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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Literatur: Wenn das Fleisch aufreißt vom 16.10.2019:

Viele Anregungen

Hola Compañer@s!

(Ich benutze diese Anrede, da mir das Wort Compañero bzw. Compañera lieber ist als das deutsche Wort Genosse, so wie mir auch der kubanische Sozialismus lieber ist, als es mir die preußisch-deutsche Variante war, trotz Brecht, Volker Braun, Bloch, Käte und Hermann Duncker. Auch die Anrede »Sehr geehrte (Damen und) Herren« möchte ich vermeiden: Die Briefe, in denen ich mit »Sehr geehrter Herr ...« angeredet werde, sind oft weniger angenehm, auch bin ich mir der Dialektik von Herr und Knecht noch bewusst und geselle mich – wie wohl unknechtisch der Haltung nach – ungern zu den Herren. Die Plebejer oder »Unteren«, die subalternen Klassen, sind mir näher.)

Ich habe in der Literaturbeilage heute die ca. 22 Annoncen gesehen. Schön plaziert, effektiv. Ich bedaure, dass Black Rose Books in Montreal sich derzeit nicht zu einem Inserat entschließen konnten. Dimitri Roussopoulos fand meinen Vorschlag, in der jW zu annoncieren, interessant und bat mich, zu erfragen, was es kostet. Schade, dass nichts draus wurde.

Insofern im November in Nürnberg wieder die linke Buchmesse ist, an der Dimitri Roussopoulos Interesse zeigt, schlage ich vor, am Stand von Black Rose Books auf der jetzigen Frankfurter Buchmesse ein Exemplar der jW-Nummer von heute (mit der Literaturbeilage) zu hinterlegen. Mit Grüßen von mir vielleicht.
Die Literaturbeilage und die Plazierung sowie das Design der Anzeigen, das macht einen so guten Eindruck, dass es den kanadischen Verlag vielleicht doch überzeugt, so dass er hier später inseriert.

Prof. Weigui Fang (https://fr.wikipedia.org/wiki/Weigui_Fang), Autor eines Buchs sowie Herausgeber und Koautor eines anderen Buchs bei Palgrave Macmillan, und Prof. Magdi Youssef, Herausgeber eines Buchs bei CSP (mit zwei Beiträgen von mir) konnte ich nicht davon überzeugen, dass es Sinn machen würde, anstelle dieser Verlage ein Inserat in der jungen Welt zu bezahlen. Das respektiere ich. Selber fehlen mir die Mittel dazu.

Ein wenig Feedback zur heutigen jW möchte ich Ihnen geben.
Ronald Webers Besprechung der von Gerd Dietrich verfassten Kulturgeschichte der DDR (auf S. 24) habe ich mit großem Interesse gelesen. Zentral ist die Feststellung Webers: Kultur und Politik werden »in ihrer wechselseitigen Hegemonie und gegenseitigen Einflussnahme« betrachtet. Kultur wird dementsprechend als widersprüchlich aufgefasst, als ein Prozess, auf den unterschiedliche Kräfte mit je eigenen Interessen einwirken, »natürlich existieren auch hier [in der DDR] unterschiedliche Traditionen und waren unterschiedliche Interessen am Werk [bzw. im Spiel]«. Sie werden skizzenhaft benannt als (1) »die Tradition der bürgerlichen Aufklärung und Klassik« (das »Erbe«, an das Autoren wie Hacks anknüpften und das für György Lukács so wichtig war), (2) »sozialistische Vorstellungen einer allgemeinen Verbreitung von Kunst und Wissenschaft [und allgemeinen Partizipation an ihrer Produktion, das kann den Bitterfelder Weg meinen in der Literatur, aber auch Brecht; man denke bei diesen beiden Polen an die Lukács-Brecht-Debatte der 30er Jahre] »sowie [(3)] kulturrevolutionäre Konzepte [und Praktiken?]«. (Hier bleibt offen, was damit konkret gemeint ist. Schon dies allein, dass Arbeiterinnen und Arbeiter schreiben? Oder spielen das Was und das Wie und Wozu eine wichtige Rolle dabei?]

