Leserbrief zum Artikel Psychologie: Verdrängter Klassiker
vom 21.02.2020:
»Gefolgschaft hinterm Hakenkreuz«
Dass der Faschismus nicht allein aus den klassenmäßigen und ökonomischen Strukturen des Finanzkapitals erklärbar ist, untersuchte der 2016 verstorbene, hochverdiente Historiker Kurt Pätzold in seinem letzten Buch »Gefolgschaft hinterm Hakenkreuz« (vollendet von Manfred Weißbecker). Er stellte die Kernfrage, warum die Masse des deutschen Volkes bis zuletzt den Faschisten, also auch seinen eigenen Mördern, folgte. Er verwies auch darauf, dass die psychosozialen Bedingungen faschistischer Herrschaft von den Historikern der ehemals beiden deutschen Staaten nur unzureichend untersucht wurden. Obwohl selbst kein Fachmann, kann ich die Bewertungen Wilhelm Reichs aus eigener Lebenserfahrung nachvollziehen, auch in Kenntnis entsprechender Auffassungen von Heinrich und Thomas Mann. Sinnvoll wäre eine wissenschaftlich-politische Diskussion darüber, welche Schlüsse angesichts der faschistischen Gefahr aus den Erkenntnissen Reichs zu ziehen wären. Denkbar sind Maßnahmen zur Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus, um Persönlichkeiten zu formen, die zu einem toleranten und kulturvollen Umgang miteinander befähigt sind. Es geht im weitesten Sinn um die Humanisierung unserer Gesellschaft. Kritisch zu prüfen wäre, inwieweit die Lehrpläne an den Bildungseinrichtungen aller Stufen diesem Anspruch genügen können. Auch die Programme der Medien und das Auftreten der Repräsentanten der Parteien wären an neuen Maßstäben zu messen. Allerdings würden das gegenwärtige föderal strukturierte Bildungssystem und die Vielzahl elitär-privatwirtschaftlich organisierter Bildungseinrichtungen dieses gesellschaftliche Anliegen nicht erfüllen können. Das fatale Erbe deutscher Vergangenheit, jetzt wieder sichtbar, kann wohl erst nach Generationen überwunden werden, vorausgesetzt, es wird erkannt.