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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Die Ingoma-Trommelgruppe begrüßt die Teilnehmer vom 13.01.2018:

Kein Vergleich

(…) Künstlerisch mag die Ingoma-Trommelgruppe Berlin recht gut und sehenswert sein, jedoch passt ein solcher Beitrag nicht so richtig in den vermeintlich beabsichtigten Kontext der XXIII. Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018 (vielleicht unterstelle ich den Veranstaltenden auch eine antirassistische Einstellung, die sie – aus welchen Gründen auch immer – gar nicht vertreten können?). Insbesondere bei der Themenstellung der Konferenz »Amandla Awethu (sinngemäß: ›Alle Macht dem Volk‹) – die Machtfrage stellen« mussten ich sowie andere politisch denkende und handelnde Menschen davon ausgehen, dass unter den Veranstaltenden der Konferenz »gebildete, vielleicht auch studierte« und zum Thema Afrika und Rassismus hinreichend reflektierte als auch fach- und sachkundige sowie gut informierte (journalistische Recherche) Menschen sein werden, die wirklich wissen, was sie da tun. Dem ist offensichtlich leider nicht so. Denn kein wirklich thematisch reflektierter Mensch – auch bezogen auf die eigenen rassistischen Verinnerlichungen – würde im Traum darauf kommen, die Denk- und Handlungsweisen der bürgerlichen Mitte gemäß der Denke von Neckermann, Tui oder anderen Anbietern »exotischer« Afrika-Reisen zu reproduzieren, sondern würde diese heftig kritisieren. Auch wenn Tanz und Lied der Ingoma-Trommelgruppe Berlin beim Antiapartheidskampf des ANC in Südafrika eingesetzt wurden, steht diesem jedoch der Werbetext mit seiner exotischen »Kultur-« und »Ritual«-Botschaft als Hauptthema entgegen: »Die Burundi-Trommler sind Vertreter der Kultur ihres Landes, ihr Ritualtanz ist einzigartig in der Welt und zwingt zu Bewegung. Was könnte besser zur RLK passen?« Damit wird auch wieder einmal von der fortwährenden kolonialen – zumeist weißen – Täterschaft aller Deutschen/Europäer abgelenkt, indem eine afrikanische (burische) Diktatur (hier Südafrika) genannt wird und nicht das eigene koloniale Diktat gegen Gesamtafrika und nicht der Rassismus im eigenen deutschen Lande, von dem bisher alle »weißen Deutschen« vergnüglich profitieren (z. B. seltene Erden in E-Autos, ständig neue High-Tech-Gadgets sowie Ignoranz und keine Wertschätzung der Arbeitenden in Afrika und ihrer Produkte, die unser Luxusleben erst ermöglichen (»Ex-und-hopp-Gesellschaft«).
Fraglich ist, warum die Veranstaltenden den Kontakt unter anderem zu einer Musikgruppe, die sich mit ihren Sängern aus Nigeria, Mali und Senegal und mit ihrer schwarzen Sängerin aus Deutschland politisch kritisch aus der Sicht der tatsächlich von Rassismus und Kolonialismus Ge- und Betroffenen äußert, nicht genutzt haben. Mit »Wulaba – Freedom Fighters« werden genau diese Perspektiven kritisch auf die Bühne gebracht, die insbesondere die weiß denkenden Deutschen so gerne unterdrücken. In diesem Fall sollten sich bitte mal wirklich alle »die Machtfrage stellen«! (…)
Nun findet sich auch noch unter dem Link zur XXIII. Rosa-Luxemburg-Konferenz ein Referent, der die Geschehnisse um Griechenland mit der »kolonialen Versklavung« Afrikas gleichsetzt, und in dem von den Veranstaltenden verwendeten Zitat wird dann auch noch das »N«-Wort verwendet. Was die anfangs beschriebene unkritische Denkweise der Veranstaltenden leider noch bestätigt.