Unter den Büchern, die genannt werden in den Annoncen, interessieren mich:
– Erik Olin Wright. Linker Antikapitalismus im 21. Jahrhundert. VSA, 12,80 Euro,
– Cornelia Koppetsch, Rechtspopulismus als Protest. VSA, 16,80 Euro,
– und das thematisch verwandte Buch von Peter Wahl (Hg.), Gilets Jaunes. Papyrossa, 12,90 Euro.
Ferner die Tatsache, dass Peter Kern hinweist auf »die greifbare [längst objektiv mögliche, aber im Kapitalismus, das heißt unter den gegebenen Macht- bzw. Klassenverhältnissen aus strukturellen Gründen verhinderte und vom Kapital sowie seinen Sachwaltern zu verhindernde] radikale Reduktion gesellschaftlich notwendiger Arbeit« (womit die Frage, wer bestimmt, was wie für wen in wessen Interesse produziert wird, ebenfalls gestellt ist und damit auch die Frage, was, weil es objektiv falsche Bedürfnisse aufgreift (wachruft und ausbeutet), besser nicht produziert wird. Im Gegensatz zu F. W. Bernsteins (satirischer?) Formulierung, es gebe keine falschen Bedürfnisse, bin ich sehr wohl der Meinung, dass es sie ständig als Resultate der Entfremdung und Manipulation gibt; allerdings steckt »in jedem falschen Bedürfnis ein wahres«, es handelt sich im Sinne von Roman Jakobson und Siegfried Freud um eine »Verschiebung«.
Auch diese in Inseraten genannten Bücher würde ich kaufen, wenn ich könnte:
– Daniel Bensaid. Der unzeitgemäße Marx. ISP-Verlag, 29,80 Euro,
– Fatima Belhadj. Leben in der Banlieue. Verlag Donata Kinzelbach, 18,00 Euro,
– Samir Amin. Eurozentrismus. Mangroven. 25,00 Euro. (Ich schätze diesen Autor sehr; vor allem sein kritisches Plädoyer für Unidad en la diversidad im lateinamerikanischen Kontext: ein guter Rat an die lateinamerikanische Linke. Setzt die Linke (PCP/Bloco de Esquerda/Linksgrüne) in Portugal auf eine ähnliche Konzeption? Sie hätten es 1975 tun sollen, als die Auseinandersetzungen zwischen der PCP (Vasco Gonçalves; sowie die Redaktion von O Seculo und Diario das Noticias), den Maoisten und der basisdemokratischen Richtung von Otelo de Carvaho kontraproduktiv waren. Wobei die Maoisten offenbar kein Interesse an solidarischer, kritischer Debatte und Kooperation innerhalb der Linken hatten. Doch war nicht auch die PCP zu rechthaberisch? Letztlich nützte alles der Konterrevolution, also denen, die angesichts der weitverbreiteten antikapitalistischen Stimmung sich maskierten als »Sozialisten« (Soares und Co.) oder als »Sozialdemokraten« (die Rechts-»Liberalen« und einige, die noch weiter rechts standen). Aber immerhin war der kritische, antikapitalistische und antikolonialistische Journalismus der genannten Zeitungen (und von O Seculo Illustrado) für mindestens ein Jahr ein Höhepunkt der kulturellen Wachheit in Portugal; mit dem Ende der linken Hegemonie verloren Redakteure bzw. Journalisten wie Saramago ihren Arbeitsplatz, ihre journalistische Publikationsmöglichkeit. Ein vergleichbares Desaster war das finanzielle Ausbluten von Triunfo in Spanien, als von außen – mit Hilfe spanischer Kollaborateure wie Felipe Gonzáles – die sogenannte Transición durch CIA, Friedrich-Ebert- und Konrad-Adenauer-Stiftung gemanagt wurde, um statt eines Bruchs mit dem Franquismus eine gewisse Kontinuität zu garantieren. Betrogen um die Früchte eines langen Widerstands waren die CCOO und die ETA; sie hatten Tag für Tag an der Basis gearbeitet; was ihnen fehlte, war das Geld für teure Wahlkampagnen, welche die unzureichend Politisierten unter den Massen erreichten und sich als vielleicht ausschlaggebend entpuppten?
Ich nenne unter den interessanten Neuerscheinungen, auf die Verlage in jW-Annoncen hinweisen, jetzt noch:
– das Heft 73 der Zeitschrift Widerspruch mit dem Schwerpunktthema: Angst, Wut, Mut. 25,00 Euro (dieses Hinleiten von der Angst zum Mut ist wichtig) und
– Clelia Marchi, Keine einzige Lüge. (Hörbuch, im Verlag Libroletto) 19,90 Euro, das vielleicht zu lesen ist vor dem Hintergrund von Aussagen Pasolinis über Dialekte und Volkskultur und im Kontext von Gramscis Überlegungen zur süditalienischen Frage und seiner Vorarbeiten oder Gedanken zu einer Theorie der Folklore.
Es wäre schön, wenn Sie einige dieser Bücher rezensieren würden. Ich gebe fast meine gesamte Minirente an jemanden, bei dem ich wohne und der (nach Mobbing) Frührentner ist, ab: mein Beitrag zu den Kosten von Wohnung und sonstigem. Kaufe kaum noch Bücher als Rentner.

