Gegründet 1947 Freitag, 26. April 2024, Nr. 98
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben

Leserbriefe

Liebe Leserin, lieber Leser!

Bitte beachten Sie, dass Leserbriefe keine redaktionelle Meinungsäußerung darstellen. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zur Veröffentlichung auszuwählen und zu kürzen. Leserbriefe sollten eine Länge von 2000 Zeichen (etwa 390 Wörter) nicht überschreiten. Kürzere Briefe haben größere Chancen, veröffentlicht zu werden. Bitte achten Sie auch darauf, dass sich Leserbriefe mit konkreten Inhalten der Zeitung auseinandersetzen sollten. Ein Hinweis auf den Anlass Ihres Briefes sollte am Anfang vermerkt sein (Schlagzeile und Erscheinungsdatum des betreffenden Artikels bzw. Interviews). Online finden Sie unter jedem Artikel einen Link »Leserbrief schreiben«.

Leserbrief zum Artikel Gesundheitspolitik: Ohne Versorgung vom 17.11.2020:

Doch keine Lücken?

Sie haben am 17. November 2020 einen Artikel von Uwe Herzog zum Thema Gesundheitspolitik (Künstlersozialkasse verwehrt rund 2.000 Künstlern und Publizisten Arztbehandlungen und Medikamente) veröffentlicht. Die Darstellung zum fehlenden Krankenversicherungsschutz ist nicht vollständig und deswegen nicht korrekt. Wir möchten zu diesem Artikel wie folgt Stellung nehmen: Bei der Künstlersozialversicherung handelt es sich um eine Versicherung für aktiv Berufstätige. Für den Versicherungsschutz müssen ebenso wie für einen Beschäftigten Beiträge gezahlt werden. Wer infolge akuter Einkommensausfälle keine Beiträge zur Künstlersozialversicherung zahlen kann, muss seinen Krankenversicherungsschutz dennoch nicht verlieren. Die Künstlersozialkasse gewährt auf Antrag großzügige Zahlungserleichterungen und berücksichtigt selbstverständlich die aktuelle Lage, welche die Kulturschaffenden in besondere Weise trifft. Als Teil der öffentlichen Verwaltung darf die Künstlersozialkasse nicht vom gegebenen Recht abweichen. Jedoch treten bei Hilfsbedürftigkeit andere Systeme der sozialen Absicherung in den Vordergrund, wie zum Beispiel die Grundsicherung/ALG II, für die während der besonderen Coronasituation erleichterte Zugangsvoraussetzungen geschaffen wurden. Ein Ruhen der Leistungsansprüche gibt es bei dem Bezug von ALG II nicht. Bei rechtzeitiger Beantragung von ALG II entsteht keine Lücke im Krankenversicherungsschutz. Natürlich muss der Antrag auf Grundsicherung/ALG II von den Versicherten eigeninitiativ gestellt werden. Im übrigen wurden die Sonderregelungen, die aufgrund der Coronapandemie für die Beantragung von ALG II getroffen wurden, wie zum Beispiel das Aussetzen der Vermögensprüfung für sechs Monate nach Bewilligung der Leistung, zwischenzeitlich bis zum 31. März 2021 verlängert.
Monika Heinzelmann (Künstlersozialkasse), Wilhelmshaven

Kommentar jW:

jW bleibt bei der Darstellung im Artikel. Zur Erläuterung schrieb Autor Uwe Herzog:

