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Leserbrief zum Artikel Aus Leserbriefen an die Redaktion vom 17.08.2020:

Zum Leserbrief »Sozialstaat wiederherstellen«

Erstaunlicherweise bemühen sich immer wieder Gutmenschen, man könnte sie auch Traumtänzer nennen, die Mumie »bedingungsloses Grundeinkommen« (BGE) aus der Gruft zu holen. Wenn sie erleben, welche Verrenkungen selbst wegen ein paar »Peanuts« mehr beim Mindestlohn oder bei der Erhöhung der Hartz-IV-Sätze veranstaltet werden, müssten sie eigentlich stutzig werden. Beim BGE geht es doch um ganz andere Beträge. Man muss davon abkommen, das Thema Umverteilung innerhalb der Steuerlogik zu diskutieren. Auch das BGE würde bei steigenden Lebenshaltungskosten »Armut per Gesetz« bedeuten. Mit Karl Marx im Hinterkopf geht es darum, die Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln zu verändern. Dann braucht bei den Besitzenden und Reichen nicht um Almosen gebettelt zu werden. Die BGE-Verfechter sind der FDP nahe, nicht der linke Gewerkschafter Ralf Krämer.
Viktor Durnick, Berlin

Kommentar jW:

Auf diesen Leserbrief antwortete Bernhard May:

Wir müssen gerade nicht »davon abkommen, das Thema Umverteilung innerhalb der Steuerlogik zu diskutieren« – vielmehr genau dorthin: wenn auch nicht nur innerhalb der aktuellen Steuerstruktur, sondern im Kontext aller möglichen sinnvollen, notwendigen oder eben auch unsinnigen und ökosozial kontraproduktiven Steuerstrukturen. Konsens besteht z. B. hoffentlich in der Ablehnung von Götz Werners Finanzierungskonzept für das »bedingungslose Grundeinkommen« (BGE): Dem anthroposophischen Unternehmer verdanken wir zwar, dass über das BGE überhaupt diskutiert wird, und sei es mit zwei bis drei Jahrzehnten Verspätung. Zweitens ist Herrn Werner durchaus bewusst, dass es »um ganz andere Beträge« (Viktor Durnick) geht. Drittens aber will er diese stattlichen Beträge mittels einer übergroßen Verbrauchssteuer (50 Prozent und damit ein Vielfaches der sonst, ob vor oder während Pandemien, üblichen Mehrwertsteuersätze) abschöpfen. Genau diesen letzten Punkt lehne ich als BGE-Befürworter kategorisch ab: Worin läge bei der Werner-Steuer noch das geringste Progressionselement, worin also die Umverteilungsfunktion als vornehmste Aufgabe jeder modernen Steuer und jeglichen vernünftigen Erstrebens besserer relativer Gleichheit? Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Denken wir uns eine Vermögen- einschließlich Schenkungs- und Erbschaftssteuer mit angemessenem Freibetrag nicht allzuhoch über dem ersten Milliönchen und spürbarer Progression darüber, deren Spitzensatz oberhalb obszöner Beträge gern auch asymptotisch gegen 100 Prozent streben darf, so könnte diese nicht nur allerlei sophistische »Doppelbesteuerungs-Argumente« irgendwelcher Gerichte ins Leere laufen lassen, nicht nur durch Wegfall der Einkomensteuer das leidige Problem der Hinterziehung durch Schwarzarbeit wegfallen lassen, nicht nur für übergroße Mehrheiten spürbare Steuererleichterungen (!) bringen (Genossin Kipping schätzte vor vielen Jahren zwei Drittel, heute dürfte der Anteil weit über drei Vierteln liegen) – nein, selbst das BGE wäre in menschenwürdiger Höhe bestreitbar. Denken wir uns als strukturell etwas »konservativere« Alternative eine Serienschaltung aus dem bestehenden (oder nur punktuell modifizierten) Steuersystem mit dem Take-half-Prinzip, so sehen wir (auch als Sauerländer Grundschüler, vielleicht mit Ausnahme Franz Münteferings) die sehr leichte Rechnung (die z. B. auch schon Verdi akzeptierte): Mit BGE-Höhe von 1.350 Euro und heutigem Nettoeinkommen von 2.600 Euro würden mir in einem Atemzug 1.300 Euro abgeknöpft (Take half) und zurückgegeben (BGE), ich hätte »individuell« »ökonomisch« weder Vor- noch Nachteile. Verdiente ich heute nur 2.500 Euro, stellte ich mich dann schon leicht besser, mit heute 2.700 Euro drückte ich mit verdammt gutem Gefühl per Saldo schon etwas mehr ab, als ich zurückbekäme. Hieße ich Hartmut Mehdorn oder wäre ich sonst ein Topmanager oder ähnlicher Mafioso, fiele die Differenz schon etwas deutlicher ins Gewicht. Und genau das wollen wir diesem »Herrn« oder seinesgleichen doch hoffentlich von Herzen wünschen! (Wir Gutmenschaspiranten wollen das jedenfalls.)

Veröffentlicht in der jungen Welt am 19.08.2020.
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