Leserbrief zum Artikel Kommentar: Staunen in Berlin
vom 20.10.2020:
Bäume wachsen nicht in den Himmel
Seit mehreren Jahrzehnten wächst die chinesische Wirtschaft ungebrochen, und auch heute wächst sie noch immer beeindruckend schnell. Das sei die längste Episode eines ökonomischen Wachstums in der Geschichte, heißt es. Die Prozesse, die zu diesem schnellen Wachstum führten, seien komplex, damit kaum im nachhinein erklärbar, aber mit Sicherheit war die Entwicklung nicht vorhersehbar. Die heutige Phase wird angesichts des zunehmenden Gewichts der Privatwirtschaft in China von ausländischen Wirtschaftsführern und Politikern oft als Chinas Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft bezeichnet. China-Experten weisen jedoch darauf hin, dass in China keineswegs die freie Marktwirtschaft regiert, vielmehr sprechen sie von einem autoritären »Kaderkapitalismus«. Derzeit sei die globale wirtschaftliche Entwicklung immer noch überschattet von der Finanzkrise. Kein Politiker und kein Ökonom habe die Intensivität und die lange Dauer dieser Krise vorhergesehen – wie schwer sie weiter wiege, sei ebenfalls schwierig abzuschätzen. Sollte in China irgendwann das Wachstum ausbleiben, so würden die Ökonomen wohl eine politische Fehlentscheidung als Ursache ansehen, was aber nicht richtig wäre. Regressionen seien in der kapitalistischen Produktionsweise im Durchschnitt einmal pro Jahrzehnt die Regel – und nicht die Ausnahme. Deswegen seien durchaus Zweifel angebracht an den astronomischen Wachstumsraten, die Ökonomen China weiterhin zuschrieben. Jeder Erfolg hat seine Grenzen, genauso wie Bäume auch nicht in den Himmel wachsen.