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Leserbrief zum Artikel Sammlungsbewegung: Enttäuschung und Applaus vom 18.03.2019:

Politikwechsel bitter nötig

Ich kritisiere nicht, liebe Freunde, dass sich meine Zeitung, die jW, ausführlich mit der Situation der Bewegung »Aufstehen« beschäftigt. Aber dass sie gleich (Zitat) »Bilanz über das Scheitern der Sammlungsbewegung« zieht und in dem o. g. redaktionellen Beitrag zu zwei Dritteln des Textes enttäuschten Bewegungs-»Funktionären« das Wort gibt und ihnen dann auch noch in »Abgeschrieben« das Wort lässt, halte ich für falsch. Das ist oft Ausdruck für nicht erfüllte persönliche Erwartungen. Bei Berufspolitikern ist das auch nachvollziehbar. Sie können nicht(s) anderes.
Richtig ist, dass »die Bundesebene von Aufstehen im ersten Anlauf gescheitert« ist. Aber das ist gut so! Wer nämlich als »das Ziel« derselben angibt, (Zitat) »die unselige Spaltung der linken Bewegungen und Parteien zu überwinden«, zeigt, dass er nichts, aber auch gar nichts verstanden hat! Eine große Masse von Bürgern hat von »der Politik« die Nase voll! Gerade im Osten sind dabei oft die drei »rot-rot-grünen« Parteien gemeint! Das hat die AfD bisher ausnutzen können, obwohl sie in jeder Hinsicht eher noch schlimmer und vor allem übel rassistisch auf der Suche nach »Blitzableitern des Volkszorns« aktiv ist.
(Der »grüne« Monopolkapitalismus hatte noch keine Gelegenheit, sich komplett zu blamieren.)
Es ging und geht weiter darum, den bürokratisch verknöcherten, alle wirklichen linken Ziele tagespolitisch längst abgeschrieben habenden Parteien SPD, Grüne und PDL »Feuer unterm Hintern zu machen« – also etwa das, was die Gelbwesten in Frankreich versuchen und was – bisher erfolglos – Mélenchons LFI anstrebte, bis sie dann selbst zur Partei wurde.
Dazu muss Abschied genommen werden von der Orientierung auf »bunte Minderheiten« und auf die neoliberal-kosmopolitische »Macht-das-Tor-auf«-Tour der »Antirassisten« in den Reihen der »Linken«. Beides wird von den Massen der deutschen Bevölkerung nicht akzeptiert.
Berufspolitiker sollten in den Reihen der Aufsteher zudem nicht die erste und die zweite Geige, sondern am besten doch nur die Rolle von Beratern spielen. denn sie sind, mit wenigen guten und schönen Ausnahmen, die primären »Bedenkenträger« etwa bei folgenden aktuell wirklich dringenden Fragen:
– Austritt aus der NATO (nicht deren Auflösung! Weil sich das erst am »St.-Nimmerleins-Tag« vollziehen wird!), womit die sofortige Aufkündigung der »deutschen Teilhabe« an NATO-Kernwaffeneinsätzen entfällt, nur notfalls zuerst diese;
– Kündigung des Stationierungsvertrages und Abzug der US-Atomraketen sowie sämtlicher Stäbe und Drohnenleitzentralen von USA und NATO auf deutschem Boden,
– Beitritt Deutschlands zum Atomwaffensperrvertrag, Verzicht auf den bisher hier zitierten US-Kernwaffen-»Schirm«, der das Gegenteil von Sicherheit bietet,
– Verzicht auf jegliche Militarisierung de EU, auch als »PESCO« usw.,
– Grundlagenvertrag mit Russland über Freundschaft und enge Kooperation, einseitige nationale Abschaffung aller Sanktionen gegen Russland,
– Rückzug aller Bundeswehr-Einheiten auf das deutsche Staatsgebiet, schließlich
Erklärung der deutschen Neutralität (nach dem Muster der Schweiz und Österreichs) und der konsequenten Nichteinmischung in internationale Konflikte (was zur Zeit auch die Aufhebung der Anerkennung des Putsch-»Präsidenten« Guaidó in Venezuela umfasst),
– Reduzierung der Bundeswehr zunächst um die Hälfte,
