Leserbrief zum Artikel Kein Paradigmenwechsel
vom 01.03.2018:
Brave Soldaten
In ihren Einschätzungen zur Entwicklung der VR China weist die junge Welt m. E. seit geraumer Zeit erhebliche politische Schwankungen auf. Ein Beispiel dafür sind die bisherigen Kommentare von Sebastian Carlens. Sie entbehren einer soliden Grundlage durch objektive Untersuchungen (…). Er scheint auch nicht zu wissen, welche Auswirkungen der Übergang zur unbegrenzten politischen Macht einer Person für den Sozialismus in der UdSSR unter Stalin, in China unter Mao u. a. hatte. Wer auch nur einigermaßen die heftigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen, vielfach mit der Armee verbundenen Elitengruppen seit 2012 verfolgt, weiß, dass sich diese Entwicklung in China heute fortsetzt. Sie bedroht die noch existierende formale »konsultative Demokratie« und wird mit der Behauptung begründet, dass sich das alte China immer dann positiv entwickelt hätte, wenn der Kaiser die absolute Macht ausübte. Offen bleibt, was die vom ZK der KP Chinas vorgeschlagenen Veränderungen wie Kampf gegen Imperialismus, Erziehung zum Internationalismus u. ä. bedeuten; denn davon kann bisher in der Strategie und Politik der chinesischen Führung keine Rede sein. Die Praxis wird zeigen, ob diese Orientierungen wirklich eine Veränderung einleiten. Nebenbei bemerkt, aufschlussreich ist auch das Zitat aus einer Rede von Xi Jinping, das im Bild auf dem Plakat neben ihm nachzulesen ist: »Seid die Saat für den Geist von Lei Feng, damit der Geist von Lei Feng in der Weite des Vaterlandes breit propagiert werden kann.« Wer war Lei Feng, und wozu wurde er benutzt? Sein Vorbild wurde nach seinem Tode 1962 (er wurde bei der Einweisung eines Lkw von einem Telefonmast erschlagen) von Mao Zedong 1963 in der Auseinandersetzung mit Liu Shaoqi als »braver Soldat« propagiert, der Mao bedingungslos, selbst wenn er ihn nicht verstand, folgte. Die Frage wäre, gegen wen braucht Xi Jinping heute »brave und folgsame Soldaten«?
Veröffentlicht in der jungen Welt am 03.03.2018.