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Leserbrief zum Artikel Geiselnahme im Kölner Hauptbahnhof vom 16.10.2018:

Keine Lösung

Kaum war die Nachricht über die Sender gegangen, da schlugen die Stimmungswellen der Besorgten und Rassisten an Stammtischen, Straßenecken, auf Plätzen und in Cafés wieder hoch. »Das sind alles Verbrecher«, höre ich im Vorbeigehen. Es ging um die neuerliche Terrortat im Bahnhof Köln. Nach Ursachen, Hintergründen, Beweggründen, persönlichen Schicksalen, Erfahrungen, Erlebnissen, Motiven, Herkunft oder vielleicht Sorgen und Ängste dieser Menschen  verschwendet jetzt und später kaum jemand ein Wort.
»Das sind alles Verbrecher«, »Die müssen alle …«; damit ist das Thema erledigt, scheinbar auch unwidersprochen vom Großteil der Öffentlichkeit, von Politik und Bürgern. Wer ein anderes, differenziertes Urteil von sich gibt, wird bestenfalls als Gutmensch bedauert, diffamiert.
Wir wissen nicht, werden wie oft nie erfahren, welche Umstände, Situationen und Motive Menschen im konkreten Fall zum Terror treiben. Die Stimmung zählt, alles andere interessiert nicht. Fällt es nicht seit Jahren auf, wie öffentlich, medial und bei Bild und Co. schon gar nicht an die Wurzeln von Terror aller Geschichte erinnert wird? Müsste nicht täglich in Erinnerung gerufen werden: Kriege sind Terror der Reichen gegen die Armen, Terror der Krieg der Armen gegen die Reichen, wie vor Jahren Peter Ustinov treffend sagte. Wer Wind sät … Weiß im Christlich-Abendländischen davon keiner?
Millionen aus den ärmsten, kriegerischsten Regionen der Welt sind auf der Flucht aus elenden Lebensverhältnissen, die sie nicht verursacht haben, weil ihnen anders keine Chance gelassen wird, sich daraus selbst zu befreien. (…) Unter den Flüchtlingen und Migranten gibt es mehr um die Ursachen ihres Daseins Wissende, als sie auf jeder Pegida- oder Pro-Chemnitz-Demo anzutreffen sind. Terror aus Schwäche, Verzweiflung ist nicht von edelsten, menschlichen und ehrlichsten Gefühlen getragen – aber worauf treffen Flüchtlinge hier bei uns? Der Dümmste könnte wissen: Mit Mauern, Grenzen, Fernhalten und »Alle raus«, damit ist kein Problem gelöst in einer Welt, wie sie heute ist.
Roland Winkler, Aue
Veröffentlicht in der jungen Welt am 23.10.2018.