– Wiedergutmachungsleistungen – via UNO-Einrichtungen und Rotes Kreuz – an die Völker Serbiens, Afghanistans, Syriens und Malis (v. a. im Nordosten des Landes) wegen der Opfer bei jüngsten Bundeswehr-Einsätzen sowie an die Völker der ehemaligen deutschen Kolonien, speziell an die Herero und Nama in Namibia, Anerkennung des kaiserlich-deutschen Truppeneinsatzes gegen sie als Völkermord (Genozid),
– ein einheitliches staatliches Gesundheits- und Pflegesystem (nach dem Modell des britischen NHS),
– Durchsetzung eines kostenlosen staatlichen, säkulären Bildungssystems, damit Abschaffung aller elitären sowie religiös angebundenen Bildungseinrichtungen,
– sofortiger Mietenstopp zunächst für fünf Jahre, danach Mietpreisabbremsung auf den offiziell ermittelten »Inflationsausgleich«,
– Rückkauf der unter sittenwidrigen Bedingungen verhökerten kommunalen Wohnungsverwaltungs- bzw. -baugesellschaften zum damaligen Verkaufspreis (oder, jedenfalls bei Widerstand und Sabotage, sofortige Enteignung der Spekulanten!), allerhöchstens auch »mit Inflationsausgleich«,
– Aufkauf und Führung der wichtigsten Infrastrukturunternehmen der Versorgung und des Verkehrs als Non-Profit-Unternehmen in kommunaler oder Staatshand, analog dazu einheitliche europäische »suprastaatliche« Infrastrukturunternehmen im Luft-, Schienen- und Straßentransport, die kostendeckend arbeiten, aber nicht auf den Maximalprofit ausgerichtet sein dürfen,
– Kampf um die Einhaltung der Pariser »Klimaziele«, daher umgehender Ausstieg aus der Kohle- und Kohlenwasserstoff-Verbrennung zur Energiegewinnung, maximale Förderung der erneuerbaren Energien wie auch des öffentlichen und privaten E-Verkehrs.
Was habe ich vergessen? Sicherlich sehr viel. Die Bekämpfung des Rassismus der AfD und vieler weiterer rechter Kräfte nicht – denn die werden bei einer wirklichen linken und ökologischen Wende, die nur mit einer kritischen und selbstkritischen »Aufarbeitung« des bisher Getanen und v. a. Versäumten kommen kann, an den Rand gedrängt. Auf der Basis des jetzigen neoliberalen Systems der globalen Profitmacherei und zusammen mit den Parteien und großen Organisationen (DGB!), die dieses mehr oder weniger voll akzeptieren, »gemeinsam« wird das aber nicht gehen! Eben weil Rassismus und Fremdenfeindlichkeit »nur« eine Blitzableiterfunktion haben (da nun die religiösen Vertröstungen auf »das jenseitige Leben« nicht mehr funktionieren, wird die soziale Kälte und Ungerechtigkeit der Gesellschaft umso stärker wahrgenommen, da fallen leider zu viele auf die faulen neurechten Versprechungen einer »Volksgemeinschaft« von der Milliardärin Frau Klatten-Quandt bis zum letzten Obdachlosen herein).
Also nix da mit der »Überwindung der unseligen Spaltung der Linken«, solange dafür die Grundlagen in einem verbindlichen »verratsfest gemachten« (!) fundamentalen Politikwechsel fehlen! Der ist sehr bitter nötig, angesichts der USA-NATO-Atomkriegsvorbereitung und der gleichzeitig weiter aufklaffenden sozialen »Schere«, und wenn ihn – mit diesen Leuten – die Bewegung »Aufstehen« nicht hinbekommt, was aber – dann eben ohne sie – noch gar nicht entschieden ist, dann müssen ihn deren Weiterführer bzw. Nachfolger hinkriegen.
Diese Klarheit aber muss aber erst einmal dasein!
Der jungen Welt aber, liebe Freunde, ist zu einer objektiveren Betrachtung dringend zu raten.
Volker Wirth, Berlin
Veröffentlicht in der jungen Welt am 19.03.2019.
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