Leserbrief zum Artikel 250 Jahre Hegel: »Es wird immer revolutioniert«
vom 29.08.2020:
Vernunft: Mittler zwischen Tätigsein und Natur
Ein sehr eindrucksvoll, weil dialektisch dargelegter Exkurs in Würdigung des hegelschen Erbes. So die Anführung des Fetischcharakters der Ware im »Kapital« von Marx, die den historischen Materialismus enthalte. Engels stellte ja ebenso die Entwicklung des Embryos im Mutterleib als Verkürzung der Menschwerdung heraus. Allerdings hege ich Zweifel bei der These, die die Herrschaft des Menschen über die Natur betrifft. Vernunft sollte diesen Anspruch ausschließen. Arnold Schölzel schreibt in bezug auf Manfred Buhr: »Die klassische Philosophie entwickele dafür die Formel der rationalen Herrschaft des Menschen über Natur und Gesellschaft, und zwar kraft der Vernunft.« Der Mensch ist ein Widerspruch an sich. Als Bestandteil der Natur kann er sie nicht beherrschen, nur sich selbst und das auch nur bedingt. Denn die materialistische Beantwortung der Grundfrage der Philosophie besagt, dass die Welt erkennbar ist, aber nie vollständig erkannt werden wird. Und so, wie die Zeit das einzelne Individuum begrenzt, demzufolge auch die Gesellschaftsformationen, begrenzt sie das Leben überhaupt wie dessen Erkenntnis. Nur die Vernunft als Mittler zwischen sozialem Tätigsein und Natur auf der Grundlage eines gesellschaftlichen Bewusstseins, die Widersprüche zwischen Sein und Werden zu lösen beziehungsweise zeitweilig zu harmonisieren, versetzt mit Erkenntnis der konkreten Situation den Menschen in die Lage, der Natur im weitesten Sinne, wie der menschlich sich verändernden Natur, diese verändernd, zu entsprechen.