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Leserbrief zum Artikel Neue US-Sanktionen gegen Teheran vom 11.01.2020:

Werte beerdigt

Während des Kalten Krieges nach dem Zweiten Weltkrieg gab es keine kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa. Die Vereinigten Staaten führten ihre Kriege außerhalb. Das änderte sich nach dem Triumph über die Sowjetunion. Im Jahr 1999 führten Deutschland, die USA und die NATO, ohne UN-Mandat, einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Der deutsche Außenminister Joseph Fischer lieferte die demagogische Begründung. Er verdrehte die Worte des Buchenwald-Schwurs »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg« in »Nie wieder Auschwitz«. Der damalige Gegner war Milosevic. Er wurde zum ersten neuen Hitler erklärt, ethnische Säuberungen und KZs wurden zur Rechtfertigung erfunden. Dem Alt-68er kommt das »Verdienst« zu, die Standardbegründung für die seitdem stattfindenden »humanitären Interventionen« der »westlichen Wertegemeinschaft« erfunden zu haben. Deutschland musste von jetzt an bei allen diesen Kriegen dabeisein, da es ja die meiste Erfahrung mit Auschwitz hat und angeblich ganz mächtig in sich gegangen war. (Die EU wurde für den Frieden, für den sie angeblich in Europa gesorgt hat, mit dem Friedensnobelpreis geehrt, ebenso wie der Bomber Obama.) Nach dem Desaster am 9.11.2001 drehten die USA ganz durch. Sie lösten sich vollständig von jeglicher Moral, die bis dahin unter zivilisierten Staaten gültig gewesen war: Entführung, Folter, Kriege, Drohnenmorde und die dazu gehörigen Lügen wurden zum Kennzeichen der unverzichtbaren, der außergewöhnlichen Nation. Die Nazis hatten ihre Gegner zu Untermenschen erklärt, für den »freien Westen« werden die »Nichtmenschen« zum Abschuss freigegeben: die Terroristen, die sogenannten Machthaber (die jeweiligen »Hitlers«), die auch immer ihr eigenes Volk abschlachten und angeblich Chemiewaffen einsetzen, gehören zu denen, die ohne Gerichtsurteil heimtückisch ermordet werden dürfen. Mit dem Mord am iranischen Generals Soleimani durch die USA ist ein neuer Höhepunkt der Verkommenheit erreicht. Auch Deutschland ist daran wohl beteiligt, da die Drohne vermutlich von Ramstein aus gesteuert wurde. Ein weiteres kommt hinzu: Es gab keine Stellungnahme der Bundesregierung hierzu. Aber den Gegenschlag des Iran darauf verurteilten der Trump-Klon Johnson, der kleine Sonnenkönig Ohneland, dem sein Volk wegläuft, und unsere Kriegsministerin aufs schärfste. Die Medien verdrehen die Zusammenhänge, so gut sie können, loben den Mord und den US-amerikanischen Präsidenten, dass er sich doch so geduldig nach dem Gegenschlag zeige, vergessen seine Drohung mit dem kriegsverbrecherischen Angriff auf iranische Kultureinrichtungen und hetzen weiter zum Krieg. Die Verrohung ist jetzt vollständig. Millionen von Iranern haben an den Trauerfeierlichkeiten für den Ermordeten teilgenommen. Es wäre an der Zeit, in den westlichen Hauptstädten Feiern zur Beerdigung der »westlichen Werte« zu veranstalten. Aber die waren ja eh schon immer fiktiv. Die Trauer über ihren Verlust käme einem Phantomschmerz gleich.
Michael Skoruppa, Hinte
Veröffentlicht in der jungen Welt am 14.01.2020.