So, und zur jW von heute (16. Oktober 2019, S. 1–14) noch dies:
Auf S. 14 der Hinweis auf Salgados »Das Salz der Erde« (auf Arte) gefiel mir, obwohl wir seit vielen Jahren kein Fernsehgerät mehr haben.
Wichtig: Raul Zeliks Beitrag Subversive Folklore (S.12–13).
Ebenso auf S. 8 Sevim Dagdelens »Angriffskrieg stoppen«. Dass die BRD-Regierung ebenso wie Frankreichs Regierung und die von Großbritannien die US-amerikanische Regime-Change-Politik in bezug auf Syrien unterstützen und an Treffen mit vor allem islamistischen Rechten in Istanbul und Tunis teilnahmen, war ja schon lange bekannt. Dass diese Kollaborateure der US-amerikanischen Interventionisten eine Quasi-Botschaft Syriens in Berlin offiziell unterhalten können (vergleichbar den »Diplomaten«, welche dank US-amerikanischer Strategie jetzt die »Guaido-Regierung« in Washington und damit angeblich Venezuela vertreten) war mir unbekannt. Nützlich war kürzlich auch der Hinweis in der jW, dass es in Südsyrien – also unter Missachtung des Völkerrechts auf syrischem Terrain – eine US-Airbase gibt und von da aus die USA direkt oder indirekt die Kontrolle über den Grenzübergang nach Irak und über die Verbindung Libanon–Syrien–Irak ausüben. Die »Krake« oder das Empire hat überall Militärbasen, auch in Afrika und Lateinamerika, und nahm sogar an einem Militärmanöver auf brasilianischen Boden in unmittelbarer Nähe zum Dreiländereck Kolumbien/Venezuela/Brasilien teil, was sich fraglos gegen Venezuela richtet als Teil eines unverhohlenen Droh- bzw. Bedrohungs-Szenarios.
Mit Interesse gelesen: Auf S. 6 Carmela Negretes »Katalonien wehrt sich«: Sie schreibt, nicht nur in Katalonien, auch in anderen spanischen Städten gebe es Proteste gegen die Urteile der quasi-franquistischen Justiz. Die Berichte der jW kürzlich über Navarra heute und Asturien in den 1930er Jahren waren ebenfalls von großem Interesse.
Gut ist auf S. 2 Nico Schreibers Forderung nach Enteignung und Konversion der Rüstungsbetriebe in zivile, friedlichen Zwecken dienende Produktionsstätten. Dass Konversion, so wichtig sie ist, nicht ohne Enteignung, also ohne eine andere Gesellschaftsordnung (oder zumindest wichtige Schritte in diese Richtung), zu haben ist, sollte bewusst werden in Konversionsdebatten. Dennoch: auch in der hier in der BRD real existierenden Gesellschaftsordnung muss Druck gemacht werden. Konversion von Rüstungsbetrieben also jetzt. Und Vergesellschaftung solcher Betriebe, aber auch von Wohnungsbeständen, von Gas, Strom, Wasser liefernden Unternehmen, ebenso der öffentlichen Transportmittel (Bahn, Bus), der Pharmaindustrie, der Banken. Step by step, wenn nicht alles auf einmal erreichbar ist.
Wichtig auch auf S. 1 Bebenroths Hinweis auf die Erwägung der undemokratischen (ernannten statt von allen EU-Citizens gewählten) EU-Kommission, Uploadfilter durchzusetzen. Die Rechte (die Kommission, die hinter ihr stehenden Regierungen und Parteien) nutzt rechte Anschläge als Vorwand für vertiefte, immer vollständigere Überwachung fortschrittlicher Kräfte.
Wichtig in der jW vom 16. Oktober war auch die Nachricht, dass die russische Armee in Syrien eine »direkte Konfrontation zwischen türkischer und syrischer Armee nicht zulassen« werde. Damit die Türkei und die NATO keinen Vorwand für militärisches Vorgehen gegen die Regierung von Assad bekommen (dank der Behauptung, Assads Truppen hätten »die Türkei« angegriffen, und es sei der Bündnisfall gegeben)? Die Gefahr besteht, dass nicht nur die USA, denen ohnehin zumal im syrischen Kontext nicht zu trauen war, sondern auch die russische Regierung Rojava im Stich lässt, indem sie gemeinsame Operationen von Kurden und Syrern gegen die türkischen Aggressoren erschwert, oder irre ich? (...)

PS: Enthusiasmiert und angespornt, jetzt eine lange Mail zu schreiben, wurde ich dadurch, dass heute drei Sendungen mit der Post ankamen: die junge Welt mit der großen Literaturbeilage, Verdi Publik (die Zeitschrift, die mein frühpensionierter Bruder erhält; sie ist – auch wegen ihrer internationalistischen Beiträge – deutlich besser, als Verdi an sich ist) und eine leicht verspätete Gratulationskarte der GEW zum 75. Geburtstag an mich als langjähriges Mitglied. Es lässt mich fast vergessen, wie enttäuscht ich oft von der GEW war.

Liebe Grüße
Andreas Weiland