Die Künstlersozialkasse (KSK) moniert in ihrer Gegendarstellung den Artikel »Ohne Versorgung« in junge Welt vom 17. November 2020. Dabei wird zunächst keine einzige Aussage des Artikels als falsche Tatsachenbehauptung angegriffen. Die KSK spricht lediglich von einer angeblich »unvollständigen Darstellung«. Daher sei der Artikel »nicht korrekt«. Daher sehe sich die KSK zu einer Stellungnahme »genötigt«. Grundsätzlich kann jede natürliche oder juristische Person (z. B. auch die KSK) sich gegen einen Artikel wehren, der aufgrund einer unvollständigen Darstellung beim durchschnittlichen Leser falsche Schlussfolgerungen zulässt. Dies ist bei dem Artikel, der hier Gegenstand des Gegendarstellungsbegehrens der KSK ist, jedoch nicht der Fall. Im einzelnen: Das Gegendarstellungsbegehren der Künstlersozialkasse hebt darauf ab, dass Künstler, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, ihren Krankenversicherungsschutz nicht verlieren müssen. In dem von der KSK monierten Artikel wird aber gar nicht behauptet, dass Künstler, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, ihren Krankenversicherungsschutz verlieren »müssen«. Dagegen wird – auf Grundlage der zuvor von der KSK selbst auf Anfrage des Autors mitgeteilten Informationen – en détail dargestellt, dass von den knapp 200.000 KSK-Versicherten im Zeitraum von März bis September 2020 exakt 6.244 eine sogenannte Ruhensmahnung erhielten. Davon wurden knapp 2.000 Versicherungen im genannten Zeitraum tatsächlich auch ruhend gestellt. Diese Darstellung ist weder unvollständig, noch lässt sie beim durchschnittlichen Leser den Schluss zu, dass alle Künstler, die Zahlungsschwierigkeiten haben, (zwangsläufig) ihren Versicherungsschutz verlieren »müssen«. Allerdings »können« sie ihn dadurch verlieren. Immerhin ist das im genannten Zeitraum auch tausendfach geschehen. Auf diesem Hintergrund kommt der Autor zu folgender Einschätzung: »Nicht genug also, dass die knapp 200.000 über die KSK versicherten Musiker, Kunstmaler, Sänger, Grafiker, Journalisten, Schriftsteller oder Übersetzer aufgrund der Coronakrise um ihre Existenz fürchten müssen – auch ihr Krankenversicherungsschutz ist zunehmend in Gefahr.« Diese Einschätzung ergibt sich folgerichtig aus den zuvor en détail dargelegten Fakten und der allgemein bekannten Notlage, in die viele Künstler durch die Coronakrise geraten sind. Diese Einschätzung ist daher legitim und vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.
Auch durch die Formulierung »ihr Krankenversicherungsschutz ist zunehmend in Gefahr« wird keine kausale Zwangsläufigkeit zwischen der allgemeinen Notlage und dem Verlust von Krankenversicherungsleistungen unterstellt. Der Autor bringt lediglich die Sorgen der Betroffenen zum Ausdruck, dass ihr Versicherungsschtz »in Gefahr ist«. Dies ergibt sich, wie bereits erwähnt, zweifelsfrei durch die zahlreichen Ruhensbescheide der KSK seit Beginn der Coronakrise. Ausgehend von der – falschen – Behauptung, der Artikel enthalte Aussagen, die einen zwangsläufigen Verlust des Krankenversicherungsschutzes aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten nahelegen würden, verweist die KSK außerdem auf »großzügige Stundungen« sowie auf die Möglichkeit für die Betroffenen, Grundsicherung zu beantragen, um dadurch ihren Versicherungsschutz gemäß ALG II aufrechterhalten zu können. Auch diese beiden Hinweise stehen nicht im Widerspruch zu den im Artikel getroffenen Aussagen. Bei dem Hinweis zu den »großzügigen Stundungen« handelt es sich zudem um eine Wertung der KSK. Dies kann von den Betroffenen durchaus anders gesehen werden. Gleiches gilt für den von der KSK suggerierten »nahtlos« möglichen Übergang zwischen den Sozialsystemen KSK und Grundsicherung. Es verhält sich nach den Recherchen des Autors vielmehr so, dass Künstler zwar vielfach durchaus »rechtzeitig« Anträge auf Grundsicherung stellen. Entscheidend für eine Aufhebung des Ruhens von Krankenversicherungen durch die KSK ist aber nicht der Zeitpunkt der Antragstellung, sondern vielmehr der Zeitpunkt der Bewilligung von ALG-II-Leistungen.
Last not least weist die KSK darauf hin, dass die »Aussetzung der Vermögensprüfung« bei Stundungsanträgen »bis 31.03.20« verlängert worden sei. Diese Information war dem Autor bis dahin nicht bekannt. In seiner kurz vor Veröffentlichung des Artikels an die KSK gerichteten Presseanfrage hatte der Autor jedoch ausdrücklich um Auskunft darüber gebeten, ob – und, falls ja, unter welchen Voraussetzungen – derzeit Stundungen durch die KSK gewährt werden. In ihrer Antwort auf diese Anfrage hat die KSK die Aussetzung der Vermögensprüfung jedoch mit keinem Wort erwähnt. Auch auf der Website der KSK wurde auf diese Möglichkeit zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht hingewiesen. Der Autor konnte folglich gar nichts davon wissen. Auch dieser Punkt des Gegendarstellungsbegehrens der Künstlersozialkasse stellt daher keine berechtigte Richtigstellung dar.
Fazit: Die »Gegendarstellung« der KSK enthält selbst in der Sache falsche, zumindest jedoch unvollständige Aussagen. Diese sind nicht geeignet, ein Gegendarstellungsbegehren zu rechtfertigen. Anderenfalls müssten die Medien wohl täglich Dutzende Gegendarstellungen veröffentlichen.

Veröffentlicht in der jungen Welt am 24.11.2020.
Weitere Leserbriefe zu diesem Artikel:
  • Zum Leserbrief »Doch keine Lücken?«

    Die Künstlersozialkasse (KSK) moniert in ihrer Gegendarstellung den Artikel »Ohne Versorgung« in junge Welt vom 17. November 2020. Dabei wird zunächst keine einzige Aussage des Artikels als falsche Ta...
    Uwe Herzog