigt auch die völlige Wirkungslosigkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 zum einzigen enthaltenen praktischen Menschenrecht, dem Recht auf Wohnung. Im Gegensatz dazu wurde die Verfassung der DDR von 1968 als Entwurf mit dem gesamten Volk beraten und durch eine Volksabstimmung in Kraft gesetzt. Deshalb ist diese Verfassung von Grund auf eine Verfassung der Menschenrechte. Darin hatte die DDR – obwohl mühsam aufgebaut auf den vom Kapital hinterlassenen Trümmern und über 40 Jahre von den Westmächten radikal bekämpft, noch im Frühstadium des Sozialismus – das Menschenrecht auf Wohnraum sozusagen auf Lebenszeit verankert, mit dauerhaft stabilen Mieten von circa sechs Prozent des Einkommens und einem absoluten Rechtsschutz gegen Kündigungen, was auch praktisch umgesetzt worden ist, wodurch niemand auf die Straße geworfen werden konnte und Obdachlosigkeit unbekannt war. Diese Verfassung verankerte das Menschenrecht auf Arbeit und einen Arbeitsplatz nach freier Wahl, ebenso das Menschenrecht auf praktisch kostenlose umfassende Ausbildung, Weiterbildung und das Erreichen der höchsten Bildungsstufe. Die Verfassung beauftragte den Staat mit dem Schutz der Gesundheit aller Bürger, auch dies war so gut wie unentgeltlich, wie es auch eine materielle Sicherheit bei Krankheit und Unfällen gab. Für diese Menschenrechte wurden Millionen staatliche Wohnbauten (keinen sogenannten Sozialbau) errichtet, flächendeckend wurde ein Netz Polikliniken und Landambulatorien geschaffen, auch die kostenlose Ausbildung des medizinischen Personals wurde gewährleistet. Das Ganze war eingebettet in die grundlegenden Menschenrechte auf Frieden und Völkerfreundschaft, in die Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und umfassende staatliche Maßnahmen zur Gewährleistung von Freizeit und Erholung, Kultur und Sport bei besonserer Förderung der Frauen und der Jugend. Dafür wurden umfangreiche materielle und finanzielle Voraussetzungen geschaffen, und die DDR stand trotzdem in den 1980er Jahren an zehnter Stelle der Industrieproduktion pro Kopf weltweit und hatte 1990 im Gegensatz zur BRD keine Schulden. Die Würde des Menschen stand durch diese Verfassung und Maßnahmen im Mittelpunkt der Politik. Modernes Wahlrecht, Eingabenrecht usw. usf. gehörten dazu. Die DDR war also kein auf dem Beamtentum beruhender juristischer Rechtsstaat, schon gar nicht ein Unrechtsstaat, sondern die DDR war, weltweit und historisch betrachtet, der Prototyp eines Menschenrechtsstaates. Es empfiehlt sich, Grundgesetz und Verfassung zu vergleichen. Man wird sehen, dass in der DDR diese Zustände in der Wohnungsfrage, wie sie täglich in der BRD die Menschen bedrücken, unmöglich waren. Nicht nur deshalb wird die Diskussion über die Mieten zur Wahrheit über die DDR sehr beitragen.
Gerhard Ulbrich
Veröffentlicht in der jungen Welt am 20.04.2021.
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