Obgleich das Wort »Sklave« an dieser Stelle sprachlich präziser wäre, ist damit jedoch die Gleichsetzung nicht vom Tisch. Auf diese Weise werden wieder mal die bereits seit Jahrhunderten und noch heute bestehenden Verantwortlichkeiten der (zumeist weißen) Europäer bezüglich ihrer Verbrechen auf dem afrikanischen Kontinent relativiert und sogar heruntergespielt. Die Definitionsmacht liegt hier wieder einmal bei den »Tätern« und im »weißen Täterdenken«. Zitat: »Der afrikanische Philosoph Achille Mbembe fasst in seinem Buch ›Kritik der schwarzen Vernunft‹ (Suhrkamp) die globale gesellschaftliche Entwicklung so zusammen: ›Afrika passt sich nicht der Welt an, die Welt wird afrikanisiert.‹ Die ›Neger‹ EU-Europas, erläuterte er in einem Interview, seien heute die Griechen. Das Land und die dort unterm Diktat internationaler Konzerne, Brüssels und Berlins geschaffene Verelendung und Massenarbeitslosigkeit, die Lohnsenkungen und Rentenkürzungenen bei Erhalt der Steuerfreiheit für die Reichsten der Reichen sieht er als Beispiel für eine allgemeine Tendenz: Heute sind Milliarden Menschen gezwungen, ihre Arbeitskraft nicht nur zu verkaufen, sondern sie auch buchstäblich jederzeit zur Verfügung zu halten. Die Zahl derjenigen, die ohne Schutzrechte einem ökonomischen Willkürregime ausgeliefert sind, nimmt stetig zu. Faktisch, so Mbembe, haben sie den Status von Sklaven. Dafür aber waren in der neueren europäischen und nordamerikanischen Geschichte, im bisherigen Kapitalismus in erster Linie Afrikaner vorgesehen. Das ändert sich im Zeichen neokolonialer Kriege, von Demokratie- und Sozialabbau seit dem Ende der Sowjetunion: Alle Arbeitenden weltweit werden in diesem Sinn ›afrikanisiert‹.« (…)
Gemäß der hier dargestellten These von der »Afrikanisierung« aller Arbeitenden müssten diese, wenn sie streiken (Gewerkschaften sind verboten), von konzerneigenen »Todesschwadronen« verschleppt und erschossen werden (Südamerika: für Tropenholz, Kautschuk. Afrika: Shell in Nigeria). Sie wären ohne Schutzkleidung und sonstige Schutzvorkehrungen den Giften und Schadstoffen an ihren Arbeitsplätzen ausgesetzt und würden keine Gesundheitsversorgung, geschweige denn eine Rente bekommen (Uran- und Coltanabbau). Es würden für einen Dollar pro Tag natürlich auch Kinder (kein Mindestalter) und Senioren (kein Höchstalter) eingesetzt. Und bei Abstürzen und Verschüttungen würden die Arbeitenden nur selten geborgen, bei sonstigen Unfällen mit Todesfolge würden sie einfach irgendwo verscharrt.
Der eigene Grund und Boden der Landarbeitenden würde enteignet oder durch importierte Pestizide und Chemikalien (Monsanto, Erdöl und Abbau von seltenen Erden) über Jahrhunderte hin verseucht.
Sie würden in den Häusern der »Konzerne« wohnen, in den Supermärkten der »Konzerne« einkaufen usw. (z. B. Nestlé-Wasser »Pure Life«), und wenn dann ein Mensch aufbegehrt oder sich »zuviel« Solidarität entwickelt, sorgen die »Herrschenden« für Konflikte unter den Arbeitenden und liefern Waffen für die Selbstzerstörung, oder die »Herrschenden« »bomben einfach alles weg«. Auch sollte nicht vergessen werden, dass natürlich alle Arbeitenden die Religion der »Herrschenden« annehmen müssen und solange gefoltert würden, bis sie es tun. (…)
Flora E. Bernhagen
Veröffentlicht in der jungen Welt am 07.02.2018.