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Leserbrief zum Artikel Harich contra Nietzsche: Genealogie des Verfalls vom 16.03.2020:

Verschwörungsverdächtig

Veröffentlichungen zu interessanten philosophischen Themen in der jW sind in jeder Hinsicht sehr erfreulich und wären noch erfreulicher, wenn dazu auch noch diskutiert werden könnte. Ich hätte zum sehr lesbaren Harich-Nietzsche-Beitrag von Detlef Kannapin, der m. E. leider gänzlich verfehlt und widersinnig mit »Genealogie des Verfalls« überschrieben wurde, folgende Bemerkung zu machen, damit nicht der wahrlich unmarxistische (ganz ideologische) Eindruck entsteht, als ob die Philosophie (auch nicht als Ideologie), also ausgerechnet der nicht weiter antifaschistisch verhinderte Nietzsche, den realen Verfall und Untergang der sozialistischen DDR herbeigeführt hätte; das wäre sicher zu phantastisch einfach! – In den gerade veröffentlichten Anhörungen der früheren Politbüromitglieder vor der PDS-Schiedskommission 1990 zum ganz realen (parteiorganisatorischen und und staatspolitischen) Niedergang der SED-DDR kommt Nietzsche jedenfalls gar nicht vor, allerdings Marx auch nur einmal.
Ich halte es für ganz unwahrscheinlich, ja schon »verschwörungsverdächtig«, dass ausgerechnet die recht verspätete Nietzsche-Beschäftigung in der DDR, zu der es ja eigentlich, bei fast keinerlei vorliegender Publikation ihn betreffend, überhaupt nicht wirklich kommen konnte und durfte, letztlich die Aufweichung der antifaschistischen und realsozialistischen Grundlagen der DDR herbeigeführt haben könnte. Das anzunehmen, würde doch nur die Fortsetzung der parteiangeführten gesellschaftswissenschaftlichen
Theorie- und Sprachlosigkeit und Ignoranz in den gesamten 80er Jahren bedeuten. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall, da die jahrzehntelang fehlende eigenständige marxistisch-kritische (nicht eindimensionale lehrdogmatisch diktierte) Auseinandersetzung mit der spätbürgerlichen Philosophie, so nicht nur ideologiekritisch reduziert als politische Apologie aufgefasst, keiner wirklich (hinsichtlich Nietzsche) Mehring, Günther und Lukács nachfolgenden Analyse und Kritik ausgesetzt wurde. Harich allein konnte das auf diese seine besondere Weise natürlich, so alleingelassen, nicht leisten.
Derweil wurde aber schon in den gesamten 60er Jahren vor Ort in Weimar die dann fast 100bändige große Nietzsche-Ausgabe durch die beiden anifaschistischen marxistischen IKP-Mitglieder Colli und Montinari neu erarbeitet und für den fortlaufenden Druck in Westberlin vorbereitet. Und darin besteht doch die eigentliche Tragik für Wolfgang Harich, dagegen überhaupt nicht angehen zu können, aber stattdessen gegen die ganz reguläre Nietzsche-Promotion von Renate Reschke auch noch »frauenfeindlich« zu poltern. – Aber die Harich-Edition, auch zu Nietzsche, ist tatsächlich eine ganz großartige Editionsleistung von Andreas Heyer zur fortgesetzten Rehabilitierung von Harich.
Hans-Christoph Rauh, Berlin
Veröffentlicht in der jungen Welt am 17.03.2020.
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