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Leserbrief zum Artikel Ausstand im Allgäu: »Es bleibt ein bitterer Beigeschmack« vom 29.05.2020:

Beispielhafter Kampf

Danke an die »Schmittler«. 98 Prozent bei Briefwahl-Urabstimmung, die ganze Belegschaft fünf Wochen im Streik gegen Betriebsschließung, unter Corona-Bedingungen – bislang einmalig. Ein beispielhafter Kampf der 517 Beschäftigten von Voith Sonthofen, ihrer Familien, des Allgäu. Sie haben alles getan, hätten ein Leuchtturm in der Krise werden können. Nach Schließungsmitteilung im Oktober verdoppelte sich der IG-Metall-Organisationsgrad. 100 Prozent Streikbrecherprämien (Rückstand bei über 40 Aufträgen) und Strafanzeigedrohungen gingen ins Leere. Der Bürgermeister und fünf Abgeordnete (bis 1996 war das Land Werkseigentümer) sahen sich noch am 18. Mai zu einem Schreiben an Voith veranlasst: »Es gibt mehrere seriöse Investoren, die an einer Übernahme interessiert sind, unter Erhalt aller Arbeitsplätze.« Der abrupte Sozialtarifvertragsabschluss entspricht nicht dem, was möglich war. Da ein Fünftel nicht zur Abstimmung ging, stimmten 30 Prozent nicht zu. Auch bei anderen »große Enttäuschung« (Radio Allgäu Hit). Vor allem die Jüngeren wollten weiter für den Erhalt streiken. Gemangelt hat es an bundesweiter Unterstützung, gewerkschaftlich, auch von der politischen Linken. Die DKP hat in Crailsheim Flugblätter verteilt. Ansonsten ging der Streik, von regionalen Ausnahmen abgesehen, auch an der Linken eher vorbei, von der Presse wurde er ohnehin fast verschwiegen.
»Die Hütte« (sieben Prozent Rendite) wird für noch mehr Profit nach Crailsheim verlagert; dort wurde wegen geringerer Auslastung mit Abbau von 100 der 1.000 Beschäftigten gedroht. Zu der steinreichen Couponschneiderdynastie gehört Ururenkelin Ophelia Nick (Tiermedizinerin, Hobbylandwirtin). Als Grüne (NRW-Bundestagskandidatin 2017) predigt sie »gegenseitigen Respekt, Mitmenschlichkeit«. Und: »Wir sind keine Shareholder, sondern Bewahrer.« Hunderten Allgäuer Familien die Existenz rauben – Geschäft. Aufgabe der Linken wäre es gewesen, die grüne Milliardärserbin öffentlich für den Werkserhalt in Verantwortung zu nehmen.
Bis zum Sozialplan mit dem Gesamtbetriebsrat am 13. Mai forderte die IG Metall Bayern »Werkserhalt«, nicht nur »Sozialtarifvertrag«, danach nicht mehr. Das Durchatmen der Manager war spürbar. Wie grundsätzlich die Kapitalisten den Streik nahmen, zeigt ein Handelsblatt-Interview (17.5.) mit dem Vorstands- und Aufsichtsratschef: »Es gibt Teile der Belegschaft und ihrer Vertreter, die wollen offenbar signalisieren, dass sie die Schließung verhindern können. Unser Rechtssystem sieht vor, dass der Eigentümer am Ende entscheidet« – oder die Kräfteverhältnisse. Auch im Kapitalismus konnten Schließungen trotz anderer Gesetzeslage schon verhindert werden. Ursachen für den Ausgang allein bei der IG-Metall-Führung zu suchen wäre zu einfach. Von Heidenheim war Anfang Mai der Bevollmächtigte im Streikzelt. In der Tarifkommission Stuttgart wurde zu Solidarität aufgerufen, auch vom Bezirksleiter. Von dort, Geislingen, Heidelberg hingen Schreiben im Allgäu. Öffentliche Zeichen auch von Betriebsrat, IG Metall und Belegschaft in Crailsheim hätten gegen die Konzern-Spaltungsmanöver weitergeholfen.
Martin Hornung, Eppelheim
Veröffentlicht in der jungen Welt am 29.05.2020.