Leserbrief zum Artikel jW-Wochenendgeschichte: Zur Macht verkommen
vom 28.07.2018:
Aufklärung und Aufruhr
Der letzte Satz von Otto Köhler hat mich aufgewühlt. Ich bin ein paar Jahre jünger, war '68 mittendrin, und auch meine Faust zittert noch, doppelt bewegt: aus Verzweiflung, die seit Jahren, Jahrzehnten wächst und unterdrückt werden muss, um immer weitermachen zu können; aber sie zittert auch, weil das Leiden mit denen, die im Namen der Freiheit, der Werte, der Verantwortung und der heuchelnden Auschwitz-Lüge à la Fischer sterben, ob in Asien, in Afrika, im Nahen Osten oder im Mittelmeer, noch lebendig, weil der Zorn auf die Mächtigen und die Profiteure des Elends unstillbar und weil ein Funke Hoffnung, sie irgendwohin jagen zu können, geblieben ist. Mir sind auf Anhieb ein Dutzend Bernd Ulrichs eingefallen, deren Hälse und Hirne sich in den letzten fünfzig Jahren peu à peu zum Zaster und zur Macht gewendet haben, die sie nun mit jedem Mittel zu verteidigen bereit sind. Manchmal frage ich mich, ob nicht ein »Komplott der Aufrechten« die Not wenden kann, ob als Marsch oder als Blog oder als Aufruhr, irgendein Zeichen, das weder zu überhören noch zu übersehen wäre. Bis dahin sind gezähmte Wutausbrüche wie von Otto Köhler nötige Mutmacher, eine aufrüttelnde Verbindung von Aufklärung und Agitation, aber sie brauchen Resonanzböden, damit sie nicht vom politischen oder sozialen Tagesgrauen aufgesogen werden. Wir müssen sie schaffen, damit die Faust nicht erschlafft.