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Leserbrief zum Artikel Krieg in Äthiopien: Hightechkrieg in Afrika vom 17.11.2020:

Zynisches Kalkül

Ein Leitartikel zu Afrika und dann so was. Solche Orientierungslosigkeit hätte ich bei Arnold Schölzel nicht vermutet: unkritische Wiedergabe des TPLF-Narrativs, garniert mit Fragmenten, deren Bedeutung unklar bleibt (TPLF-Albanien?) oder die bei der Einordnung von Hintergründen (Friedensschluss Äthiopien/Eritrea) eher zur Verwirrung beitragen. »Hightechkrieg in Afrika«? Nichts wäre unpassender zur Beschreibung eines Konflikts, der nicht erst mit der Wahl Ahmed Abiys 2018, sondern vor 30 Jahren begann. Die Tigray bilden nur sechs Prozent der äthiopischen Bevölkerung, dennoch hat die TPLF Äthiopien 27 Jahre lang (1991–2018) de facto allein regiert. Kein Zufall, denn es war die Eritreische Volksbefreiungsfront (EPLF), die 1991 nach 30jährigem Befreiungskampf gegen das äthiopische Mengistu-Regime einen vollständigen Sieg errungen hatte, ohne den der Marsch der TPLF nach Addis Abeba nicht möglich gewesen wäre. Das hat sie später, unter Meles Zenawi, nicht davon abgehalten, im Badme-Dreieck eritreisches Gebiet zu besetzen und einen Krieg zu entfachen, der erst Ende 2000 durch den Friedensvertrag von Algier (Algiers Peace Agreement) beendet wurde. Dieses Abkommen – obwohl »endgültig und bindend« (»final and binding«) – hat die TPLF niemals umgesetzt, mit Billigung der USA und der EU, die in den folgenden Jahrzehnten Äthiopien zum größten Geldempfänger Afrikas machten. Das Geld floss vor allem nach Tigray. Als die TPLF nach Abiys Wahl ihre Felle davonschwimmen sah, hat sie den Konflikt mit der Zentralregierung eskaliert. Das Nordkommando (North Command) wurde überfallen, mit dem Kalkül, die Truppen würden überlaufen. Das ist ebensowenig passiert wie die erhoffte Erschütterung in den anderen Provinzen. Der völkerrechtswidrige Raketenangriff auf Eritrea – von einem TPLF-Sprecher damit gerechtfertigt, dies sei seit den »Präventivkriegen« Israels gegen arabische Staaten eine »international anerkannte Praxis« (!) – ist der Versuch, den Konflikt zu internationalisieren, um Einmischung von außen zu ermöglichen. Von all dem kein Wort in der jW, ebensowenig zu dem bemerkenswerten Umstand, dass Eritrea bis heute auf den Angriff militärisch nicht reagiert hat und diese Politik der Deeskalation wohl auch beibehalten wird.
Dirk Vogelsang, Vorsitzender der Deutsch-Eritreischen Gesellschaft (DEG)
Veröffentlicht in der jungen Welt am 20.11.2020.